Nordafrika und die Arabellion im Kino
Aktionen von Gewerkschaftlern, Kampf für Menschenrechte und ein Universitätsprofessor, der seinen Posten aufgibt, um sein Ideal zu verteidigen: Die Geschichten, die in dem tunesischen Film "Al Oustadh" erzählt werden, entsprechen dem Geist der Revolution in dem nordafrikanischen Land. Eine Revolution, die im Januar 2011 den tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali zu Fall gebracht hatte und Auswirkungen für die gesamte arabische Welt hatte.
Bemerkenswert ist, dass der Film schon im Jahre 2010 gedreht wurde. "Bis heute wollen viele nicht glauben, dass ich den Film vor der Revolution gedreht habe", erzählt Mahmoud Ben Mahmoud. Zustande kam der Film wohl nur deshalb, weil er in erster Linie historische Ereignisse schilderte: die Gründung der tunesischen Liga für Menschenrechte 1977 unter dem ersten Präsidenten Tunesiens Habib Bourguiba.
Doch war es ein Anliegen von Mahmoud Ben Mahmoud mit "Al Oustadh" auch aktuelle Einschüchterungen von Menschenrechtlern und Journalisten anzuprangern. Als der Film 2012 in die Kinosäle Tunesiens kam, hatte der langjährige Herrscher Zine el-Abidine Ben Ali sein Land schon fluchtartig verlassen.
Drohende "Afghanisierung" der Gesellschaft
Seinen nächsten Film will Ben Mahmoud nun den Problemen Tunesiens nach der Revolution widmen. Dabei ist er weniger wegen der aktuellen Regierungskrise besorgt. Mehr Sorgen bereitet ihm der wachsende Einfluss radikalislamischer Salafisten. Aber: trotz schlechter Wirtschaftslage und den jüngsten politischen Anschlägen zeigt sich Mahmoud Ben Mahmoud optimistisch. Er glaubt, dass die Krise durch einen Dialog gelöst werden kann. Die von den Islamisten geführte Regierung genieße nicht die Unterstützung der Armee und könne sich nicht mit Gewalt an der Macht halten, sagt Ben Mahmoud.
Viel beunruhigender sei dagegen der Salafismus, der eine "Afghanisierung" der Gesellschaft auslösen kann. "Wir in Tunesien sind schon lange Muslime", erzählt der Filmemacher: "Aber die Salafisten wollen uns eine Weltanschauung aufzwingen, die uns fremd ist: das islamische Gesetz in seiner brutalsten Form, die das humanistische Gesicht des Propheten ignoriert". Deswegen will Ben Mahmoud als Filmemacher seinen Beitrag zum Kampf gegen die gewaltbereite Gruppe leisten und Alarm schlagen.
Auch die Vorgänge in Ägypten werden von einigen neuen arabischen Filmen untersucht. Die Dokumentation "Istislam - Submission" wirft ein Licht auf eine andere, moderatere, islamistische Bewegung: die Muslimbrüderschaft in Ägypten. Gedreht 2012 während der Präsidentschaftswahl, die Mohammed Mursi an die Spitze des Landes brachte, zeigt der Film nicht nur das politische und religiöse Engagement der Muslimbrüder, sondern auch deren soziale Aktivitäten. "Die Muslimbrüderschaft zeigte Präsenz auf der Straße", erklärt Regisseurin Mona El-Naggar, "ihr soziales Netzwerk und ihre Wohltätigkeitsaktivitäten gaben ihr mehr Kraft, als wenn sie nur eine politische Organisation gewesen wäre."
Für ihre Recherche konnte die Filmemacherin wichtige Vertreter der Organisation treffen und während vieler Veranstaltungen filmen. So besuchte sie mit ihrer Kamera auch einen Kurs, bei dem junge Leute auf die Ehe vorbereitet werden. Dort lernen die Teilnehmer, dass es für eine junge Frau wichtiger ist, kochen zu können, als gute Noten in der Schule zu haben.
Oder auch, dass Polygamie für Frauen vorteilhaft sein soll. Ansichten, die ein westliches Publikum hierzulande schockieren. In der konservativen ägyptischen Gesellschaft sei dies aber noch verbreitet, so Mona El-Naggar. Ein Jahr nach dem Dreh hat sich das Blatt für die Bruderschaft inzwischen gewendet: Präsident Mursi wurde zunächst von der Armee abgesetzt, diese übernahm die Macht, die Organisation der Muslimbrüder wurde sogar ganz verboten.
"Als verbotene Opposition unter politischer Unterdrückung zu funktionieren, ist etwas ganz anders, als an die Macht zu kommen und ein Land zu führen", sagt die Filmemacherin. Viele Menschen seien von Mursi enttäuscht worden. Sie hatten den Eindruck, dass die Brüderschaft mehr daran interessiert gewesen ist, ihre Macht auszubauen, als sich um das Land zu kümmern, die Wirtschaftslage zu verbessern und Stabilität wieder herzustellen.
Die Schatten des "schwarzen Jahrzehnts" in Algerien
Dass auch Algerien einen ähnlichen politischen Umbruch wie Tunesien und Ägypten erleben könnte, glaubt der Filmemacher Anis Djaad nicht. "Algerien hat schon eine sehr schwierige Zeit hinter sich, die tausende von Todesopfern gefordert hat", sagt der Regisseur, der für eine Demokratisierung auf friedliche Art plädiert. Der Bürgerkrieg in den 1990er Jahren, das sogenannte "schwarze Jahrzehnt" habe tiefe Spuren hinterlassen. Der Kurzfilm "Le Hublot" von Anis Djaad erzählt von mangelnden Perspektiven der Jugend in Algerien: "Es fehlen individuelle Freiheiten, aber auch ein kulturelles Ideal in der Gesellschaft", erklärt der Filmemacher.
"Heute sind alle Theater und Kinosäle verschwunden. Die jungen Leute hängen nur auf den Straßen herum und sind desillusioniert". Ihr Frust führe dann oft zur Gewalt. Nach den Terrorjahren sei das Land heute in einer zweiten Phase und brauche mehr Freiheiten, glaubt Anis Djaad: "Die Gesellschaft muss auch die positiven Aspekte des Lebens wie Theater und Kino wieder kennenlernen."
Aude Gensbittel
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Redaktion: Jochen Kürten/DW & Arian Fariborz/Qantara.de