Wind des Wandels
Das Rote Meer, das Afrika von der Arabischen Halbinsel trennt, misst an seiner breitesten Stelle nur 355 Kilometer. Für die Mächte der Region könnte diese wichtige Schifffahrtsroute ein wirtschaftlicher Segen sein. Aber in den letzten zehn Jahren war die Wasserstraße, die vom Golf von Aden im Süden bis zum Suezkanal im Norden reicht, nur schwer zu befahren. Somalische Piraten, Grenzstreitigkeiten zwischen Eritrea und Dschibuti und der seit drei Jahren andauernde Krieg im Jemen haben die Region destabilisiert – ebenso wie die Versuche des Binnenstaates Äthiopien, Zugang zum Roten Meer zu erlangen.
Deshalb ist es kein Wunder, dass der diesjährige Friedensvertrag zwischen den langjährigen Kriegsgegnern Äthiopien und Eritrea in der Region sehr begrüßt wurde. Für Saudi-Arabien und seine Verbündeten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), war er ein Triumph: Die beiden Staaten am Persischen Golf haben bei den Friedensverhandlungen in Jeddah zwischen ihren afrikanischen Nachbarn vermittelt. Darüber hinaus haben sie die Führung in Dschibuti dazu veranlasst, sich mit seinem Erzrivalen Eritrea an den Verhandlungstisch zu setzen.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres, ein Beobachter der Verhandlungen, sprach von einem "Wind der Hoffnung, der über das Horn von Afrika weht". Und Adel Al-Jubeir, der Außenminister von Saudi-Arabien, lobte sein Staatsoberhaupt König Salman bin Abdul-Aziz Al Saud Salman und den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman auf Twitter:
Der Friedensvertrag von Jeddah, der heute vor dem CTHM unterzeichnet wurde, ist ein historischer Meilenstein für die Völker Äthiopiens und Eritreas. Er wird dazu beitragen, die Sicherheit und Stabilität in der ganzen Region zu fördern. pic.twitter.com/rkfUeP5rOw
Ich gratuliere seiner Majestät, dem Wächter über die zwei Heiligen Moscheen @KönigSalman bin Abdulaziz Al Saud und seiner Hoheit Kronprinz Mohammed bin Salman, dass ihre Bemühungen um den historischen Friedensvertrag zwischen #Äthiopien und #Eritrea von Erfolg gekrönt waren.
Wirtschaftliche Ambitionen
Dieser Wind der Hoffnung kann auch als Wind der Veränderungen betrachtet werden. Laut Darstellung von Analysten positionieren sich Saudi-Arabien und die VAE gemeinsam als größtes Machtzentrum unter den arabischen Staaten des Persischen Golfs.
Alex de Waal, der an der US-amerikanischen Tufts-Universität die Expertenkommission der Weltfriedenstiftung leitet, hält die saudischen Bemühungen um wirtschaftliche Dominanz für sicherheitspolitisch motiviert: "Vor etwa zehn Jahren begannen die Saudis, einen Plan für eine Flotte zu entwickeln, um das Rote Meer zu kontrollieren", sagt er. "Der Grund dafür war teilweise die Befürchtung, die Iraner könnten die Straße von Hormuz blockieren" [den Ausgang des Persischen Golfs zwischen dem Iran und den VAE].
Für diesen Fall benötigten die Saudis eine alternative Route, um ihr Öl verschiffen zu können. Also begannen sie, an der Küste des Roten Meeres Pipelines und Ölraffinerien zu bauen. Dazu mussten sie die beiden Enden der Wasserstraße sichern.“
Auch Elizabeth Dickinson, eine Expertin für die Arabische Halbinsel bei der International Crisis Group, glaubt, das saudische Königshaus verstärke sein internationales politisches Engagement: "Saudi-Arabien ist ein großer Geldgeber und räumt Afrika in diplomatischer Hinsicht immer mehr Priorität ein." Die Emirate sieht die Analystin auf einem ganz ähnlichen Weg: "Die VAE haben sich in den Bereichen der Logistik und der Hafen- und Handelsentwicklung als großer möglicher Investor positioniert."
Im August 2018 kündigte Äthiopien das Vorhaben der VAE an, in eine Ölpipeline zwischen Eritrea und Äthiopien zu investieren. Nur einen Monat zuvor hatte Eritreas Präsident Isias Afwerki den reformorientierten äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed in der eritreischen Hauptstadt Asmara willkommen geheißen – zum ersten Staatsbesuch seit 20 Jahren.
Und im vergangenen September, kurz nach dem Friedensvertrag von Jeddah, reiste Afwerki dann erneut an den Golf. Dieses Mal fuhr er nach Abu Dhabi in den VAE, um mit dem dortigen Kronprinzen über Investitionen und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu sprechen. Die beiden Länder enthüllten zwar wenig Details über den Besuch, aber Yemane Meskel, der Informationsminister von Eritrea, veröffentlichte ein Bild des Treffens auf Twitter:
Präsident Isaias Afwerki befindet sich auf einem dreitägigen Arbeitsbesuch in Abu Dhabi und führte umfassende Gespräche über Investitionen, Verbindungen wirtschaftlicher Zusammenarbeit und regionale Themen von gemeinsamem Interesse mit dem Kronprinzen Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyinan, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Scheich Mansour und anderen Politikern.
