Von der Hoffnung zur Verzweiflung
Ein Film, der sich künstlerisch mit der jüngsten Vergangenheit Tunesiens auseinandersetzt, läuft immer Gefahr, den Ikonen der Revolution und Stereotypen zu verfallen, auch wenn die Ereignisse schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen. Wie also kann man Mohamed Bouazizi, der mit seiner Selbstverbrennung die arabischen Revolutionen auslöste, auf die Leinwand bringen?
Wie kann man eine ganze Generation von Bouazizis darstellen, die genauso wütend sind, wie es Bouazizi damals war? Der einzige Unterschied zu heute ist, dass es niemanden mehr interessiert, wenn sich jemand selbst verbrennt. Wir haben uns an solche Akte der Verzweiflung gewöhnt und sind durch die Wiederholung des Monströsen abgestumpft.
Der tunesische Film "Asyan“ (dt. Rebellion) von Jilani Saadi ist eine Mischung aus Fantasy und Roadmovie. Mittels einer übernatürlichen Kraft werden die vier Protagonisten aus Tunis an einen fernen Ort versetzt. Auf dem Rückweg in die Hauptstadt erblicken sie am Horizont zwei Städte, die sich ähneln.
Die weitere Handlung besteht aus einem sinnlosen Raub und kleinen Streitereien zwischen den Weggefährten. Gleichzeitig schwelt im Hintergrund eine stetig wachsende Wut, ein Aufbegehren, das zwischen Randale und Selbstverstümmelung schwankt und sich schließlich auf komische Weise entlädt. Es ist eine Art Satire am Rande der Verzweiflung, in der sich zugleich eine nihilistische Lust an der Zerstörung offenbart.
Das Krimi-Genre ausgereizt
Youssef Chebbi hingegen setzt in seinem Film "Ashkal“ (2022) auf das Genre des Krimis mit - vielleicht etwas übertriebenen - Anklängen an Hollywood. Eine Polizistin untersucht eine Reihe von Leichen, die auf Baustellen in Tunis verbrannt aufgefunden wurden. Dabei enthält sich der Film jeglicher politischer oder sozialer Bezüge und führt uns in ein Labyrinth unvollständiger Vermutungen und letztlich unerfüllter Erwartungen.
Auch hier findet eine bewusste Sabotage des Genres statt, denn das rätselhafte Verbrechen wird nicht aufgedeckt und am Schluss bleiben alle Möglichkeiten offen. Die Handlungsstränge verwirren sich und das unbefriedigende Warten löst bei den Protagonisten einen Zustand der Verzweiflung aus. In der Schlussszene sehen wir, wie sie unter dem Einfluss einer geheimnisvollen hypnotischen Kraft losrennen, um sich in eine gewaltige Feuersbrunst zu stürzen.
Mit "Harka“ (dt. "Tiefsitzender Schmerz"), seinem ersten Spielfilm, kommt der Tunesier Lotfy Nathan dem historischen Bouazizi am nächsten. Die Handlung ist zehn Jahre nach der Revolution angesiedelt. Die Hauptfigur Ali ist freilich nicht Bouazizi. Ali verkauft geschmuggeltes Benzin am Straßenrand und lebt allein in einem verlassenen Haus. Die bekannte Geschichte mit garantiert tragischem Ausgang mischt sich mit einem Familiendrama.
Ali träumt von der illegalen Emigration, sieht sich aber nach dem plötzlichen Tod seines Vaters vor vollendete Tatsachen gestellt. Denn sein älterer Bruder verlässt die Familie, um im Tourismus zu arbeiten, und Ali bleibt mit der Verantwortung für seine beiden Schwestern Sarah und Alisa zurück.
Von allen Seiten kommt Wut auf uns zu
Alis Vergangenheit bleibt ein weißer Fleck. Wir erfahren nichts über die Gründe für seine Distanz zur Familie und seinen Hass auf den Vater. Diese Unklarheit bleibt auch bestehen, als er zu seinen beiden Schwestern zurückkehrt, aber darauf besteht, nicht im Haus, sondern im Hof zu schlafen.
Der Film verzichtet bewusst darauf, die Hintergründe der Protagonisten vollständig auszuleuchten und zu glätten. Die Leerstellen, die dadurch in Alis Geschichte entstehen, könnten mit den Fragmenten aus den Geschichten Tausender Anderer gefüllt werden.
Durch die Konzentration auf die Bildsprache versucht der Film, sich den ikonischen und historischen Stereotypen zu entziehen. Obwohl Ali kaum ein Wort spricht, erzeugen die Nahaufnahmen seines Gesichts und seiner Augen ein Gefühl der Schwere, das durch die Aufnahmen der weiten und zugleich bedrückenden Wüste noch verstärkt wird.
Alis Geschichte wird in Rückblenden von seiner jüngeren Schwester Sarah erzählt, was eine weibliche und unschuldige Perspektive auf eine männliche, wütende Welt ermöglicht.
Am Ende stellt sich die Frage, ob es durch die künstlerische Bearbeitung im Film gelungen ist, der Stimme Bouazizis wieder Gehör zu verschaffen. Oder ging es nur darum, die Wut in möglichst vielen Formen zu zeigen, damit wir sie von allen Seiten auf uns zukommen sehen?
Shady Lewis Botros
© Qantara.de 2023
Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk