Wandel durch Handel?
Kaum war die Tinte unter dem am 14. Juli 2015 unterzeichneten Iran-Atomdeal getrocknet, landete der damalige Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel mit einer großen Wirtschaftsdelegation in Teheran. Die Deutschen hatten sich als erste in Erwartung wegfallender Sanktionen dorthin begeben. Immerhin wurde Iran von Finanzagenturen als die lukrativste ökonomische Bonanza nach dem Zerfall der Sowjetunion beworben.
Die Reise des Vizekanzlers aber rief prompt Kritik hervor: Sie sei ein frühreifes, wenn nicht gar falsches Signal an ein unverändert autoritäres Regime. Indes wurde die Wiederbelebung wirtschaftlicher und auch politischer Beziehungen als Teil einer Politik des „Wandels durch Handel und Annäherung“ rationalisiert und damit weitgehend der Kritik entzogen.
Die Wirtschaftsimperien der Revolutionswächter
Nun ist nach dem Ende der ersten Amtszeit von Präsident Hassan Rohani die Zeit für eine erste Bilanz gekommen: Hat die europäische Annäherungspolitik einen Wandel in der Islamischen Republik Iran begünstigt oder eher nicht?
Nach wie vor wird die Hoffnung gehegt, dass mit einer Öffnung zum Westen hin auch die so wichtigen Spielräume für die iranische Zivilgesellschaft größer werden. Doch die Fakten sprechen eine etwas andere Sprache: Erstens, hat sich unter Rohani die Menschenrechtssituation noch verschlimmert.
Iran hält in puncto Anzahl der Exekutionen einen beschämenden Rekord, der nur noch von China übertroffen wird.
Zweitens, vom Großteil der nach dem Atomdeal abgeschlossenen Kaufverträge mit Iran profitierten die Wirtschaftsimperien der Revolutionswächter, des Obersten Führers Ali Khamenei sowie der Bonyâds, steuerbefreite islamische Stiftungen.
Wie die Nachrichtenagentur Reuters im Januar 2017 offenlegte, gingen von knapp 110 Wirtschaftsabschlüssen im Umfang von mindestens 80 Milliarden US-Dollar, die nach dem Atomdeal vom Juli 2015 abgeschlossen wurden, 90 an Unternehmen, die sich entweder im Besitz oder unter der Kontrolle staatlicher iranischer Instanzen befinden.
Mit anderen Worten, von der Wiederbelebung des Handels mit dem Ausland profitierte fast ausnahmslos der autoritäre Staat.
Dies wiederum ist vor dem Hintergrund der real existierenden, politischen und ökonomischen Machtverhältnisse in der Islamischen Republik wenig überraschend, denn diese gesteht der Privatwirtschaft nur eine marginale Rolle zu.
Drittens hat die auswärtige Kulturpolitik nur unzureichend die gesamte Bandbreite der iranischen Kulturszene einbezogen. Vielmehr wurden vor allem jene Wege beschritten, die die Islamische Republik vorgab. Und viertens wurde Rohanis Politik der Mäßigung gegenüber dem Westen zunehmend durch eine hegemoniale Regionalpolitik Irans konterkariert.
„Autoritäre Stabilität": Das Scheitern eines Paradigmas
Wie der „Arabische Frühling“ dramatisch vor Augen führte, hat sich das jahrzehntelange Hofieren von Autokraten im Nahen Osten durch den Westen als wenig nachhaltig erwiesen. Die Politik der „autoritären Stabilität“ und die damit einhergehenden Geschäftsbeziehungen innerhalb eines neoliberalen wirtschaftspolitischen Rahmens haben es den Eliten ermöglicht, sich an der Bevölkerung vorbei zu bereichern.
Ausgerechnet die Spitzen der als wirtschaftlich erfolgreich und politisch stabil gepriesenen Regime in Tunesien und Ägypten wurden zuerst davongejagt. Die auch durch die Beziehungen zum Westen forcierte soziale Ungleichheit und die zementierten autoritären Strukturen entpuppten sich sodann als Motor der arabischen Revolutionen.
Nun wird der Einwand formuliert, Iran sei viel besser aufgestellt als seine arabischen Nachbarn. Abgesehen von der ausgeprägten iranischen Zivilgesellschaft mit ihrem jahrhundertelangen Kampf gegen Diktatur und für Demokratie ist diese Vorstellung allerdings kaum haltbar.
