Islamische Welt
Dreißig Jahre lang hat er die arabische und islamische Welt bereist und für die "Neue Zürcher Zeitung" aus ihr und über sie berichtet. Arnold Hottinger hat sich dabei den unbestrittenen Ruf des angesehensten und allseits bewunderten Vertreters seiner Branche erworben.
Nicht von ungefähr, wie sein neues Buch unschwer belegt: "Islamische Welt" - 750 Seiten - Memoiren eines Nahost-Korrespondenten, dessen Arbeit noch auf lange Zeit hinaus jüngeren Kollegen als Vorbild dienen sollte.
Nationalismus und Unfreiheit
Unprätentiös, aber voller Sachkenntnis und gleichzeitig doch auch einer, der in seine nahöstliche Umwelt eintaucht. Einer, der sich dort wohl fühlt, der verstehen will und das Verstandene weitergibt. So kam Hottinger während seiner Zeit im Nahen Osten daher.
Und so ist auch das Buch: Einmal die sehr persönlichen Erinnerungen an den Anfang in Beirut, wo der junge Orientalistik-Student mit seiner amerikanischen Frau eintrifft, um seine Arabisch-Kenntnisse zu vertiefen, dann die sachkundigen Beschreibungen etwa der Moscheen von Isfahan, von der er - wie sicher jeder andere Besucher auch - zutiefst beeindruckt ist.
Kurzlebig wie die Welt nun auch im Orient geworden ist, beschreibt Hottinger zum Beispiel im Libanon die letzten Überbleibsel der kolonialen Vergangenheit - die spätestens im Bürgerkrieg untergegangen und verschwunden ist. Einer Vergangenheit, ohne deren Kenntnis man nicht verstehen kann, warum der Nahe Osten sich zu dem entwickelt hat, was er heute ist:
Eine Region, die hin und her gerissen ist zwischen ihrer Ablehnung jeder Art von Kolonialismus und extremem Nationalismus auf der einen Seite sowie Unfreiheit und Unterdrückung, bis hin zum Terrorismus auf der anderen. Hin und her gerissen auch zwischen Anspruch auf eigene Identität und schier grenzenloser Bewunderung von allem, was aus dem Ausland kommt.
Kurzweilig und informativ
Natürlich fehlt auch nicht eine Beschreibung der Hinwendung zum Islam: Sie ist eine Reaktion auf das offensichtliche Scheitern der traditionellen, wie auch der nationalistischen und - vorübergehend - mancher sozialistischer Regime gegenüber den Herausforderungen der Zeit.
Das Fazit Hottingers fällt entmutigt und entmutigend aus: Er vergleicht den Zustand der Region mit dem seiner Frau auf dem Sterbebett: Der Patient sucht Hilfe, er will fort in eine bessere Situation, der Besucher kann aber nicht helfen.
Wer dreißig Jahre lang eine so große und so vielseitige Region bereist und aus der Nähe kennen gelernt hat, der hat viel zu erzählen und mitzuteilen. Im Gegensatz zu so manchem anderen geplanten "Standardwerk" ist Hottingers "Islamische Welt" aber kurzweilig geschrieben und informativ zugleich.
Sie ist nicht das Sammelsurium enzyklopädischer Weisheiten, denen man in solchen Büchern allzu oft begegnet, sondern es ist mehr als deutlich, dass hier einer aus dem reichen Schatz seines eigenen Wissens und seiner eigenen Erfahrung plaudert.
Einer, der es zudem versteht, persönliche Erlebnisse mit kulturellen Beschreibungen, politischen Analysen und Schilderungen historischer Vorgänge zu einer atemberaubenden Reise durch Zeit und Raum dieser den Europäern immer noch fremden Welt zu verquicken.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
Arnold Hottinger
Islamische Welt
Schöningh, 2004
ISBN 3-506-71800-2
49.90 EUR
Schöningh Verlag, Paderborn