Währungschaos, Preissteigerungen und brennende Banken
Der Preis für den im Libanon so beliebten Halloumi ist nur um knapp 20 Prozent gestiegen. Der salzige, gummiartige Käse zählt zu den wenigen Lebensmitteln im Libanon, die von der anhaltenden Teuerung noch nicht betroffen sind. Doch außer Käse und Olivenöl wird im Libanon nicht viel produziert. Reis, Benzin und Medikamente wie Kopfschmerztabletten müssen importiert und mit den üblichen Preisen auf den globalen Finanzmärkten bezahlt werden.
Das war jahrelang kein Problem, denn die lokale Währung ist seit 1997 mit einem festen Umrechnungskurs an den US-Dollar gekoppelt. Doch weil die Wirtschaft stagniert, Devisen aus dem Ausland fehlen und Dollarreserven im Land schrumpfen, verliert die lokale Währung rasant an Wert. Auch das Limit für die Auszahlung von Dollar, das die Banken im vergangenen September verhängt hatten, konnte an der Situation nichts ändern – vielmehr löste es einen Ansturm auf die Banken und Wechselstuben aus. Im April wurde die Ausgabe von Dollar komplett gestoppt.
Währungsverlust um 60 Prozent
Ein Dollar sollte 1.500 Lira entsprechen. Doch wer US-Dollar in einer Wechselstube tauscht, bekommt derzeit mehr als doppelt so viel Lira als bei der Bank. Durch die Abwertung der Lira auf dem Schwarzmarkt ist das ganze Land dollarhungrig. Erschwert wird die Lage durch die Corona-bedingte Schließung des Beiruter Flughafens – nicht nur sorgte die große libanesische Diaspora bei Besuchen für einen Nachschub an ausländischer Währung, sondern auch Geschäftsleute importierten Dollar, um damit Importe zu bezahlen. Da die Möglichkeit, ausländische Devisen ins Land zu holen, nun beschnitten ist, stürzte der Wert der Lira auf dem Schwarzmarkt noch rasanter.
Der Libanon, ein Land von der Größe Hessens, befindet sich in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte.
Inzwischen ist die Situation so dramatisch, dass sich viele Libanesen auch zahlreiche Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können. Nach Angaben der Consultingfirma CRI, die im März den Verbraucherpreisindex für Beirut veröffentlichte, ist der Preis für Butter und Mehl innerhalb eines Jahres um knapp 45 Prozent gestiegen, für Zucker muss 65 Prozent mehr bezahlt werden als noch im März 2019.
Die katastrophale Wirtschaftslage im Libanon ist das Resultat jahrelanger Korruption, Misswirtschaft und einer Politik zugunsten der Banken. Die politischen Machthaber sind seit dem Ende des Bürgerkriegs 1990 eng mit der Wirtschaftselite verbandelt. Der ehemaligen Minister- und Milliardärs-Familie Hariri gehört beispielsweise eine eigene Bank.
Jahrelang verfolgte die Politik einen neoliberalen Kurs, ohne ein soziales Netz zu schaffen. Wer im Libanon Geld besaß, legte es besser auf ein Bankkonto, um zweistellige Zinsen zu bekommen, als es in den produktiven Sektor zu investieren. Das rächt sich nun: Die hohen Zinsen, die jahrelang an finanzstarke Geldgeber gezahlt wurden, brechen dem Finanzsystem jetzt das Genick. Die Staatsschulden betragen mittlerweile über 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Reformen jahrelang verschleppt
Im März konnte das Land fällige Eurobond-Anleihen in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar nicht zurückzahlen. Um die Währung zu stabilisieren, ist der Staat auf druckfrische US-Dollar angewiesen. Internationale Geldgeber wie Saudi-Arabien und die EU hatten bereits 2018 bei der Zedern-Konferenz Finanzspritzen im Wert von elf Milliarden Dollar zugesagt. Doch als Voraussetzung für die Freigabe der Gelder forderten sie Wirtschaftsreformen und Maßnahmen gegen die Korruption. Doch die nötigen Reformen wurden verschleppt.
Vergangene Woche stellte die Regierung dann einen Fünf-Jahres-Rettungsplan vor, auf dessen Grundlage sie Finanzhilfen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragte. Geplant sind Milliarden-Verluste für den Finanzsektor und Reformen zur Sanierung der Wirtschaft. Die vorgesehenen Neuerungen des Bankensystems stießen bei den Kreditinstituten jedoch auf Unmut. Sie kritisierten, dass das Land durch solche Maßnahmen zerrissen werde. Die Banken zählen zu den größten Gläubigern des Staates.
Ministerpräsident Hassan Diab hingegen beschuldigte den Chef der libanesischen Nationalbank, Riad Salameh, für die Misere und Inflation verantwortlich zu sein. Er sagte, man habe Informationen darüber, dass zwischen Januar und Februar knapp sechs Milliarden US-Dollar von Kontoinhabern abgehoben wurden. In einer einstündigen Fernsehrede konterte der mittlerweile seit fast 30 Jahren als Zentralbankchef fungierende Salameh, die Politik schriebe ihm fälschlicherweise die Verantwortung für Finanzentscheidungen zu und sprach von einer "Kampagne" gegen ihn. Er sagte, man habe zur Entspannung der Lage frische Lira im Wert von drei Milliarden US-Dollar in den Markt "gepumpt".
Gezielte Angriffe auf Banken
Während sich der Banken- und Regierungschef darüber streiten, wer für die Finanzkrise verantwortlich ist, drängt es die Menschen trotz Corona-Ausgangssperren auf die Straßen.
Ende April blockierten Protestierende die Hauptverkehrsader des Landes mit brennenden Reifen. Aufständische warfen Molotowcocktails in Bankfilialen in der Hauptstadt Beirut, im südlichen Sidon und vor allem im nördlichen Tripoli wurden zahlreiche Bankengebäude beschädigt. Dort antworteten Sicherheitskräfte mit Tränengas, Gummigeschossen und zum Teil auch scharfer Munition; ein Soldat erschoss bei den Auseinandersetzungen einen 26-jährigen Mann. Aktivisten erklärten das Opfer daraufhin zum "Märtyrer der Revolution", hunderte Menschen kamen zu seiner Beerdigung, einige griffen während der Trauerprozession nahe gelegene Bankfilialen an.
Die Aufstände können als Fortsetzung der im Oktober begonnenen Massenproteste im Libanon gesehen werden. Damals protestierten Tausende gegen das korrupte Verhalten der Politiker und deren Misswirtschaft, die das Land in den Staatsbankrott geführt hatte. Sie forderten den "Niedergang des Regimes", woraufhin Ministerpräsident Saad Hariri zurücktrat. Zu Beginn des Jahres übernahm dann Hassan Diab die Amtsgeschäfte.
Diab und sein Kabinett können das Land jedoch kaum aus der wirtschaftlichen Misere ziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschland die Hisbollah als Terrororganisation eingestuft hat. Die Entscheidung könnte die Verhandlungen um Finanzhilfen zusätzlich erschweren, da Diabs Regierung als Hisbollah-nah gilt. Und Deutschland sitzt mit Frankreich und Japan zusammen in der IWF-Task-Force, die über die Freigabe der dringend benötigten Gelder entscheiden.
Julia Neumann
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