Die Saat der Indoktrination ist aufgegangen

Auch unter Präsident Obama haben die USA nur wenig Einfluss auf die Entwicklung in Pakistan. Der extremistischen Gefahr müssen die Pakistaner selber Herr werden, meint Thomas Bärthlein in seinem Kommentar.

Hamid Karsai, Barack Obama und Asif Ali Zardari auf dem Dreiergipfel in Washington im Mai 2009; Foto: DW
Sorge um Pakistan: US-Präsident Obama lud die Staatschefs Afghanistans und Pakistans zu einem Dreiergipfel nach Washington, um eine neue Strategie im Kampf gegen die Taliban zu erörtern.

​​Während die pakistanische Regierung immer wieder verspricht, entschlossen gegen militante Islamisten vorzugehen, scheint der Siegeszug der Taliban unaufhaltsam. Mit wachsender Ungeduld beobachten vor allem die USA, die Pakistans Präsident Zardari in dieser Woche besucht, das Scheitern der moderaten Kräfte.

Pakistan steckt in einer schweren Krise, und das deutlichste Anzeichen dafür ist die Ratlosigkeit, die sich angesichts des Vormarschs der Taliban im Land breit gemacht hat. Weder die einflussreiche Armee, noch die zivilen Politiker, noch sonst jemand in der Öffentlichkeit scheint ein Rezept gegen die Radikalen zu haben.

Mal wird mit ihnen verhandelt wie im Swat-Tal in Kaschmir, wo die Regierung der Einführung der Scharia zustimmte, dann werden wieder Bomben geworfen, die leider auch Zivilisten treffen.

Die Armee versagt in der Aufstandsbekämpfung völlig, lehnt aber gleichzeitig hartnäckig alle Ausbildungsangebote der USA ab – denn sie sieht ihren eigentlichen Feind nach wie vor in Indien. Die zivilen Politiker sind vor allem mit ihren eigenen Rivalitäten beschäftigt und wirken konfus.

Erfolg durch Einschüchterung

Die gut organisierten Taliban wiederum demonstrieren Stärke und stoßen konsequent in jedes Machtvakuum vor. Zu einem ganz erheblichen Teil basiert ihr Erfolg schlichtweg auf Einschüchterung.

In Swat und anderen Gebieten haben sie ihre Kritiker entweder getötet oder in die Flucht geschlagen. Es zeichnet sich ab, dass immer mehr Pakistaner, die nicht in ihr engstirniges Weltbild passen, Angst um ihre Sicherheit haben müssen, und zwar landesweit – vor allem religiöse Minoritäten wie Sikhs, Christen und auch Schiiten.

Flucht aus dem Swat-Tal; Foto: AP
Flucht als Anzeichen für eine schwere Krise: Der unaufhaltsame Vormarsch der Taliban macht die gegenwärtige Schwäche der moderaten Kräfte offenkundig.

​​Der Kern des Problems ist, dass die in Pakistan gewöhnlich als "jihadistisch" bezeichnete Ideologie der Intoleranz und religiösen Militanz über Jahrzehnte systematisch gefördert worden ist, besonders vom Militär seit den Zeiten des Diktators Zia ul-Haq. Das geschah eine Zeitlang mit tatkräftiger Unterstützung der USA, die mit den radikalen Kräften im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan paktierten.

Tief sitzende Indoktrination

Jetzt zeigt sich, dass die Indoktrination so tief sitzt und so sehr Teil der nationalen Identität geworden ist, dass Pakistan Schwierigkeiten hat, sie abzuschütteln.

"Jihadisten", die in Afghanistan gegen die NATO oder in Kaschmir gegen Indien kämpfen, können sich immer noch breiter Sympathien in Pakistan sicher sein. Wer gegen die Einführung der Scharia Stellung nimmt oder säkularen Vorstellungen anhängt, setzt sich dagegen dem Verdacht aus, gegen den Islam zu sein.

Das anti-westliche Klima in Pakistan hat viel mit der weithin als anti-muslimisch begriffenen Politik der Bush-Regierung zu tun. Doch in diesem Klima sind gefährliche, wirre Ideen herangereift, die spätestens jetzt vielen Pakistanern selbst Angst einjagen.

Thomas Bärthlein; Foto: DW
Thomas Bärthlein: "Es zeichnet sich ab, dass immer mehr Pakistaner, die nicht in das engstirnige Weltbild der Taliban passen, Angst um ihre Sicherheit haben müssen - und zwar landesweit."

​​Eine einfache Lösung gibt es nicht dafür, schon gar nicht von außen. Die US-Regierung hat verstanden, dass Pakistan eine Schlüsselrolle für Afghanistan spielt.

Dollars und Drohnen-Angriffe

Sie weiß auch, dass die frühere Regierung des Generals Musharraf die Welt an der Nase herumgeführt hat, als sie versprach, die Radikalen zu bekämpfen. Aber die so genannte "neue Strategie" der Amerikaner bietet im wesentlichen die alten Rezepte für Pakistan: Eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, sprich Dollars und Drohnen-Angriffe.

Die Regierung in Washington ist weitgehend hilflos, weil Druck aus den USA das Misstrauen und das Gefühl der Isolation in Pakistan nur verstärkt und somit den Radikalen in die Hände spielt.

In Wirklichkeit kann sich Pakistan nur selbst aus diesem Schlamassel befreien. Die einzige Hoffnung besteht darin, dass das Ausmaß der Bedrohung jetzt genügend Pakistanern klar wird, und dass sie handeln, bevor es zu spät ist.

Thomas Bärthlein

© Deutsche Welle 2009

Thomas Bärthlein ist stellvertretender Leiter der Südostasienabteilung der Deutschen Welle.

Qantara.de

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