Milliardär gegen Slumdogs

Ägyptens reichster Mann, Naguib Sawiris, hat ein Auge auf das Kairoer Elendsviertel Ramlet Bulak geworfen. Die Polizei will das Gebiet räumen und terrorisiert die Bewohner. Doch diese geben nicht klein bei. Eine Reportage von Markus Symank

Von Markus Symank

Nacht für Nacht werden die Bewohner von Ramlet Bulak durch denselben Albtraum aus dem Schlaf gerissen. Immer in den frühen Morgenstunden rückt ein Trupp Polizisten in dem Kairoer Elendsviertel an. Mit Knüppeln und scharfer Munition bewaffnet schlagen die Staatsdiener Scheiben ein, sie brechen Türen auf, stürmen die Schlafzimmer.

Ihr Ziel sind die jungen Männer der Barackensiedlung. Diese zerren sie gewaltsam aus ihren Verstecken und stoßen sie in die dunkelblauen Polizeitransporter. Stellen sich Familienangehörige in den Weg, werden sie beschimpft, geschlagen oder gleich mit auf die Wache genommen. Auf lästige Durchsuchungsbefehle verzichten die Polizisten. Das Quartier steht unter Generalverdacht.

Dutzende Männer aus Ramlet Bulak haben die Sicherheitskräfte seit Anfang August auf diese Weise inhaftiert. 22 von ihnen sind im Hochsicherheitsgefängnis Tora untergebracht, als Zellennachbarn von Ex-Diktator Husni Mubarak.

Die Nile City Towers im Stadtteil Bulak in Kairo; Foto: Markus Symank
Objekt der Immobilienbegierde: das Elendsviertel Bulak im Herzen Kairos, im Hintergrund die pompösen Nile City Towers.

​​"Die Regierung behandelt uns wie Terroristen", klagt Magda Hassan, deren beide Söhne man seit Tagen ohne Anklage festhält.

Am Anfang steht ein Mord

Begonnen hat der Polizeiterror mit dem Tod von Amr al-Bunni am 2. August dieses Jahres. Der junge Mann verdiente sich seinen Lebensunterhalt wie viele andere Bewohner Ramlet Bulaks auch als Sicherheitsangestellter der Nile City Towers. Die beiden pompösen Hotel- und Bürotürme samt eigener Shoppingmall wurden vor zehn Jahren von Wirtschaftsmogul Naguib Sawiris erbaut und grenzen direkt an den Slum.

Al-Bunni wuchs im Schatten des Luxuskomplexes auf: Die aus Ziegeln, Holzbrettern und Wellblech gefertigte Hütte seiner Eltern liegt nur einen Steinwurf von den 142 Meter hohen Zwillingstürmen mit ihren vergoldeten Fassaden und Blick auf die Pyramiden von Gizeh entfernt. Betreten hat der junge Mann die Nile City Towers nie. Sein Monatsgehalt von umgerechnet 120 Dollar hätte nicht einmal für eine Übernachtung in einem Hotelzimmer der günstigsten Kategorie gereicht.

Als sich al-Bunni an diesem Donnerstag seinen Lohn abholen will, kommt es zu einem tödlichen Streit. Der zuständige Beamte will das Geld nicht aushändigen. Al-Bunni schimpft und droht lautstark mit Gewalt. Daraufhin zückt ein hoteleigener Wachmann seine Pistole und erschießt den unbewaffneten Slumbewohner. Im Internet zirkulieren Handy-Aufnahmen des Vorfalls. Selbst bei großzügiger Auslegung kann man dem Wachmann keine Notwehr zugestehen.

Superreich gegen bettelarm

Die Koexistenz der Bewohner von Ramlet Bulak und der Eigentümer der Nile City Towers ist schon mehrfach auf die Zerreißprobe gestellt worden: Als vor wenigen Monaten ein Feuer in dem Slum ausbricht, weigern sich die Hotelangestellten, Löschwasser bereitzustellen.

Ein Kleinkind stirbt in den Flammen. Auch argwöhnen die Bewohner der Barackensiedlung, dass Hoteleigentümer Naguib Sawiris ein Auge auf ihr Quartier geworfen hat. Immer wieder bieten dessen Männer den Anwohnern Geld an, um sie zum Ausziehen zu überreden. Einige Familien haben dem Dängen nachgegeben. Ihre zurückgelassenen Hütten wurden platt gewalzt.

