Droht ein atomares Wettrüsten am Golf?
Die Kritiker des Irans haben schon lange gewarnt, dass es zu einem atomaren Wettrüsten in der Region führe, wenn man nicht gegen das iranische Atomprogramm einschreite. Glaubt man manchen Politikern und Medien, dann scheint der Albtraum eines nuklearen Rüstungswettlaufs zwischen Iranern und Arabern tatsächlich wahr zu werden. So schrieben nach dem Treffen der Golfstaaten mit US-Präsident Barack Obama in Camp David am 14. Mai einige Zeitungen, Saudi-Arabien habe gedroht, im Fall einer iranischen Atombombe selbst Nuklearwaffen zu entwickeln.
Tatsächlich haben die arabischen Golfstaaten bei ihrem Treffen im Landhaus des amerikanischen Präsidenten angekündigt, jede Atomtechnologie für sich in Anspruch zu nehmen, die dem Iran in dem geplanten Atomabkommen zugestanden wird. Besonders Saudi-Arabien sieht das Abkommen kritisch, da es als Gegenleistung für die Einschränkung des iranischen Atomprogramms die Aufhebung der im Konflikt mit dem Iran verhängten Finanz- und Handelssanktionen vorsieht.
Unzufrieden mit der Schutzmacht
Dies, so die Befürchtung der Saudis, würde Teheran zusätzliche Ressourcen geben, um seine „aggressive Außenpolitik“ in der Region fortzusetzen. Laut dem saudischen Narrativ habe der Iran bereits den Irak und Syrien unter seine Kontrolle gebracht und versuche nun auch, über die Huthi-Rebellen den Jemen in seine Einflusssphäre zu ziehen. Vor diesem Hintergrund hatte Obama die Golfstaaten eingeladen, um sie zu beruhigen und ihnen die anhaltende Unterstützung der USA zu versichern.
Das geplante Atomabkommen mit dem Iran, so die Botschaft Obamas, bedeute keinen Kurswechsel Washingtons und keine grundsätzliche Annäherung an Teheran. Vielmehr würden die USA weiter „felsenfest“ zu ihren arabischen Verbündeten stehen. Allerdings blieb Saudi-Arabiens neuer König Salman dem Treffen fern und auch andere Länder schickten nur ihre Kronprinzen, was auf die tiefe Unzufriedenheit der Golfstaaten mit ihrer Schutzmacht hindeutet.
Die Drohung, jede Atomtechnologie für sich in Anspruch zu nehmen, die dem Iran zugestanden wird, unterstreicht dies noch. Saudi-Arabiens früherer Geheimdienstchef Prinz Faisal al-Turki macht damit schon seit längerem Stimmung gegen die Atomverhandlungen zwischen dem Iran und der Gruppe der fünf UN-Vetomächte und Deutschland, die bis Ende Juni zum Abschluss kommen sollen. Doch droht deshalb nun tatsächlich ein atomares Wettrüsten im Mittleren Osten?
Kein atomares Wettrüsten in Sicht
Zunächst einmal ist die Schlussfolgerung unsinnig, dass die Golfstaaten nun nach einer Atombombe streben würden. Das Ziel des Atomabkommens mit dem Iran ist ja gerade, diesen an der Entwicklung von Nuklearwaffen zu hindern. Folgt das Abkommen der Rahmenvereinbarung, die Anfang April in Lausanne präsentiert wurde, wird es für die Regierung in Teheran extrem schwierig werden, eine Atombombe zu entwickeln – wenn sie das denn überhaupt wollen sollte.
Die Rahmenvereinbarung erlaubt dem Iran zwar, eine kleine Anlage zur Urananreicherung zu behalten und weiter an Zentrifugen zu forschen. Doch in erster Linie verpflichtet die Vereinbarung das Land, die Urananreicherung für zehn Jahre drastisch einzuschränken, den Grad der Anreicherung zu reduzieren und weitreichende Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zuzulassen, die weit über die Regeln des Atomwaffensperrvertrags (NPT) hinausgehen.
Wenn die Araber nun drohen, alles zu verlangen, was den Iranern zugestanden wird, so könnte man, wie der US-Journalist Paul Pillar, durchaus sagen: Bitte, nehmt es euch! Wenn ihr euch freiwillig auf Einschränkungen und Kontrollen einlassen wollt, die kein anderer NPT-Unterzeichnerstaat erdulden muss, dann macht das. Eine Gefahr für den Frieden wäre das nicht, denn auf diesem Wege werdet ihr ebenso wenig wie der Iran zu einer Atombombe gelangen.
Die Drohung der Araber bedeutet im Kern, dass sie ebenfalls das Recht zur Urananreicherung fordern. Gemäß dem Atomwaffensperrvertrag, den die Golfstaaten ebenso wie der Iran unterzeichnet haben, haben sie dieses Recht eigentlich schon, denn der Vertrag erlaubt seinen Unterzeichnern die Beherrschung des gesamten Urankreislaufs, von der Anreicherung des Urans bis zur Wiederaufbereitung. In der Praxis allerdings wird dieses Recht längst nicht allen Staaten zugestanden.
Unverhohlene Drohungen der Araber
Saudi-Arabien, dessen ehrgeizige Pläne den Bau von 16 Reaktoren in den nächsten Jahrzehnten vorsehen, die bisher aber noch in der Planungsphase stecken, würde wohl auf entschiedenen Widerstand stoßen, sollte es tatsächlich Anlagen zur Urananreicherung bauen. Angesichts der keineswegs immer friedfertigen Politik des wahhabitischen Königreichs würde die Staatengemeinschaft ein saudisches Programm zur Urananreicherung wohl kaum mit weniger Misstrauen betrachten als ein iranisches.
Zwar könnte Riad mit ebenso viel Berechtigung wie Teheran sein „nationales Recht“ auf Urananreicherung einfordern, doch würde dies wohl Riad ebenso wenig bringen wie Teheran. Wie die US-Expertinnen Dina Esfandiary und Ariane Tabatabai anmerken, fehlen Saudi-Arabien darüber hinaus die nötigen Atomforscher und damit die technischen Fähigkeiten für ein eigenes Atomprogramm. Der Weg dahin wäre also kaum weniger lang und kostspielig als im Fall des Irans.
Die Vereinigten Arabischen Emirate wiederum, deren Pläne zum Bau von Reaktoren unter den Golfstaaten am weitesten fortgeschritten sind, haben sich 2009 in einem Abkommen mit den USA verpflichtet, auf Urananreicherung und Wiederaufbereitung zu verzichten. Die vier Reaktoren, die in Kooperation mit einem südkoreanischen Konsortium gebaut werden und von denen die ersten beiden im Jahr 2020 fertig sein sollen, sollen entsprechend aus Südkorea mit den nötigen Brennstäben versorgt werden.
Laut Tabatabai und Esfandiary ist zu bezweifeln, dass Saudi-Arabien oder die Emirate tatsächlich ihre Drohung wahrmachen und eine eigene Urananreicherung aufbauen. Eine „nu-kleare Domino-Reaktion“ am Golf ist demnach nicht zu erwarten. Doch warum dann die Drohung? Letztlich ist es wohl vor allem eine Taktik, die USA zu einer harten Haltung in den Atomverhandlungen zu zwingen und sie von einem Kurswechsel gegenüber dem Iran abzuhalten – eine Taktik, die bisher aufzugehen scheint.
Ulrich von Schwerin
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