"Bewaffneter Widerstand ist ihre einzige Wahl"
Noch vor fünf Jahren war Dakhla ein abgelegener, heruntergekommener Fischerort an der Spitze einer schmalen Halbinsel zwischen dem Atlantischen Ozean und der Saharawüste. Seither hat sich der Ort zu einer Stadt mit einer Reihe von Strandbädern, internationalen Hotels und Ferienhaussiedlungen entwickelt. Im Zuge dieser Entwicklung vervierfachte sich die Einwohnerzahl.
Der Wandel ist Teil der marokkanischen Strategie zur Umgestaltung von Dakhla als einer der wirtschaftlichen Leuchttürme in der umkämpften Westsahara, die als "letzte Kolonie in Afrika" gilt. Das Königtum Marokko hat Hunderte von Millionen US-Dollar für Wirtschafts- und Sozialprojekte in der Region mit dem Ziel investiert, die örtliche Infrastruktur zu entwickeln und den Lebensstandard zu verbessern. Marokko will seine Anstrengungen nun intensivieren und Dakhla zum Mittelpunkt einer Vision machen: Die Sahara soll zu einem wichtigen Wirtschaftsdrehkreuz Afrikas werden.
Wirtschaftszentrum der Sahara
Anfang des Monats bestätigte König Mohammed VI. von Marokko Pläne zum Bau eines 550 Millionen US-Dollar teuren Tiefwasserhafens nördlich der Stadt. Diese Einrichtung soll an eine neue Verkehrsinfrastruktur angeschlossen werden, die Dakhla mit den großen Städten Marokkos im Norden und Mauretaniens im Süden verbindet. Davon verspricht man sich eine Belebung des Handels mit Marokkos südlichen Nachbarn und eine Stärkung des Landes als Drehkreuz zwischen Afrika und Europa. Fachleute aus der maritimen Wirtschaft prognostizieren Dakhla bei erfolgreicher Umsetzung eine "revolutionäre" Entwicklung zum Wirtschaftszentrum der Sahara.
Behördenvertreter rechnen mit Zehntausenden neuer Jobs, einer Belebung der örtlichen Industrie und dem Zustrom ausländischen Kapitals. Dieses Jahr investierte Marokko bereits mehr als drei Milliarden US-Dollar in Entwicklungsprogramme in der Region Dakhla. Dies betrifft erneuerbare Energien und die Landwirtschaft ebenso wie Projekte zur kulturellen Förderung der Sahrauis. Die Investitionen sollen eine nachhaltige Entwicklung in Gang setzen, die nach Wunsch der Behörden das Wachstum des privaten Sektors fördert und die regionale Verwaltung verbessert.
Die geplante Entwicklung Dakhlas soll vor allem die Anbindung verbessern und die wirtschaftliche und kulturelle Integration der südlichen Provinzen in das marokkanische Stammland voranbringen. Die angestrebte stärkere Einheit Marokkos wird für den künftigen politischen Status der Westsahara vermutlich Folgen haben.
Verurteilung durch Ban Ki Moon
Die Ankündigung, Dakhla zu einem kontinentalen Wirtschaftsdrehkreuz zu machen, fällt in eine Zeit, in der der Westsaharakonflikt einen Höhepunkt erreicht, seit die UN im Jahre 1991 einen Waffenstillstand zwischen Marokko und der Frente Polisario vermittelte. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, fachte die Auseinandersetzungen bei einem Besuch eines Flüchtlingslagers der Sahrauis im letzten März an, als er die marokkanische Annektierung des Gebiets als "Besatzung" bezeichnete.
Dies wiederum veranlasste Marokko, Dutzende von UN-Mitarbeitern auszuweisen und die Schließung des Büros der MINURSO zu verlangen, der Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in der Westsahara. Die MINURSO ist für die Überwachung des Waffenstillstands zuständig.
