Finanzbetrug im Namen Gottes
In den vergangenen Jahren prellten islamische Holdings ihre Anleger europaweit um Milliardenbeträge. In Deutschland fielen vor allem türkischstämmige Muslime dem Anlagebetrug zum Opfer. Doch jetzt regt sich Widerstand bei den Geschädigten, wie Ariana Mirza berichtet.
Die Menschen schwanken zwischen Resignation und Wut. Viele haben seit Jahrzehnten jeden Pfennig beiseite gelegt, den sie als "Gastarbeiter" in Deutschland verdienten. Jetzt stehen sie vor den Trümmern ihrer Existenz.
"Dabei wollten wir nur dem Zinsverbot Folge leisten", erklärt Suleiman Ünol. Der 67jährige Rentner ist Besucher einer Informationsveranstaltung der türkischen Redaktion von "Radio Multikulti" in Berlin.
Die Stimmung im Saal ist angespannt. Zu chancenlos erscheint vielen Anwesenden der Kampf gegen die verbrecherischen Holdings, denen sie gutgläubig ihre Ersparnisse anvertrauten.
Finanzanlagen auf Sand gebaut
Der Finanzskandal, dem Hunderttausende von Muslimen wie Suleiman Ünol zum Opfer fielen, nahm seinen Anfang in der Türkei. Dort etablierte sich in den 90er Jahren im rasanten Tempo ein Anlage-Modell, das unter Einhaltung islamischer Regeln hohe Gewinnausschüttungen versprach:
Das so genannte "Konja-Modell". Eine Kommission des türkischen Parlaments zählte unlängst 78 in der Türkei ansässige Holdings, die auf diesem Modell beruhen.
Das Prinzip ist einfach. Privatleute kaufen Anteilsscheine und werden zu Teilhabern der Holdingfirmen, die ihrerseits in verschiedenen Wirtschaftssektoren tätig sind.
Die in Deutschland besonders aktive "Yimpas-Holding" eröffnete beispielsweise zur Jahrtausendwende eine Kaufhauskette. Und zunächst schien alles zu funktionieren. Den ersten Käufern von Anteilsscheinen wurden hohe Renditen ausgezahlt.
Doch bald stellte sich heraus, dass diese Auszahlungen auf dem Schneeballprinzip beruhten. Ziel der angeblichen Gewinnausschüttungen war es, weitere Anleger zu werben. Und somit immer mehr Einzahlungen zu kassieren.
Sammelklagen der Betroffenen
Auf dem Höhepunkt ihrer finanziellen Transaktionen hatte Yimpas laut Firmenunterlagen auf diese Weise 2,9 Milliarden Euro eingesammelt. Ein tatsächlicher Gewinn durch die Kaufhäuser wurde jedoch gar nicht erwirtschaftet. Für Yimpas-Anleger platzte der Traum von der gottgefälligen Geldanlage im Sommer 2002.
Das Geld der Anleger war gezielt veruntreut worden. Und den Betrogenen bleibt wenig Hoffnung, ihre Investitionen jemals wieder zurückzubekommen. Zwar klagten schon einige hundert Betroffene erfolgreich vor deutschen Gerichten.
Doch Yimpas besitzt heute nur noch eine Briefkastenfirma in der Schweiz, die ebenfalls in Deutschland aktive "Kombassan-Holding" ist nur noch mit einer Adresse in Luxemburg gemeldet. Die veruntreuten Gelder sind spurlos verschwunden.
Gegen den Yimpas-Geschäftsführer Dursun Uyar liegt seit 2005 ein in Deutschland ausgestellter internationaler Haftbefehl vor. Doch in Uyars Heimatland Türkei wird dieser Haftbefehl bislang offiziell nicht zur Kenntnis genommen.
Der im Mai 2005 gegründete "Solidaritätsverein der Türken in Europa" will das nun ändern. Über 100.000 Geschädigte haben sich inzwischen bei dem Verein über ihre rechtlichen Chancen erkundigt, über 20.000 Menschen sind bereits eingetreten.
Vereinspräsident Muhammet Demirci bereitet Sammelklagen gegen die betrügerischen Holdings vor. Demirci schätzt die Zahl der Geschädigten europaweit gar auf 800.000 Menschen. "Aber nur die wenigsten sind bereit, an die Öffentlichkeit zu treten, die meisten schämen sich zu sehr."
Verwicklung der Milli Görüs
Eine Schlüsselrolle im Betrugsskandal spielt die vom deutschen Verfassungsschutz beobachtete Vereinigung Milli Görüs. Mitglieder und Funktionäre von Milli Görüs warben in Moscheen und islamischen Vereinen gezielt für die Holdings. "Mir wurde in der Moschee gesagt, du kannst nur anderen Muslimen, deinen Landsleuten vertrauen. Gib' ihnen dein Erspartes, du wirst es nicht bereuen", berichtet Suleiman Ünol.
Auch bei der Verschleppung und Niederschlagung von Gerichtsverfahren in der Türkei mutmaßen viele Geschädigte Milli Görüs als Drahtzieher. "Die heutige Regierungspartei AKP, Milli Görüs und die Holdings sind seit Jahren eng miteinander verflochten", sagt Muhammet Demirci.
Er hofft deshalb auf Unterstützung seitens der EU, und insbesondere seitens der Bundesregierung, um die türkische Regierung zur stärkeren Verfolgung der Holdings zu zwingen. "Der politische Druck muss endlich zunehmen. Viele von uns sind deutsche Staatsbürger, wir fordern mehr Engagement von der deutschen Regierung!"
Dass der Rentner Suleiman Ünol sich entschlossen hat, nun mit Hilfe des Solidaritätsvereins sein Recht einzufordern, ist fast ein Wunder. Denn ihm wurde erst vor kurzem in einer Berliner Moschee gesagt: "Die Deutschen werden Dir nicht helfen, Du musst Strafe an das Finanzamt zahlen und deine Rente wird gekürzt, wenn herauskommt, dass Du dein Geld bei türkischen Unternehmen angelegt hast!"
Diese und ähnliche Falschinformationen kursieren derzeit in den vielen türkischen Gemeinden im gesamten Bundesgebiet, um die betrogenen Anleger einzuschüchtern. Gestreut werden die Gerüchte zumeist von Milli Görüs. "Die verbreiten Angst, um die Anzahl der Verfahren so niedrig wie möglich zu halten", berichtet Muhammet Demirci.
Ariana Mirza
© Qantara.de 2006
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