Die Basis des Dialogs zwischen Islam und Christentum
Das Jahr 2017 neigt sich seinem Ende zu und es tat gut, ein Buch zu entdecken, das, wie der Autor in seinem Vorwort schreibt, "zu einem vertieften Dialog von Christen und Muslimen" herausfordert. In "Weihnachten und der Koran" ist es Karl-Josef Kuschels erklärtes Ziel, dem geistigen Gehalt dieser besinnlichen Feiertage neues Leben einzuhauchen, und zwar im Blick auf Christen wie auf Muslime.
Und tatsächlich hat dieser Gehalt nichts zu tun mit den kommerzialisierten, von maßlosem Konsum gekennzeichneten Feiertagen, zu denen sich Weihnachten in den westlichen Ländern entwickelt hat. Wir werden mitgerissen von einem Strudel gesellschaftlicher Verpflichtungen und erdrückender To-do-Listen, und allenfalls Eltern mit kleineren Kindern schenken der Geschichte von Christi Geburt noch ein wenig symbolische Aufmerksamkeit. In der vorweihnachtlichen Hektik scheint das Leben irgendwie in den Zeitraffer-Modus umzuschalten.
Kuschels aufschlussreiche Analyse der Weihnachtsgeschichte bietet da eine willkommene Atempause. Sie gibt dem Leser die Chance, sich wieder an die Botschaft der Hoffnung zu erinnern, die die Geburt Jesu mit sich bringt. Mit einem gezielten Blick auf die Primärquellen (er nennt sie "Ur-Kunden") präsentiert der Autor eine äußerst überzeugende vergleichende Exegese der Materials aus den beiden "Weihnachtsevangelien" - Matthäus und Lukas – und den koranischen Suren 3 und 19. Kuschel nähert sich seinem Gegenstand unvoreingenommen und systematisch, wobei er sich auf die Glaubensinhalte der beiden großen Religionsgemeinschaften konzentriert.
Schon das Inhaltsverzeichnis des Buches, das einen großen theologischen Erkenntniswert hat, ist übersichtlich und sinnvoll gegliedert. Die Kapitel sind nach Themen unterteilt, was es dem Leser erlaubt, sich nach Belieben mit einzelnen Aspekten der Weihnachtsgeschichte zu beschäftigen.
Das Wort Gottes, Schrift geworden
Im Verlauf von Kuschels Analyse wird deutlich, dass im Koran von der Geburt Jesu berichtet wird, um die Schöpferkraft des einen wahrhaftigen Gottes hervorzuheben, und nicht, um den Sohn Gottes zu präsentieren.
Dagegen wird, - wie viele, die die christlichen Glaubensinhalte kennen, wissen werden -, Jesus in der Bibel als "Emmanuel" bezeichnet – wörtlich "Gott mit uns" -, der nur zu einem Zweck geboren wurde: die Menschheit zu erlösen. Und in diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Religionen.
Im Neuen Testament ist die Geburt Jesu eindeutig in das Narrativ von den Juden und ihrem Leiden unter römischer Herrschaft eingebettet. Lukas und Matthäus setzen ihre Berichte in einen historischen Kontext, indem sie politische Herrscher der Zeit wie Caesar Augustus, Quirinius (Lukas) und Herodes (Matthäus) erwähnen. Der Koran dagegen vermeidet, wie Kuschel betont, jede geschichtliche Verankerung.
Nirgendwo lesen wir dort etwas über Bethlehem oder Nazareth, die beiden Orte, die in der biblischen Überlieferung eine zentrale Rolle spielen, oder über die Mächtigen der Zeit. Das Augenmerk liegt stattdessen ganz auf Gottes Handeln an Einzelpersonen wie Zacharias, Maria und Jesus.
Anders als die Bibel sieht der Koran in Weihnachten nicht die Erfüllung einer alten Prophezeiung, die die Geburt des lang ersehnten Messias und die Besiegelung des Neuen Bundes zwischen Gott und seinem Volk Israel vorausgesagt hat.
Obwohl Jesus im Koran eine einzigartige Stellung einnimmt – "Geist von Ihm" (Sure 4, 171) und "ein Zeichen für die Menschen" (Sure 19,21) - , wird er als ein Prophet unter vielen dargestellt. Während Christen glauben, dass Jesus der endzeitliche Höhepunkt von Gottes Selbstzuwendung an die Menschheit ist und der von den Propheten vorausgesagte Gottessohn, verehren die Muslime den Koran als "Gottes Wort, Buch geworden" (Kuschel).
Gemeinsame Nenner finden
Doch Hans-Josef Kuschel spürt auch mehrere Bereiche auf, in denen sich die Glaubensvorstellungen überschneiden. Der christologische Fokus auf das Jesuskind wird zurückgestellt, in dem aufrichtigen Bestreben, den Dialog zu fördern, und zwar auf der Grundlage von Themenbereichen, in denen Islam und Christentum Übereinstimmungen aufweisen. Kuschels Perspektive ist eindeutig theozentrisch. Er nennt fünf Aspekte der Weihnachtsgeschichte, in denen sich die beiden Religionen einig sind:
Sowohl der Koran als auch die Bibel erklären, dass für Gott nichts unmöglich ist. Dies bildet die Basis für den gemeinsamen Glauben an die Jungfrauengeburt, der in beiden Religionen ein zentraler Bestandteil der Person Jesus ist.
Zweifel und Unglaube des Menschen werden weiter entwaffnet durch die Erschaffung von Jesus aus dem Nichts. Im Koran lesen wir: "Wenn er eine Sache beschließt, dann sagt er zu ihr nur: 'Sei!' Und da ist sie." (Sure 3,47). Eine Entsprechung findet sich in Lukas 1,37, "Denn für Gott ist nichts unmöglich." (Lk 1,37)
Weiterhin ist Jesus, anders als Mohammed und all die anderen Propheten, die im Koran genannt werden, eindeutig "vom Geist" - er hat keinen irdischen Vater. Die Sure 4, 171 nennt Jesus "Geist von Gott", was Jesus einen einzigartigen Status verleiht: "Dass Jesus ins Leben tritt, verdankt er ausschließlich Gottes Ratschluss, Gottes Tat." (Kuschel). Verstärkt wird dies durch die Namen, die Jesus an verschiedenen Stellen des Koran gegeben werden - "Diener Gottes", "Prophet Gottes", und "Wort Gottes".
Die Geistschöpfung Jesu, die sowohl das Christentum wie der Islam kennen, wird von den beiden Religionen unterschiedlich interpretiert. Christen glauben, dass sie seine Einzigartigkeit als Sohn Gottes bestätigt, Muslime dagegen sehen in den göttlichen Ursprüngen von Jesus lediglich einen weiteren Beweis für die Größe des Allmächtigen.
Zudem heißt es von Jesus, wie in Sure 19,32, "Er hat mich nicht zum unseligen Gewalttäter gemacht". Jesus, Gottes Gesandter, ist das Kontrastbild zu den Mächtigen, Reichen und Gewaltherrschern. Er ist nicht nur der Anwalt der Armen und Bedürftigen, er verkörpert in seiner Person auch den Frieden Gottes auf Erden.
Und schließlich wird Jesus einerseits von Gott im Neuen Testament durch "Taten, Wunder und Zeichen" ausgewiesen, andererseits im Koran in Sure 19,21 "zu einem Zeichen für die Menschen" erklärt, zu einem, der die Wege Gottes durch seine Verkündigung und seine Wundertaten weist, indem er Blinde und Aussätzige heilt und Tote auferweckt.
Stille Nacht, heilige Nacht
Am Ende seines Buches vertritt Hans-Josef Kuschel die These, dass Anhänger beider Religionen, Christen wie Muslime, sich dem Frieden verpflichten müssten, wenn sie auf dem Weg der gegenseitigen Verständigung Fortschritte machen wollen.
Mit Bezug auf die "heilige Nacht" der Muslime, Lailatu'l-Qadr, in der Gott durch den Engel Gabriel den Koran offenbarte, erinnert Kuschel seine Leser an das islamische Gebot, Gott so zu lieben wie seine Mitmenschen. Es war dieses tiefe Gefühl, das 138 muslimische Gelehrte im Oktober 2007 dazu bewog, einen Brief an Papst Benedikt XVI und andere Würdenträger der christlichen Kirche zu verfassen und zum Dialog zwischen Christen und Muslimen aufzurufen.
Manche mögen sagen, dass sich die Welt seit 2007 weiterbewegt hat. Und doch gilt die Friedensbotschaft, die seit über zwei Jahrtausenden existiert und bisher jeden Konflikt überstanden hat, auch heute noch. Während Weihnachten näherrückt, ermahnt uns Hans-Josef Kuschel, die "Weihnachtsgeschichte" im Koran neu zu bedenken: "Sie ist nicht das Ende des Dialogs, sondern die Basis des Dialogs. Sie kann lehren, das Gemeinsame im Lichte des Trennenden, das Trennende im Lichte des Gemeinsamen zu lesen."
Lucy James
© Qantara.de 2017
Aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff
Karl-Josef Kuschel: "Weihnachten und der Koran", Patmos Verlag, Düsseldorf 2012, 160 Seiten, ISBN: 978-3-8436-0250-1