Vernichtung eines Helden

Ungeachtet internationaler Proteste gehen die Massenprozesse gegen Irans Dissidenten weiter. Angeklagt ist auch Said Hajjarian, einer der Architekten der Demokratiebewegung und prominenter Reformer im Iran.

Von Charlotte Wiedemann

Er lächelte schief; das blieb in Erinnerung. Vielleicht weil Said Hajjarian, seit einem Mordanschlag schwerbehindert, es so verstörend heiter kommentierte: "Es muss mich noch mal einer von der anderen Seite anschießen, damit ich wieder gerade lächeln kann."

Das war vor acht Monaten. Ein Gespräch in Iran, einem anderen Iran. Hajjarian schien die Finsternis hinter sich zu haben; er ahnte nicht, was kommen würde.

Ein Revolutionär der ersten Stunde

Wir besuchten den 54jährigen damals als Zeitzeugen: Seine Biografie ist so dramatisch wie kaum eine andere in der Islamischen Republik. Mit 18 Jahren stürzt er sich in den Kampf gegen den Schah; belesen, talentiert, eher links wird der junge Ingenieur ein Revolutionär der ersten Stunde.

Von Beginn an geht es ihm um die Sicherheit des jungen Staates, er gründet ein Anti-Spionage-Komitee, baut den Geheimdienst mit auf. Ende der achtziger Jahre beginnt er neu zu denken: Nur durch Wandel kann die Islamische Republik überleben.

Er wird ein einflussreicher Reformintellektueller, enthüllt die Untaten seiner ehemaligen Geheimdienstkollegen - und wird dafür bestraft durch eine Kugel, die aus der Tiefe des Staatsapparats kommt und sein Gehirn trifft.

Hajjarian, teilgelähmt, artikulierte sich im Gespräch mit Mühe, schleppend und stotternd, und doch sprach er mit Freude, mit der intellektuellen Freude am Reden und Denken: über seine Vorliebe für angelsächsische Philosophie; über seine These, dass eine politisierte Religion stets zum Säkularen neige.

Vergangene Woche wird Hajjarian in den Saal des Teheraner Schauprozesses getragen. Frisch gebügelt der hellgraue Häftlingsanzug, einem Pyjama ähnlich. In einer orangefarbenen Plastikmappe, als müsse es vor Befleckung geschützt werden, ein absurdes Geständnis. Hajjarian widerruft sein Denken der vergangenen anderthalb Jahrzehnte.

Dokument der Selbsterniedrigung

Das sechsseitige Dokument der Selbsterniedrigung wird vorgelesen von einem Mitangeklagten, einem Vertrauten, der sonst auf politischen Sitzungen sein Sprachrohr ist.

Hajjarian entschuldigt sich beim Volk und bei den Studenten für seine politischen Theorien, für seine Empfehlungen westlicher Literatur, für die Anwendung von Max Weber auf die Analyse der iranischen Herrschaftsstrukturen. Am Ende erklärt er, gemeinsam mit dem Vertrauten, seinen Austritt aus der Mosharekat-Partei, der wichtigsten Reformergruppe.

Was ist mit diesem Mann in zwei Monaten Haft geschehen? Im Internet erzählen entlassene iranische Gefangene über die Phasen ihrer Gehirnwäsche. Als Ende Juni das Gerücht kursierte, Hajjarian sei in der Haft gestorben, durfte seine Frau, eine Ärztin, ihn kurz sehen.

Sie berichtete "Human Rights Watch" danach, ihr Mann stehe unter starkem Druck, habe ständig geweint. Die meisten der rund 140 Angeklagten im Schauprozess sind völlig von der Außenwelt isoliert.

Einmal gelang es einigen Ehefrauen, den Gestalten in den grauen Pyjamas etwas zuzurufen, als sie aus dem Gebäude des Revolutionsgerichts zurück zu den Gefängnisfahrzeugen geführt wurden. Die Frauen riefen die Namen ihrer Männer, sie riefen: "Liebling, du bist ein Held. Viele stehen hinter euch."

