Kooperation zwischen den Fronten
Das Abkommen über das iranische Nuklearprogramm nach insgesamt über zwölfjährigen Verhandlungen ist ein großer historischer Durchbruch. Es unterwirft die Nutzung der nuklearen Technologie im Iran für die lange Laufzeit von 25 Jahren sehr weitreichenden Beschränkungen und internationalen Kontrollen. Damit ist sichergestellt, dass Teheran zumindest im nächsten Vierteljahrhundert kein geheimes Programm zur Entwicklung von Atomwaffen betreiben kann. Zugleich befreit die schrittweise Aufhebung der Sanktionen den Iran aus seiner internationalen Isolation.
Der Durchbruch von Wien wurde möglich, weil sich in den politischen Eliten der beiden Hauptkontrahenten USA und Iran endlich diejenigen Kräfte durchgesetzt haben, die die seit der Islamischen Revolution von 1979 herrschende tiefe Feindschaft zwischen beiden Ländern überwinden wollen. Weil sie wissen, dass die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Noch-Weltmacht und der in vielerlei Hinsicht wichtigsten Regionalmacht im konflikt- und ressourcenreichen Dreieck Naher Osten, Kaukasus, Zentralasien im wohlverstandenen Eigeninteresse beider Seiten ist.
Zwar betonen sowohl die Obama-Administration als auch die iranische Führung unter taktischer Rücksicht auf innen-wie außenpolitische Gegner jeglicher Annäherung zwischen beiden Ländern, dass lediglich ein Abkommen zur Beilegung des Nuklearstreits abgeschlossen worden sei – ohne weitere politische Implikationen. Die künftige Entwicklung wird diese Behauptungen hoffentlich schon bald widerlegen.
Chance für neue Kooperationen
Das Nuklearabkommen öffnet zumindest die Tür für eine Kooperation zwischen Washington und Teheran bei der Deeeskalation und Lösung diverser Konflikte im Nahen und Mittleren Osten.
Am dringendsten wäre diese Kooperation zur Beilegung des opferreichen Bürgerkrieges in Syrien – schon allein aus humanitären Gründen. Aber auch eine gemeinsame politische Strategie der USA und Irans zur Bekämpfung des "Islamischen Staat" statt der bislang im Irak betriebenen, von beiden Seiten allerdings geleugneten militärischen Kooperation wäre wünschenswert. Und nicht zuletzt würde eine Kooperation zwischen den USA und Iran auch eine gerechte und dauerhafte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ermöglichen. Dann würde auch die Schaffung einer von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen und Mittleren Osten endlich zu einer realen politischen Perspektive.
Drohende "Mutter aller Lobbyschlachten" gegen das Abkommen
Wenn es infolge des Nuklearabkommens und seiner Umsetzung auch zu einer Entspannung zwischen der Führung in Teheran und ihrem bisherigen außenpolitischen Hauptfeind kommt, entstehen zudem innenpolitische Handlungsspielräume für die demokratische Opposition im Iran, Chancen für politische Reformen und für eine Verbesserung der katastrophalen Menschenrechtslage.
Noch ist das Abkommen allerdings nicht in trockenen Tüchern. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und republikanische Fundamentalgegner jeglicher Vereinbarungen mit dem Iran im US-Kongress haben bereits für die nächsten zwei Monate "die Mutter aller Lobbyschlachten" angekündigt, um das Nuklearabkommen doch noch zu Fall zu bringen.
Massive Unterstützung werden sie dabei wohl von der saudischen Königshausdiktatur erhalten. Denn diese fürchtet für den Fall einer Normalisierung zwischen den USA und dem Iran um ihre privilegierten Beziehungen zu den Regierungen in Washington, Berlin und anderen westlichen Hauptstädten, denen Saudi-Arabien unverständlicherweise trotz seiner überall bestens bekannten Unterstützung für den "Islamischen Staat" und andere sunnitischer Terrororganisationen noch immer als wichtigster Verbündeter in der Nahostregion gilt.
Und auch die Hardliner im Iran werden versuchen, das Abkommen noch zu torpedieren. Manche aus ideologischen Gründen, andere, weil sie in den letzten Jahren von den verhängten Wirtschaftssanktionen gegen den Iran profitiert haben. Sollten die vereinten Gegner des Nuklearabkommens in Washington, Tel Aviv, Riad und Teheran Erfolg haben, droht der Region des Nahen und Mittleren Ostens noch mehr Destabilisierung und Krieg.
Andreas Zumach
© Qantara.de 2015
Andreas Zumach ist seit 1988 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz, Österreich, USA und Großbritannien. Zuletzt erschienen seine Bücher "Globales Chaos - machtlose UNO: Ist die Weltorganisation überflüssig geworden?" (2015), "Die kommenden Kriege" (2005) und "Irak - Chronik eines gewollten Krieges" (2003).