Nach dem Tod von al-Bunni kommt es zum endgültigen Frontalzusammenstoss zwischen superreich und bettelarm. Verwandte und Freunde des Getöteten randalieren vor den Zwillingstürmen, schlagen Scheiben ein und zünden Autos an. Einige dringen in eines der Gebäude ein und werfen mit Steinen nach Polizei und Feuerwehr.

Die Sicherheitskräfte rücken mit einem Grossaufgebot an, feuern 30 Kanister Tränengas in das Slumgebiet. Tage später nehmen die nächtlichen Razzien ihren Anfang. "Die Polizei tritt unsere Rechte mit Füssen – so, als hätte es nie eine Revolution gegeben", klagt Magdi Hossam, der inoffizielle Mediensprecher der Slumbewohner.

Wem gehört das Land?

Für Mohammed Chidr genügt der Verweis auf die in Ägypten allgegenwärtige Polizeibrutalität nicht, um die Vorfälle in Ramlet Bulak zu erklären. Der junge Anwalt vermutet vielmehr, dass die Ausschreitungen nach al-Bunnis Tod als Vorwand missbraucht werden, um das Elendsviertel für neue Bauprojekte des Unternehmers Naguib Sawiris zu räumen.

Dieser hat das etwa zehn Hektar große Gebiet in unmittelbarer Nähe zum Nil und der Kairoer Innenstadt bereits in den 1990er Jahren von der Regierung erworben. Der Kaufpreis für das Stück Land soll weit unter Marktwert gelegen haben. Die Beamten hätten sich die Taschen mit Bestechungsgeld gefüllt, heißt es.

Mohammed Chidr von der Egyptian Initiative for Personal Rights; Foto: Markus Symank
Letzter großer Hoffnungsträger für die Slumbewohner Bulaks: Mohammed Chidr und sein Anwaltsteam der "Egyptian Initiative for Personal Rights"

​​Doch der Deal war vor allem aus einem anderen Grund illegal: Die meisten Familien in Ramlet Bulak haben ihre Wurzeln zwar im ländlichen Oberägypten, leben aber bereits seit Generationen in dem Viertel. Gemäß ägyptischem Recht erhebt sie dies automatisch in den Rang der alleinigen Grundbesitzer. "Der Staat hatte überhaupt keine Befugnis, das Land zu verkaufen", sagt Mohammed Chidr.

Kampf gegen Staat und Sicherheitsapparat

Mohammed Chidr und sein Anwaltsteam der "Egyptian Initiative for Personal Rights" ist die größte Hoffnung der Slumbewohner. Die Menschenrechtsorganisation setzt sich seit Jahren für die Belange der Ärmsten ein und hat schon mehrfach erfolgreich gegen Staat und Sicherheitsapparat geklagt. "Diesmal ist die Sache besonders vertrackt", seufzt Chidr und fährt sich mit der Hand über seinen glattrasierten Kopf.

Gleich an drei Fronten muss der Anwalt kämpfen: Zum einen will er die 22 inhaftierten Männer freibekommen, die ohne konkrete Anklage festgehalten werden. Die meisten von ihnen wurden erst Tage nach den Randalen vor den Nile City Towers festgenommen. Einer der Gefangenen stammt nicht einmal aus Ramlet Bulak: Er wollte an diesem Tag lediglich sein Auto aus einer Werkstatt in dem Viertel abholen.

Weiter muss Chidr beweisen, dass die derzeitigen Bewohner von Ramlet Bulak seit mehr als 20 Jahren dort zu Hause sind. Keine leichte Aufgabe, zumal der Staat den hunderten betroffenen Familien nie Besitzurkunden ausgestellt hat.

Abrissbagger stehen bereit

Die größte Herausforderung für Chidr dürfte jedoch sein, die Zusammenarbeit von Sicherheitskräften und Naguib Sawiris zu belegen. Auf Unterstützung der Behörden braucht er nicht zu hoffen: Der Gouverneur von Kairo gilt als enger Freund des reichsten Mannes von Afrika. Im Juni dieses Jahres ordnete er an, Ramlet Bulak vollständig zu räumen. Der Befehl hängt seither wie ein Damoklesschwert über den Slumbewohnern.

"Theoretisch können jeden Moment die Abrissbagger anrücken", sagt Chidr. Auch die staatlichen Medien arbeiten gegen die Anwohner. Immer wieder werden diese in Fernsehen und Zeitung als "Baltagija" abgestempelt, ein Begriff, mit dem in Ägypten Tunichtgute aller Art bedacht werden. Die Sawiris-Familie selbst äußert sich zu den Vorgängen nicht. Ein Mediensprecher deren Geschäftsgruppe Orascom teilte lediglich mit, dass man zu "politischen Ereignissen" grundsätzlich keine Stellung beziehe.

Warum den Einwohnern des Elendsviertels gerade jetzt die Daumenschrauben angezogen werden, ist unklar. Möglicherweise hat die Verantwortlichen ein Bericht aufgeschreckt, wonach Präsident Mohammed Mursi 20 der 27 Gouverneure des Landes austauschen will.

Ein solcher Schritt könnte den Bauabsichten Sawiris' einen Riegel vorschieben. Die Machtübernahme der Islamisten macht den Anwälten der EIPR ohnehin Hoffnung. Zwar hat auch das neue Staatsoberhaupt angekündigt, bis 2015 alle Slums aus dem Stadtbild der Kairoer Innenstadt zu tilgen. Allerdings soll den Bewohnern eine faire Entschädigung angeboten werden.

Regierung baut Mauer

Verkaufsstand an einem Auto in Bulak; Foto: AP
Furcht vor den Abrissbaggern: Im Juni dieses Jahres ordnete der Gouverneur von Kairo an, Ramlet Bulak vollständig zu räumen. Der Befehl hängt seither wie ein Damoklesschwert über den Slumbewohnern.

​​Mit diesem Vorschlag scheinen die meisten Familien in Ramlet Bulak einverstanden zu sein. "Niemand will hier wohnen", sagt Anwar Ramadan Abdel Latif, während er durch den Müll vor seiner zweistöckigen Baracke watet. "Wenn man uns einen anständigen Preis für unser Grundstück anbietet, sind wir morgen weg", so der im Quartier einflussreiche Familienvater. Die Anwälte verlangen knapp 2.000 US-Dollar pro Quadratmeter. Orascom soll bislang nicht einmal einen Zehntel dieser Summe bieten.

Die Regierung hungert die Bewohner indes regelrecht aus. Ihr brackiges Wasser müssen sie mit Eimern aus dem Nil heranschleppen. Um abends nicht im Dunkeln zu sitzen, zapfen sie illegal Stromleitungen an. Andere, viel später entstandene Slums versorgt die Stadtverwaltung längst mit Elektrizität und fließend Wasser. Die einzige sichtbare Investition der Regierung in Ramlet Bulak hingegen ist eine mannshohe Mauer, die das Gebiet von den Nile City Towers trennt. Der Fünf-Sterne-Aufenthalt der Touristen soll durch nichts getrübt werden.

"Wir haben dazugelernt"

Als einer der Wortführer aus Ramlet Bulak bekommt Abdel Latif den vollen Zorn der Behörden zu spüren. Er selbst sowie sein älterer Sohn gehen an Krücken, seit ihnen Polizisten in die Beine geschossen haben. Dem jüngeren, 14-jährigen Sprössling fehlt die obere Reihe Schneidezähne: ein Andenken des örtlichen Polizeireviers. Die Hühner, Tauben und Hasen, die Abdel Latif in seiner Baracke züchtete, haben den massiven Tränengaseinsatz nicht überlebt. Nur zwei Gänse schnattern noch auf dem Dach.

Abdel Latif will trotz allem nicht klein beigeben. Vor kurzem organisierten er und andere Slumbewohner eine Pressekonferenz, um auf die Polizeigewalt aufmerksam zu machen. Prompt nahmen ihn die Sicherheitskräfte fest. Als sich nur wenig später Dutzende Familienangehörige, Aktivisten und Journalisten vor der Polizeiwache versammelten, ließen ihn die Behörden wieder laufen. "Die Sicherheitskräfte haben seit der Revolution nichts dazugelernt", sagt Abdel Latif. "Wir schon."

Markus Symank

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de