Abends um 20.30 Uhr zeigen die Nachrichten des Staatsfernsehens Ausschnitte vom nichtöffentlichen Prozess am Vormittag. Anfangs sahen sich das viele Iraner an; das erste Geständnis - durch den Geistlichen Mohammed Ali Abtahi, einst Vizepräsident - war spektakulär, schockierend.

Seitdem haben sich viele abgewandt; das Staatsfernsehen klagt insgesamt über sinkende Zuschauerzahlen, Künstler und Intellektuelle boykottieren seine Talkshows, und der zornige alte Großajatollah Montazeri hat wieder seine Dissidentenstimme erhoben: Die Gehälter beim Staats-TV seien haram, sündig, denn sie seien Lohn für Beihilfe zur Unterdrückung.

Verabscheuungswürdige Schauprozesse

Überzeugte Wähler von Ahmadineschad mögen die Selbsterniedrigungen im Schauprozess als Bestätigung empfinden. Unpolitische Iraner fühlen sich eher abgestoßen. Ein Teheraner Gemüsehändler um die 30 sagt über den Auftritt der Angeklagten in Pyjama und Badelatschen:

"Ich würde mich zu Tode schämen, wenn man mich öffentlich so vorführte und meine Frau das sähe." Es mache ihn traurig, wenn Leute, die höhere Ämter bekleidet hätten, derart gedemütigt würden.

Ältere Iraner kennen das Phänomen falscher Fernsehgeständnisse seit den frühen Jahren der Revolution. Manche historischen Beispiele stehen jetzt, wie zum Trost, bei YouTube.

Das Reformermilieu versucht, auf die menschlichen Katastrophen im Gerichtssaal mit einem heilenden Echo zu antworten, mit einer Atmosphäre von Solidarität, wenigstens im Internet. Als Hajjarian und sein Vertrauter im Prozess den Parteiaustritt erklären, schreibt Hanif Mazrui, ein bekannter Blogger: "Euer Austritt wird nicht anerkannt. Eure leeren Stühle warten auf euch."

Trotzdem illustriert der Fall Hajjarian eine Niederlage, die über das Individuelle weit hinausgeht. "Von unten Druck machen, oben verhandeln", diese Strategie für den Wandel hatte er vor einem Jahrzehnt entworfen: Die Zivilgesellschaft entwickeln, doch mit dem politischen Handeln den gesetzten Rahmen der Islamischen Republik respektieren. Nun ist er selbst zum zweiten Mal ein Symbol für die Schwäche ebenjener systemimmanenten Reformer.

Der Versuch, ihn physisch zu liquidieren, geschah im März 2000 am hellen Tag, im Zentrum Teherans. Seit drei Jahren war Präsident Chatami im Amt, Hajjarian sein engster Berater, zugleich noch Stadtrat und Chefredakteur.

Die Wachsoldaten in der Paradiesstraße rührten sich nicht, als die Täter auf einem Motorrad herandröhnten und Hajjarian ins Gesicht schossen. In seiner Zeitung hatte er Enthüllungen über die sogenannten Kettenmorde veröffentlicht, denen in den neunziger Jahren viele Intellektuelle zum Opfer fielen. Man darf die Attentäter im Fall Hajjarian in denselben Kreisen vermuten.

Zwei Wochen lag der Angeschossene im Koma; rund um die Uhr harrten junge Iraner vor dem Krankenhaus aus. Als Hajjarian aufwachte, konnte er nur die Augen bewegen. Iranische Chirurgen kamen aus dem Ausland und operierten ihn kostenlos. Danach kämpfte er jahrelang um den Rückgewinn von Leben, von Sprache. Wie ein Märtyrer wird er geliebt, respektiert, überhöht.

