Neue Konsulate im Kreuzfeuer der Kritik
Die Ereignisse ähneln sich: Der marokkanische Außenminister Nasser Bourita und einer seiner afrikanischen Amtskollegen lächeln, durchschneiden ein Band oder enthüllen feierlich eine Tafel - es sind inszenierte Symbole der Freundschaft zwischen ihren Ländern. Mit jedem derartigen Akt der Verbundenheit wird ein diplomatischer Schritt vollzogen: Ein weiteres afrikanisches Land eröffnet ein Konsulat in der Westsahara.
Das geschieht sogar in Windeseile. Seit Ende 2019 haben bereits zehn afrikanische Vertretungen ihren Dienst im Gebiet Westsahara aufgenommen. Als nächstes will Burundi ein Konsulat in El Aaiún, der größten Stadt in dem von Marokko verwalteten Teil der Westsahara, oder in der Stadt Dakhla eröffnen. Damit folgt das kleine Land den bereits vertretenen Ländern - der Zentralafrikanischen Republik, São Tomé, Gabun, den Komoren, Guinea, Djibuti und der Elfenbeinküste. Gerade erst hat Liberia seine Vertretung in Dakhla eröffnet.
Konflikt schwelt weiter
All dies geschieht ungeachtet des Jahrzehnte andauernden Westsaharakonflikts. 1975 besetzte Marokko das Gebiet an der Atlantikküste Nordwestafrikas. Mehr als 40 Jahre, nachdem die linksgerichtete Befreiungsfront Frente Polisario den bewaffneten Kampf für einen selbstbestimmten Staat Westsahara aufgenommen hat, ist kein Ende der marokkanischen Besetzung in Sicht.
Die Vereinten Nationen fordern seit den 1960er Jahren die Unabhängigkeit und Dekolonisierung der damaligen spanischen Kolonie. Alle UN-Vermittlungen sind bisher aber gescheitert. Seit dem Waffenstillstand von 1991, der von einer UN-Mission überwacht wird, kontrolliert die Frente Polisario einen Streifen im Osten und Süden der Westsahara, der im Nordosten an Algerien grenzt und im Südwesten bis zur Atlantikküste reicht. Verwaltet wird die "Demokratische Arabische Republik Sahara" aus dem Exil auf dem Staatsgebiet Algeriens, das die Befreiungsbewegung unterstützt, dessen Geschichte mit Marokko hingegen wechselvoll ist.
Anerkennung der illegalen Besetzung?
Die Neueröffnungen auf dem umstrittenen Gebiet, das Marokkos Regierung in der Hauptstadt Rabat als seine Südprovinzen bezeichnet, bergen politischen Sprengstoff. "Auf diese Weise wird um jeden Preis versucht, die Anerkennung der illegalen Besetzung der Gebiete durch Marokko - es handelt sich in der Tat um eine illegale Besetzung - zu erwirken", sagt Yahia Zoubir, Professor für internationale Beziehungen und Geopolitik-Forschung an der Kedge Business School. "Man gewinnt Länder, die kein wirkliches Gewicht haben, bewegt sich schrittweise vorwärts und versucht, den Lauf der Dinge zu beeinflussen."
Die Motivation für die afrikanischen Länder, das reiche Marokko zu unterstützen, liegt laut Zoubir auf der Hand: "Diese Staaten sind schlicht verschuldet, sie haben enorme wirtschaftliche Schwierigkeiten. Und sie tun dies gegen Bezahlung", sagt der Afrika-Experte.
[embed:render:embedded:node:14442]So werden Fakten geschaffen. Zwar blieben die Botschaften in Rabat, sagt Alex Vines, Direktor des Afrika-Programmes an der Londoner Denkfabrik Chatham House. Dennoch - und auch wenn einige der diplomatischen Vertretungen lediglich Honorarkonsulate seien - bedeute das eine Anerkennung des Machtanspruches, den Marokko über das Gebiet Westsahara erhebt.
Marokkos Strategie geht auf
Wie Zoubir glaubt auch Vines, dass manche dieser Länder - wie Burundi und São Tomé - durch wirtschaftliche Vorteile angelockt worden seien. Andere hingegen pflegten historisch enge Verbindungen zu Marokko. "Diese politischen Entwicklungen sind Teil einer Strategie der marokkanischen Regierung. Sie will Algerien weiter damit schwächen und ebenso die Position der Afrikanischen Union, die ein autonomes Westsahara anstrebt", sagt Vines. "Die aggressive Diplomatie Marokkos reichte in den vergangenen sechs Monaten von Rabat bis nach Lesotho. Das ist ein Rückschritt für Polisario."
Die Republik Westsahara wird ihrerseits von einer Reihe afrikanischer und lateinamerikanischer Länder anerkannt. Deren westsaharische Vertretungen arbeiten von Algeriens Hauptstadt Algier aus.
Algerien unterstützt die Polisario-Front weiterhin in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen. So heißt es in Berichten, Algier habe kürzlich die Elfenbeinküste der "schamlosen Verletzung des Völkerrechts" und der "Verletzung der Verpflichtungen, die sich aus der Gründungsakte der Afrikanischen Union ergeben" beschuldigt. Die Regierung habe sogar ihren Botschafter in Abidjan zu Beratungen zurückgerufen.
Polisario verärgert
Marokko war 1984 aus der damaligen Organisation der Afrikanischen Einheit ausgestiegen – aus Protest gegen die Aufnahme Westsaharas. Erst 2017 trat es der Afrikanischen Union wieder bei - um kurz darauf den diplomatischen Kampf um das Westsahara-Gebiet mit neuen Kräften aufzunehmen. Dazu gehört auch die Eingliederung der Gewässer vor der Küste der Westsahara in den marokkanischen Meeresraum. Ein entsprechendes Gesetz wurde im Januar von den Abgeordneten in Rabat verabschiedet.
Die Polisario-Front, die nach wie vor das von den Vereinten Nationen versprochene Referendum über die Selbstbestimmung der Westsahara fordert, prangert diese Politik an. Naja Hindi, Vertreterin der Polisario-Front in Deutschland, ist darüber verärgert: "Marokko verstößt gegen die geltenden Konventionen", sagt sie im DW-Interview. "Und warum eröffnen Länder Konsulate in Städten, in denen sie keine Bürger haben, denen sie Dienstleistungen anbieten können? Warum nicht Vertretungen in den großen marokkanischen Städten? Warum in El Aaiún?" Eine Frage, die sich direkt an Marokko richtet. Interviewanfragen der DW an Außenminister Nasser Bourita blieben unbeantwortet.
Martina Schwikowski & Hugo Flotat-Talon
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