Die äthiopischen Interessen
Aufgrund des langen Konflikts zwischen Eritrea und Äthiopien war das Horn von Afrika für Saudi-Arabien und die Emirate immer schon ein schwieriges Terrain. Äthiopien ist dort traditionell die stärkste Regionalmacht, war aber bisher ein schwieriger Partner – aufgrund aktueller innenpolitischer Probleme, seinem fehlenden Zugang zu Seehäfen und seinen engen Verbindungen zu den saudischen Rivalen Qatar und Iran.
Deshalb wäre eigentlich Eritrea für die Saudis und die Emirate wirtschaftlich interessant gewesen, da sie, wie de Waal erklärt, auf der afrikanischen Seite des Roten Meeres eine sichere Basis benötigten, um ihre wirtschaftlichen Interessen weiter zu entwickeln. "Eritrea war ein offensichtlicher Kandidat", meint er. Und der eritreische Präsident Afwerki stand den Verbündeten am Golf offener gegenüber. "Aber gegenüber Äthiopien wird Eritrea immer ein Juniorpartner bleiben – weil das Land wirtschaftlich kleiner und militärisch schwächer ist."
In den letzten 20 Jahren, meint de Waal, sei es Äthiopiens Strategie gewesen, Eritrea gegenüber der afrikanischen Union und anderen regionalen Einrichtungen zu isolieren. Als es nun darum ging, Äthiopien zu überzeugen, sahen die Golfstaaten ihre Chance in Abiy Ahmed, dem neuen Ministerpräsidenten des Landes.
Dieser hatte schon seine Bereitschaft erklärt, wieder diplomatische Beziehungen zu Eritrea aufzunehmen. De Waal erklärt: "Angesichts der neuen äthiopischen Regierung ergriffen sie [die Golfstaaten] die Gelegenheit und sagten zu Abiy: Ihr habt schwere wirtschaftliche Probleme. Aber wir helfen euch." Als Gegenleistung wurden Wirtschaftsabkommen geschlossen und der Friedensvertrag unter Dach und Fach gebracht.
Allein der Friedensvertrag könnte Äthiopien schon wirtschaftliche Vorteile bringen. "Das äthiopische Wirtschaftswachstum war lange durch den fehlenden Zugang zum Meer begrenzt", meint Dickinson. "Fast die gesamten Exporte gehen heute durch Dschibuti. Kann Äthiopien die bestehenden Häfen in Eritrea und die neu geplanten Häfen in Somalia nutzen, könnte der Handel in der Region einen enormen Aufschwung erleben."
Regionalpolitische Veränderungen
Das Horn von Afrika ist für die Golfstaaten nicht nur von wirtschaftlichem, sondern auch von militärischem Interesse. Die Region ist der Ausgangspunkt einiger der größten afrikanischen Militärinterventionen. Die VAE verfügen über eine Basis in Eritrea, und in Dschibuti sind unter anderem saudische Truppen stationiert. Und die Türkei und Qatar haben Militärstützpunkte in Somalia und dem Sudan – und enge politische Beziehungen zu den beiden Ländern.
Im jemenitischen Bürgerkrieg hat insbesondere Saudi-Arabien eine höchst umstrittene Rolle eingenommen. Das Königreich führt eine militärische Koalition an, deren Ziel es ist, die gestürzte jemenitische Regierung gegen die vom Iran geförderten Huthi-Rebellen zu unterstützen.
An dieser Koalition sind nicht nur die VAE und die USA beteiligt, sondern auch die meisten Länder des Horns von Afrika. So haben Dschibuti, Somalia, Eritrea und der Sudan ihre Lufträume, Seegebiete und Militärbasen für den Krieg zur Verfügung gestellt.
Obwohl Saudi-Arabien die Koalition anführt, betont de Waal die wichtige Rolle der VAE: "Interessant ist, wie sehr die Emirate als gleichwertige Partner auftreten. Sie sind für militärische Operationen in Aden [wo die gestürzte jemenitische Regierung sitzt] und entlang der Küste verantwortlich", erklärt er. "Und zu diesem Zweck haben die Emirate eine Militärbasis in Assab [Eritrea] aufgebaut. Von dort aus führen sie in der Gegend von Hodeida [im Jemen] Luftangriffe."
Laut Angaben der Expertin Dickinson haben die Koalitionsmächte in Assab jemenitische Truppen ausgebildet und sie danach wieder in den Kampf geschickt. Berichte, Eritrea und der Sudan hätten im Jemen eigene Bodentruppen eingesetzt, wurden bislang von den Politikern zurückgewiesen. Dementiert wurde auch die Existenz geheimer Gefängnisse für jemenitische Gefangene in der eritreischen Hafenstadt Assab. Im Juni 2017 hatte die Nachrichtenagentur AP die Verwandten von Insassen solcher Gefängnisse zu diesem Thema befragt. Ähnliche Quellen zitiert auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in ihren Berichten.
Obwohl die Zukunft des Friedens zwischen Eritrea und Äthiopien ungewiss ist, glaubt de Waal, dass die jüngsten Entwicklungen auf einen politischen Wandel zwischen dem Horn von Afrika und den Golfstaaten hindeuten. Wie er betont, haben sich die beiden ostafrikanischen Länder nicht an die Afrikanische Union, sondern an Saudi-Arabien gewandt. "Dies ist eine interessante und bedeutsame Veränderung. Bisher beruhten Vereinbarungen in Hinblick auf Frieden und Sicherheit am Horn von Afrika auf afrikanischen Institutionen. Mittlerweile scheinen sie vielmehr auf den Prinzipien und Prozessen des Nahen Ostens aufzubauen."
Sella Oneko
© Deutsche Welle 2018
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff