Schwarzer Tag für "Weiße Ritter"
"Und der Nobelpreisträger für Straffreiheit ist … Ägypten!", schreibt der Menschenrechtsanwalt Gamal Eid, und reflektiert damit den Unmut vieler Ägypter, nachdem am Abend zuvor mindestens 22 jugendliche Fans des Kairoer Vereins Zamalek bei Zusammenstößen und einer Massenpanik vor einem Stadion im Osten der Hauptstadt ihr Leben gelassen haben. "Wer trägt hierfür die Verantwortung?", lautete allerorten die Frage.
Die Videos, die sich am Abend zuvor wie ein Lauffeuer im Internet verbreitet haben, hatten alle Zuschauer in einen Schock versetzt. In dem Film sind Fußballfans zu sehen, die fassungslos über Dutzende von Leichen stolpern und beginnen vor dem Stadion die Toten einzusammeln und die Verletzten zu versorgen. Überall liegen die blutverschmierten - normalerweise strahlendweißen - Trikots der auch als "Weiße Ritter" bekannten Zamalek-Fans herum, neben Bergen von Schuhen.
Eigentlich wollten sie ein Fußballspiel zwischen ihrem Verein Zamalek und dem Club ENPPI besuchen. Doch dann ging alles schief. Doch was genau falsch gelaufen ist, darüber kursieren die unterschiedlichsten Versionen.
Ein Regierungssprecher hatte noch in der Nacht zum Montag (09.02.2015) erklärt, dass die Fans versucht hätten, ohne Tickets ins Stadium zu kommen und von den Sicherheitskräften aufgehalten wurden. Dabei es zu einer Massenpanik gekommen, bei der die meisten Opfer erdrückt und zertreten wurden oder erstickten. Die Polizei räumte inzwischen ein, Tränengas eingesetzt zu haben.
Entfesselte Gewalt
Möglicherweise war dies wohl nicht das einzige Mittel, um die Fans in die Schranken zu weisen. Denn Videos belegen, wie maskierte Polizisten mit Schrotgewehren schießen, um die aufgebrachte Menge vom Eingang des Stadions zu vertreiben. Und das ägyptische Staatsfernsehen beeilte sich, die Fußballfans für den Vorfall verantwortlich zu machen – sie hätten versucht, das Stadion ohne Ticket zu betreten.
Dagegen werfen Fans und Augenzeugen der Polizei vor, dass die gewalttätigen Auseinandersetzungen begannen, als die Sicherheitskräfte versuchten, die Fans durch ein enges, mit Stacheldraht bewehrtes Tor zu schleusen. In dem Gedränge sei das Tor schließlich zusammengebrochen. Daraufhin habe die Polizei damit begonnen, die Menschen regelrecht abzudrängen. Die Folge: eine Massenpanik, die dadurch noch verstärkt worden sein soll, als die Polizei Tränengas einsetzte um die aufgebrachte Menge in den Griff zu bekommen.
Trotz der chaotischen Szenen außerhalb des Stadions wurde das Spiel angepfiffen. Nur ein einziger Spieler Zamaleks, Omar Gaber, weigerte sich anzutreten, nachdem er von dem Vorfall erfuhr. Dafür wurde er jetzt bis auf weiteres gesperrt.
Politisierte und regimekritische Clubs
Auch das Vorstandsmitglied des Zamalek-Fußballclubs Ahmad Mansour macht die Fans für die Tragödie verantwortlich. "Niemand darf ein Spiel ohne gültiges Ticket besuchen. Fußball ist nur für respektable Fans. Gangs werden nicht zugelassen", schreibt er auf seiner Facebook-Seite. Als Antwort kursierte ebenfalls auf Facebook das Foto der Leiche des jüngsten Opfers, ein siebenjähriger Junge, dessen Hand sich fest um eine Schokoladen-Croissant klammert.
Seit der Zeit des Aufstandes gegen Langzeitdiktator Mubarak ist das Verhältnis zwischen den Ultra-Fußballfans der Kairoer Vereine Zamalek und Ahly zu den Sicherheitskräften und der Regierung angespannt. Beide Fangruppen hatten an den Protesten gegen das Regime im Jahr 2011 aktiv teilgenommen. Viele waren im Verlauf der Januar-Revolution bei den gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei ums Leben gekommen.
Ein Jahr darauf war es im Fußballstadion von Port Said zu Auseinandersetzungen zweier Fangruppen gekommen, bei denen 74 Fans des Kairoer Vereins Ahly starben. Die Fans warfen damals der Polizei vor, die Auseinandersetzungen bewusst geschürt zu haben – als Revanche für den Einsatz der Ultras auf dem Kairoer Tahrir-Platz gegen die Sicherheitskräfte und das Mubarak-Regime.
Der Fußball war in den letzten Jahren in Ägypten immer wieder hochgradig politisch aufgeladen, viele Fans gelten als regimekritisch. Nach dem gestrigen blutigen Vorfall hat der Kairoer Fußballverband nun beschlossen, die erste Liga bis auf weiteres auszusetzen.
Karim El-Gawhary
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