Meine Nachbarn, die Muslime
Wie ein Kriegsheimkehrer kommt Daniel von einer Undercover-Aktion des Verfassungsschutzes zurück. Mit all seinen Wunden an Körper und Seele wird er mitten in Neukölln in einer heruntergekommenen Wohnung ausgesetzt, in der er drei Monate lang untertauchen soll, bis sich die Wogen geglättet haben, nach einer umstrittenen Aktion im Neonazi-Milieu von Hamburg.
Frederick Lau spielt diesen Daniel als schweigsamen, verstörten jungen Mann, in dessen Zügen sich auch die Zweifel an den Institutionen von Überwachung und Verbrechensbekämpfung spiegeln, die auch schon vor der NSA-Affäre schwelten.
Die ersten Begegnungen in der neuen Umgebung sind noch von berufsmäßigem Misstrauen vergiftet, gegenüber der hübschen Nachbarin, die ihn freundlich willkommen heißt oder dem Besitzer des Gebrauchtelektronikladens (Kida Khodr Ramadan), der ihm ein altes Fernsehermonstrum aufschwatzt.
Doch dann dauert es nicht mehr lange, bis Vorurteile und Berührungsängste aufgeweicht werden, durch die unkomplizierte Freundlichkeit, mit der ihm hier in einem Akt umgekehrter Integration die Türen zur fremden Kultur geöffnet werden.
Neukölln als ganz normaler Lebensraum
Keine brodelnde Gewalt, keine gärende Aggressivität, keine Abzocke, kein Terrorverdacht: Auf angenehme Weise wird Neukölln hier mal nicht als Krisengebiet vorgeführt, sondern einfach nur als ganz normaler Lebensraum gezeigt. Der Taxifahrer brummelt zwar noch etwas von "schlechter Gegend", doch danach ist es mit den Klischees vom Problemkiez auch schon fast wieder vorbei.
Ganz bewusst entwirft der Deutschtürke Cüneyt Kaya ein Gegenbild zu den gängigen Vorurteilen. Sein Spielfilmdebüt lässt sich durchaus als Einladung in die muslimische Gemeinschaft verstehen, die der Titel so freundschaftlich schlicht benennt.
Hier und da mag das ein kleines bisschen zu märchenhaft anmuten, doch Kida Khodr Ramadan macht die Figur des versöhnlichen Agenten der Völkerverständigung menschlich nachvollziehbar - ein Mann, der sich gegen fundamentalistisches Schwarzweißdenken sperrt. Auch Verfassungsschutz und Polizei sind in ihren fremdenfeindlichen Aktionen ein wenig zu polternd überzeichnet.
Trotzdem bringt Kaya seine Geschichte auf so unaufgeregt leise Art in Gang, dass man sich gerne hineinziehen lässt. Mit dem ziemlich unbedarft neugierigen Neuberliner, der auch mal Alkohol zur muslimischen Hochzeitsfeier mitbringt, sich dann aber wieder interessiert auf die Korankurse einlässt, erlebt man eine Kultur, die eben nicht nur für Ehrenmorde und Kopftuchzwang steht, sondern auch für Gastfreundschaft. Gerade als Daniel in seiner neuen Heimat angekommen ist, geraten seine Freunde ins Visier seiner Arbeitgeber, und er muss sich entscheiden, ob er zum Whistleblower oder zum Freundesverräter wird.
Anke Sterneborg
© Süddeutsche Zeitung 2013
Ummah - unter Freunden. D 2013. Buch und Regie: Cüneyt Kaya. Kamera: Sebastian Bäumler. Schnitt: Laylah Naïmi. Musik: Frank Schreiber. Mit: Frederick Lau, Mona Pirzad, Kida Khodr Ramadan, Burak Yigit, Verleih: Senator. 107 Minuten.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de