Wie alle führenden Reformer hat Hajjarian seine Vergangenheit nie öffentlich aufgearbeitet, sich nicht zu einer persönlichen Schuld bekannt. Im Gespräch verlieh er seiner Biografie künstliche Gradlinigkeit: "Ich bin seit 33 Jahren Reformer." Im Iran stoßen sich daran nur wenige; er blieb eine Projektionsfläche: für Identitätssuche, für Hoffnung. Gelähmt, nicht gebrochen.

Genau darum wird er verhaftet, drei Tage nach der Wahl am 14. Juni. Bei der Nachricht stockt vielen Iranern der Atem; sich an diesem Mann erneut zu vergreifen hat etwas Feiges. Aber manche haben noch eine Rechnung offen mit ihm.

Ohnehin sitzen im Schauprozess überwiegend nicht jene Jungen, die politischer Überdruss und Freiheitsdrang auf die Straßen trieb. Sondern die Bindeglieder zwischen ihnen und dem System: Grauhaarige, die wie Hajjarian Fleisch vom Fleische der Islamischen Republik sind. Mit ihnen endlich aufzuräumen, dazu ist jetzt Gelegenheit.

Ringen im Herzen des Systems

Der Schauprozess ist nur eine Bühne des Teheraner Machtkampfs. Die entscheidende Front verläuft nicht zwischen Falken und Tauben, zwischen Reaktion und Reform. Das erbitterte Ringen um den Charakter des Staates findet vielmehr im Herzen des Systems statt, in seinen zentralen Institutionen und zwischen ihnen. Ein Kampf mit hektischen, oft willkürlich wirkenden Zügen.

Kaum hatte der Ankläger im Schauprozess für Hajjarian die höchstmögliche Strafe gefordert, also ein potenzielles Todesurteil, beschwichtigte Revolutionsführer Ali Chamenei mit einer überraschenden Wende:

Es sei nicht erwiesen, dass "die Anführer der jüngsten Ereignisse" mit dem Ausland in Verbindung gestanden hätten. Präsident Ahmadineschad widersprach sofort - in der Islamischen Republik ein unerhörter Akt. Keiner hat sich je getraut, dem Führer öffentlich so die Stirn zu bieten.

Ahmadineschad versucht, Eigenständigkeit zu gewinnen, mehr als je ein Präsident zuvor. Dass er erstmals Frauen zu Ministerinnen macht, passt in diese Linie. Aber was will er? Aus der Republik, der iranischen Halbdemokratie einen Islamischen Staat machen?

Binnen Tagen hat Khamenei an die Spitze der Justiz Männer seines Vertrauens befördert, Gegner der Allmachtspläne von Ahmadineschad und den Revolutionsgarden.

Der neue Justizchef Sadegh Larijani entfernte sofort den furchtbarsten Juristen Irans aus dem Amt: den Teheraner Staatsanwalt Said Mortasawi, seit Langem der Folter und des Mordes beschuldigt. Ist das der Beginn einer Selbstbesinnung oder nur Willkür?

Gleich drei Kommissionen sollen nun schwere Menschenrechtsverletzungen untersuchen, vor allem in den Haftanstalten. In der sogenannten Wahrheitskommission des Parlaments ringen die Verfechter der Aufklärung und der Vertuschung miteinander, auf beiden Seiten sind Konservative, und ihr Thema könnte sensibler kaum sein.

Es ist ein schlimmer Vorwurf: Dass in den Gefängnissen Frauen wie Männer vergewaltigt wurden. Ein bekannter Journalist berichtete Khamenei persönlich von seiner Vergewaltigung.

Die Islamische Republik gibt sich Blößen, mehr als je zuvor. Und gerade dies zeigt, wie ungewiss alles Weitere ist

© Charlotte Wiedemann

Charlotte Wiedemann ist freie Autorin und Journalistin u.a für die Zeit und die Süddeutsche Zeitung. Zuletzt erschien ihr Buch "Ihr wisst nichts über uns. Meine Reisen durch einen unbekannten Islam" im Herder-Verlag.

Qantara.de

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