Seit der Annektierung des Territoriums im Jahr 1976 steht Marokko unter anhaltender Kritik wegen seiner wirtschaftlichen Interessen in der Westsahara. Viele Sahrauis – auch Mitglieder der Exilregierung der "Demokratischen Arabischen Republik Sahara" (DARS) – bezichtigen Marokko der Ausbeutung wertvoller Bodenschätze, die ihrer Meinung nach Eigentum der Sahrauis sind. In der Region soll es große Phosphatvorkommen geben, was Marokko allerdings bestreitet.
Kritiker verweisen zudem darauf, dass die wirtschaftlichen Interessen Marokkos eine Einigung über die Durchführung des Referendums erschweren würden, in dem die Sahrauis über ihre Unabhängigkeit entscheiden sollten. Nachdem die jüngsten Pläne aus Rabat eine noch weitergehende wirtschaftliche Erschließung der Westsahara vorsehen, fragen sich die Sahrauis, ob ein Referendum die Präsenz Marokkos in der Region überhaupt rückgängig machen könnte.
"Diplomatischer Sieg"
Für Jacob Mundy, der an der Colgate University, New York, USA, den Lehrstuhl für Friedens- und Konfliktforschung innehat, passt die Ankündigung von Dakhla zu den Bestrebungen Marokkos, in der Westsahara Fakten zu schaffen. "Derartige Projekte zielen eindeutig darauf ab, die Unabhängigkeit der Region zu verhindern und eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen Westsahara und Marokko herzustellen, was alle Bemühungen der internationalen Gemeinschaft erschwert, den Zankapfel aufzuteilen."
Mundy sieht keinen großen Unterschied zwischen der Vision eines Wirtschaftsdrehkreuzes in Dakhla und der Entwicklungspolitik in den 1990er Jahren, als militärische Eliten mit Landschenkungen und lukrativen Geschäftsverträgen zur Umsiedlung in die Region gelockt wurden. "Da das marokkanische Könighaus immer mehr zu einem transnationalen Konglomerat wird, liegt es auf der Hand, dass es die Entwicklung in der Westsahara für ihre nationalen und internationalen Ambitionen nutzt."
In Dakhla mehren sich die Anzeichen, dass das Wirtschaftswachstum den Anspruch Marokkos auf die Westsahara politisch legitimiert. Nachdem Dakhla bereits zum zweiten Mal in Folge Gastgeber für das Crans Montana Forum war, konstatieren Beobachter einen "diplomatischen Sieg" für Rabat. Denn auf dem offiziellen Programmblatt verortete das Forum den Veranstaltungsort Dakhla im Königreich Marokko. Zeitgleich entwickelt sich die Stadt zu einem beliebten Ziel für Kite- und Windsurfer. Die wachsende Zahl westlicher Touristen in Dakhla trägt dazu bei, den Eindruck eines anhaltenden geopolitischen Streits verblassen zu lassen.
Sahrauis ohne Optionen
Im November letzten Jahres bekräftigte König Mohammed VI. die Haltung des Königtums in der Saharafrage. Marokko werde sich dem internationalen Druck nicht beugen und seine Pläne für die Sahara weiter vorantreiben, erklärte er. Die für Dakhla geplanten Projekte legen dies nahe.
Jüngere Sahrauis, die ihre Hoffnungen weiter an ein Referendum knüpfen, verlieren allmählich die Geduld. Sie bestreiten die Darstellung Marokkos, Investitionen in den Städten wie Dakhla seien zu ihrem Besten. Aus ihrer Sicht sind Regierungsprogramme zur Förderung von Jobs, Steuererleichterungen, günstigen Wohnungen und anderen Beihilfen für Grundbedürfnisse nicht für die einheimische Bevölkerung vorgesehen, sondern dienten vielmehr dazu, mehr Marokkaner in die Region zu holen und demografische Fakten zu schaffen.
Angesichts der anhaltenden Bemühungen Marokkos um eine Konsolidierung seiner Position in der Westsahara sehen viele Sahrauis ihre Zukunftschancen schwinden. "Die einzig verbliebene Wahl sehen sie im bewaffneten Widerstand", so Mundy.
Matthew Greene
© Qantara.de 2016
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers