"Anzeichen für eine ernste Krise"
Am 29. September veröffentlichte die ägyptische Zentralbank Statistiken, die zeigen, dass die Auslandsschulden des Landes in nur einem Jahr um 41 Prozent auf insgesamt 79 Milliarden US-Dollar gestiegen sind. Noch 2012 lagen die Schulden des Landes lediglich bei 34,4 Milliarden Dollar, der Hälfte des heutigen Werts. Laut Zahlen der Zentralbank betragen die Auslandsverbindlichkeiten nunmehr 34 Prozent des BIP.
Salma Hussein ist Wirtschafts- und Sozialforscherin bei der "Egyptian Initiative for Personal Rights" (EIPR) und Verfasserin einer Studie über Ägyptens Schuldenberg. Im Gespräch mit Qantara.de äußerte sie sich wie folgt über die Veränderungen der Schuldenstruktur und der damit einhergehenden Politik ihres Landes: "Seit November 2016 ist eine rapide Zunahme der Auslandsschulden zu beobachten. Wenn man genau hinschaut, ist für diese Entwicklung zum größten Teil die Zentralbank verantwortlich. Dies bedeutet, dass eine erhebliche Menge von Verbindlichkeiten völlig außerhalb der Kontrolle des Parlaments liegt."
Laut der EIPR-Recherchen ist Ägypten seit 2015 immer stärker von Krediten der politischen Partner am Persischen Golf abhängig – insbesondere von solchen aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait. Laut Hussein werden die Zinskonditionen oft geheim gehalten, und die Kredite sind nicht an klar umrissene und kontrollierbare Projekte gekoppelt.
"Ich glaube, das ist ein deutliches Anzeichen für eine Krise: Diese Entwicklung bedeutet, dass wir eben nicht solche Kredite aufnehmen, von denen wir wissen, wofür sie bestimmt sind und wohin sie fließen. Vielmehr geht es nur noch darum, schnelle Finanzspritzen zu bekommen, um den größten Mangel zu beheben. Dies entspricht einer äußerst instabilen Situation", so Husseins Einschätzung.
Prestigeprojekte
Die Hauptgläubiger Ägyptens sind die arabischen Staaten am Persischen Golf und internationale Finanzinstitutionen wie der IWF, die Weltbank und der Pariser Club, der aus 22 Mitgliedsstaaten wie den USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich besteht. Pro Kopf betrachtet haben sich die ägyptischen Auslandsschulden von 475 US-Dollar im Jahr 2013 auf 812 Dollar im Jahr 2017 erhöht, was für ein gering entwickeltes Land ein ziemlich hoher Wert ist. Ein erheblicher Anteil der Schulden, die Ägypten aufnimmt, fließt nicht in langfristige Infrastrukturmaßnahmen, die die Wirtschaft ankurbeln könnten, sondern sind für die Tilgung des Haushaltsdefizit und für Prestigeprojekte gedacht – wie beispielsweise die Errichtung einet neuen Verwaltungshauptstadt in der Wüste vor den Toren Kairos.
Zudem nimmt das Land immer mehr Schulden an den internationalen Kapitalmärkten in Form von hochverzinslichen Eurobonds auf. Dies bedeutet, dass internationale Investoren bei der Vergabe von Krediten an Ägypten hohe Erträge erzielen können. Analysten zufolge besteht ein Großteil der Auslandsschulden aus spekulativen Kapitalspritzen, sogenanntem "heißem Geld". Noch im Jahr 2012 bestanden die Verbindlichkeiten zu 88 Prozent aus langfristigen Krediten mit Laufzeiten von mehr als drei Jahren. Heute sind es nur noch 59 Prozent, und 17 Prozent sind hochverzinsliche Kurzfristkredite, die innerhalb maximal eines Jahres fällig werden.
"Im Verhältnis zum BIP betrachtet hat die ägyptische Schuldenquote ein sehr besorgniserregendes Niveau erreicht", meint Osama Diab, Wirtschaftsforscher am "Tahrir Institute for Middle East Policy" (TIMEP). "Wenn wir uns diese Schuldenquote vergegenwärtigen, dürfen wir diese nicht mit denjenigen reicher europäischer Länder vergleichen. Wir können daher nicht sagen, sie entspreche dem gleichem Niveau wie etwa dem belgischen und sei geringer als diejenige von Japan, da Ägypten unter einer sehr schwachen Staatsfinanzierung leidet", sagt er. "Wenn wir die Schulden also im Verhältnis zu den Steuereinnahmen betrachten, sieht die Lage deutlich schlimmer aus."
Sparmaßnahmen für den IWF
Das steigende Verschuldungsniveau Ägyptens ist kein isoliertes Phänomen. Es wird von einem strengen Haushaltssparprogramm unter der Regie des IWF begleitet. Dieses Programm wurde dem Land als Bedingung für einen IWF-Kredit in Höhe von 12 Milliarden US-Dollar auferlegt und hatte bereits erhebliche Auswirkungen auf die ägyptische Wirtschaft.
Im November 2016 gab die Zentralbank den Wechselkurs des ägyptischen Pfunds frei, was dazu führte, dass sich die Preise der meisten Waren über Nacht verdoppelten. Außerdem wurden die Subventionen für wichtige Alltagsgüter wie Zucker, Benzin und Haushaltsgas abgebaut. Dadurch haben sich die Preise – im Vergleich zu der Zeit vor den IWF-Auflagen – um das Dreifache erhöht. 2017 stieg auch die Inflation stark an. Die jüngsten Zahlen deuten auf eine Teuerungsrate von 26 Prozent hin.
Obwohl das IWF-Programm von einer sorgfältig geplanten Öffentlichkeitskampagne begleitet wurde, waren die Sparmaßnahmen sehr unbeliebt. Im Juli wurde Mohamed Adel, ein bekannter politischer Aktivist, von der Polizei verhaftet. Der Vorwurf: Mit seiner Kritik an den Sparmaßnahmen habe er "den IWF beleidigt".
Der IWF selbst scheint indes mit der ägyptischen Umsetzung des Sparprogramms recht zufrieden zu sein. Im vergangenen August ernannte GlobalMarkets, die hauseigene Zeitschrift des Fonds, den ägyptischen Zentralbankchef Tarek Amer zum "Zentralbankgouverneur des Jahres". Unterdessen häufen sich weitere Schulden an. Am 5. Dezember 2017 genehmigte die Weltbank mit 1,15 Milliarden US-Dollar die letzte Tranche eines weiteren Kredits, der insgesamt 3,15 Milliarden umfasst.
Eine Staatspleite verhindern
In der Öffentlichkeit zeigen sich die ägyptischen Politiker zuversichtlich, dass die Schulden bewältigt werden können. "Noch nie hat Ägypten seine Schulden nicht rechtzeitig zurückgezahlt", teilte Finanzminister Amr el-Garhy den lokalen Medien am 2. Dezember mit, als er gefragt wurde, wie 2018 die Schulden bedient werden können.
Unabhängige Analysten machen sich allerdings Sorgen. Nach der Einführung eines IWF-Sparprogramms im vergangenen Jahr hat die ägyptische Zentralbank die Zinsen massiv erhöht, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Osama Diep von TIMEP meint dazu: "Zur Inflationsbekämpfung mag diese Strategie funktionieren, aber sie erhöht die Gefahr einer Staatspleite im Stil von Argentinien oder Griechenland, da die Schulden in einer Währung sind, die die Zentralbank nicht selbst drucken kann. Der massive Tilgungsbedarf, der aus diesen ganzen Schulden resultiert, hat gemeinsam mit den Sparauflagen des IWF zu einer starken Kürzung der realen Ausgaben für Gesundheit und Ausbildung geführt. Und davon sind natürlich überproportional die Armen betroffen."
Die zusätzliche Schuldenaufnahme hingegen scheint der Unterschicht des Landes, die unter den höheren Preisen für Grundversorgungsgüter leidet, nicht zugute zu kommen. "Nachdem die Subventionen gestrichen wurden, bemüht sich die Regierung zwar, die Belastung armer Familien durch Einkommenstransfers zu lindern, aber sie hat erst zwei Millionen Familien damit erreicht. Wahrscheinlich gibt es im Land 15 Millionen weitere bedürftige Familien, also wurde nur einem sehr geringen Teil der Armen geholfen", so die Expertise von Alia al-Mahdi, Professorin für Ökonomie an der Universität von Kairo.
"Prinzipiell habe ich nichts gegen Auslandsschulden", meint sie, "aber wenn sie das übliche Maß übersteigen, erhebe ich Einspruch – und im Moment liegen sie auf extrem hohem Niveau. Wir streichen die Subventionen, aber indem wir uns im Ausland verschulden, ersetzen wir sie durch eine neue, noch höhere Belastung."
Tom Stevenson
© Qantara.de 2018
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff