Islamophobie und Rassismus im kulturell veredelten Schafspelz
Als ich am Tag vor der Europawahl in meiner Berliner Nachbarschaft einkaufen ging, kam mir ein großer LKW mit deutschen Flaggen und Logos der AfD (Alternative für Deutschland) sowie einer großen Reproduktion eines Ölgemäldes entgegen. Es zeigte eine weiße, versklavte Frau, die schutzlos den Blicken und Griffen mehrerer dunkelhäutiger und unheimlich aussehender Männer ausgesetzt ist. Darauf der Slogan: "Damit Europa kein Eurabien wird! Europäer wählen AfD!"
"Eurabia" ist ein islamfeindlicher Begriff, der im Zusammenhang mit einer Verschwörungstheorie verwendet wird, die besagt, dass Europa bald von Muslimen übernommen werde - eine Theorie, die beispielsweise vom norwegischen Rechtsextremisten Anders Breivik vorangetrieben wurde, der im Jahr 2011 77 Menschen ermordete.
Gezielte Rückgriffe aufs kulturelle Gedächtnis
Das Plakat - eines von mehreren aus der AfD-Kampagne "Aus Europas Geschichte lernen", für die die Partei verschiedene berühmte Kunstwerke uminterpretiert hatte, um bei den EU-Wahlen eine fremdenfeindliche Agenda voranzutreiben - zeigt "Der Sklavenmarkt" (1866) des französischen Malers Jean-Léon Gérôme. Dabei handelt es sich um ein orientalistisches Werk, eine rassistische Ikone aus der Kolonialzeit.
Ebenfalls verwendet wurde das Gemälde, um die Wähler daran zu erinnern, was in Köln während der Silvesternacht 2015 geschah, als mehr als 600 Frauen Opfer sexueller Übergriffe wurden, die mehrheitlich von Männern mit "nordafrikanischem" Aussehen begangenen worden sein sollen.
Der Besitzer des Gemäldes forderte die rechtspopulistische Partei dazu auf, die Plakate abzuhängen - ohne Erfolg. Zugleich versuchten AfD-Funktionäre in der jüngsten Vergangenheit, auf Ausstellungen verschiedener Einrichtungen einzuwirken, indem bestimmte Werke nicht gezeigt werden sollten. So geriet beispielsweise die Ausstellung "Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945" im Berliner Rathaus Neukölln unter Druck: Die Organisatoren, so der Wunsch der AfD, sollten parteibezogene Inhalte zur Europawahl entfernen.
"Wir wollen mit der Ausstellung auf die Kontinuität der extremen Rechten in Berlin aufmerksam machen und gleichzeitig auf die Facetten des sozialen Widerstands hinweisen", erklärt Vera Henssler vom "Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum" im DW-Gespräch. "Die AfD ist nur ein kleiner Teil in dieser Geschichte, aber sie ist zweifellos einer der Akteure."
Die AfD-bezogenen Ausstellungsinhalte zeigen etwa, wie sich Parteimitglieder auf dem Höhepunkt der sogenannten "Flüchtlingskrise" 2014/15 für islamfeindliche Proteste Neonazis anschlossen. Oder wie sich die rechten Tendenzen innerhalb der AfD im Laufe der Zeit verstärkt haben und die Partei von einer ursprünglich EU-kritischen Partei zu einer zentralen Plattform der Islamophobie wurde.
Nach der Europawahl wanderten die AfD-Plakate in die Ausstellung im Neuköllner Rathaus - zum Missfallen der Partei. Die ankündigte an, die Objekte per Gerichtsbeschluss aus der Schau entfernen zu lassen. "Wir werden so etwas im öffentlichen Raum mit öffentlichen Mitteln nicht tolerieren", so der Sprecher der Berliner AfD, Ronald Gläser, gegenüber der DW.
Freie Meinungsäußerung?
Der versuchte Eingriff in die Ausstellung im Neuköllner Rathaus durch die AfD ist kein Einzelfall - auch die Arbeit anderer Kultur- und Bildungseinrichtungen wollte die Partei bereits zensieren. So verklagte sie das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) für dessen Studie "Parlamentarische Praxis der AfD in den deutschen Landesparlamenten" mit der Begründung, Persönlichkeitsrechte verletzt zu haben. Im April wies das Berliner Landgericht die Klage ab: Die Studie verletze in keiner Weise Persönlichkeitsrechte der AfD im Thüringer Landtag und könne sich auf die Wissenschafts- und die Meinungsfreiheit stützen.
Dabei ist die Meinungsfreiheit selbst für die AfD ein Politikum. "Die Wiederherstellung der freien Meinungsäußerung ist eines der Hauptanliegen der AfD", beteuert Ronald Gläser.
Doch man fragt sich, wie dies mit einem weiteren prominenten Fall zusammenpasst, bei dem sich der Vorsitzende der Thüringer AfD-Fraktion, Björn Höcke, einschaltete: 2017 errichtete das "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS) auf dessen Nachbargrundstück einen verkleinerten Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals, weil Höcke das Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert hatte.
In einer Rede vor Rechtsextremen, darunter Lutz Bachmann, Gründer von PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), nannte Höcke die Gruppe schließlich "eine kriminelle, ja terroristische Organisation."
Ein 16 -monatiges Ermittlungsverfahren gegen den Gründer des ZPS folgte und wurde erst kürzlich eingestellt, nachdem herauskam, dass der zuständige Staatsanwalt der AfD nahe stehen und an die Partei gespendet haben soll.
Rechter Marsch durch die Kulturinstitutionen ?
Kai Arzheimer, Professor für Politik am Institut für Politikwissenschaft in Mainz, ist der Ansicht, dass die Bemühungen, kulturelle Institutionen zu beeinflussen, Teil eines "besorgniserregenden" Trends seien, der das Herz der Meinungsfreiheit treffe.
"Das passt auch zum Programm für die Wahl in Sachsen, in dem die AfD Mittelkürzungen für Organisationen fordert, die mit dem Weltbild der Partei unvereinbar sind", so Arzheimer weiter.
Cynthia Miller-Idriss, Professorin für Bildung und Soziologie an der American University in Washington D.C., erläutert, die moderne Rechte habe in der Tat begonnen, Kultur- und Bildungseinrichtungen viel Aufmerksamkeit zu widmen.
In ihrem Buch "The Extreme Gone Mainstream: Commercialization and Far Right Youth Culture in Germany" (Die Extremen werden Mainstream: Kommerzialisierung und rechtsextreme Jugendkultur in Deutschland, 2018) befasst sie sich mit der zunehmenden Überlappung von Massenmode und Musikkultur mit einer zunehmend gesellschaftlich integrierten rechtsextremen Szene, die sich nicht mehr durch rasierte Köpfe und Bomberjacken auszeichnet und sich bewusst von Neonazi-Vereinigungen fernhält.
"Die Strategie ist nicht neu", sagt Julian Göpffarth, Forscher am "European Institute of the London School of Economics and Political Science". Bereits seit den 1970er Jahren strebe die neue Rechte in Deutschland nach "kultureller Hegemonie". Aber "mit dem Aufkommen der AfD sind die Rechtsextremen nun in Machtpositionen, in denen sie diese Strategie in einer bisher nicht dagewesenen Weise implementieren kann."
Die AfD bestätigt, eine neue Strategie der Hochkultur zu verfolgen. "Die Verwendung historischer Bilder für einen Wahlkampf war etwas Neues", erklärt Ronald Gläser die Kampagne der AfD "Lernen aus der Geschichte Europas". Gefragt, warum dabei auch der "Sklavenmarkt" herangezogen wurde, ergänzt er: "Weil das Bild deutlich zeigt, wohin die multikulturelle Gesellschaft führen könnte".
Eine Form des "intellektuellen Rassismus
Göpffarth nennt dies eine Form des "intellektuellen Rassismus", der "ein elitäres Verständnis der europäischen Zivilisation als überlegen, das im Kolonialismus die Norm war", fortsetzt und bei vielen AfD-Anhängern ankommt. "Die Verwendung dieses Bildes ermöglicht es der AfD, alte rechtsextreme Topoi mit einem neuen, gebildeteren bürgerlichen Publikum zu verbinden, das den Islam ablehnt", fügte er hinzu.
Cynthia Miller-Idriss meint, dass Ansichten über die Überlegenheit der europäischen Zivilisation, wie sie in der hohen Kunst vermittelt werden, auch bei der amerikanischen-Alt Right-Bewegung zu finden sind. Beide, sagt sie, teilten "eine islamfeindliche und gegen Immigranten gerichtete, angstgetriebene Agenda und streben nach Anerkennung als gebildete, kulturaffine Bürger, die sich von vulgär rassistischen Skinheads unterschieden."
Aber das islamfeindliche Narrativ der AfD hat zu einer anhaltenden Gegenreaktion geführt: "Sie nutzen Kunst im politischen Sinne, lehnen aber politische Kunst ab", sagt Raul Walch von "Die Vielen", einem deutschlandweiten Künstlerkollektiv, das im Mai 2018 dazu beitrug, zehntausend Menschen auf die Straßen Berlins zu bringen, um einer AfD-Kundgebung entgegenzutreten.
"Meinungsfreiheit und Freiheit der künstlerischen Meinungsäußerung sind sehr eng miteinander verbunden", sagte er gegenüber der DW, eine Woche nach einer anderen künstlerisch geführten Protestaktion gegen die Rechtsextremen, die rund 28.000 Menschen in ganz Deutschland versammelte. Das Ringen um die kulturelle Hegemonie, so scheint es, hat gerade erst begonnen.
Stuart Braun
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