Denn die sozioökonomischen Indikatoren zeichnen ein ähnlich desolates Bild des Iran wie von anderen Ländern der Region: Auf der einen Seite gibt es eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter der Jugend, und massive Armut, während einige Wenige über einen immensen Reichtum verfügen.
Andererseits ist der Großteil der Bevölkerung politisch unmündig und ihr Schicksal liegt in den Händen einer ausschließlich islamistischen Elite. Das Potential für Unruhen und Aufstände ist somit gegeben. Bei genauer Betrachtung also ist die gegenwärtig existierende Stabilität Irans eher fragiler Natur.
Politische Neujustierungen sind notwendig
Was können nun Deutschland und Europa besser machen? Deutschland im Besonderen und die Europäische Union im Allgemeinen sollten ihr wirtschaftliches und politisches Gewicht stärker in die Waagschale werfen.
Für Berlin besteht das Gewicht seiner Beziehungen zu Iran in seiner zentralen Position bei der Modernisierung der iranischen Industrielandschaft, der guten Reputation, die Deutschland bei allen Fraktionen der politischen Elite Irans genießt und seiner maßgeblichen Rolle bei der Wiederaufwertung des Landes auf dem internationalen Parkett.
Zunächst sollte sich Berlin für eine gemeinsame europäische Iran-Politik stark machen, die universellen Prinzipien statt kurzfristigen Wirtschaftsinteressen der Mitgliedsstaaten verpflichtet ist.
Obgleich solch eine Forderung realitätsfern erscheinen mag, wird ein Ausbleiben einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik in einer zunehmend multipolaren Welt den Einfluss des „alten Kontinents“ im 21. Jahrhundert deutlich schmälern.Oder wie es der außenpolitische Sprecher von
Bündnis90/Die Grünen, Omid Nouripour, Ende Mai 2017 ausdrückte: „Wenn die Europäer nicht endlich mit einer Stimme sprechen, dann werden sie sich bald von der weltpolitischen Bühne verabschieden.“ Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert eine Kopplung von Iran-Geschäften an Menschenrechte.
Somit könnten die vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) formulierten Lehren aus dem „Arabischen Frühling“ auch in der Iran-Politik Anwendung finden. Denn nur durch eine Harmonisierung der Außenpolitik mit einer Entwicklungspolitik, die das Wohl der Bevölkerungsmehrheit im Blick hat, kann die Politik gegenüber diesem wichtigen Land auf eine nachhaltige Grundlage gestellt werden.
Dabei muss es das Ziel sein, eine inklusive und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung Irans zu fördern.
Die Iran-Politik während der ersten Amtszeit von Präsident Rohani ähnelte eher dem alten und als gescheitert zu erachtenden Paradigma der „autoritären Stabilität“.
Um eine Kehrtwende einzuleiten, die uns den erstrebenswerten Zielen einer Politik des „Wandels durch Annäherung“ näherbringt, müsste eine Vertiefung der Beziehungen zu Teheran während Rohanis zweiter Amtszeit an folgende Bedingungen geknüpft werden: Der Westen sollte deutlicher darauf drängen, dass Menschenrechte eingehalten werden und Teherans Politik in der Region mehr zur Deeskalation beiträgt, als das momentan der Fall ist.
Außerdem sollte der Iran Wirtschaftsreformen angehen, die es breiten Teilen der Bevölkerung erlauben, am Wirtschaftswachstum (das bis dato nicht inklusiver Natur war) teilzuhaben. Ähnliche Empfehlungen haben anlässlich der iranischen Präsidentschaftswahl auch Johann Wadephul, Berichterstatter zu den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, der Golfstaaten und Iran in der CDU/CSU-Fraktion, und Omid Nouripour, beide im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags, formuliert.
Diese notwendigen innen- und außenpolitischen Korrekturen werden dazu beitragen, sowohl die westliche Iran-Politik auf nachhaltige Füße zu stellen, als auch den Aspirationen der iranischen Bevölkerung gerecht zu werden.
Ali Fathollah-Nejad
© Qantara.de 2017
Ali Fathollah-Nejad ist Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und am Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Kennedy School.