Die prekäre Situation von Migranten und Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Europa
Grundlage der europäischen Migrations- und Asylpolitik ist die Dublin-III-Verordnung, auf dessen Basis ein Asylverfahren in dem Land durchgeführt wird, welches ein Flüchtling auf seinem Weg in die EU erstmals betritt.
Im Rahmen dieser Verordnung ist auch ein Frühwarnsystem vorgesehen, dass die EU vor größeren Migrationsströmen warnen soll. Allerdings beinhaltet die Dublin-III-Verordnung kein gerechtes Verteilungssystem, das alle ankommenden Asylsuchenden in Europa gerecht auf die EU-Staaten verteilt.
Die Mitgliedstaaten setzen die bestehenden Regelungen zur Zuwanderungspolitik sehr unterschiedlich um. In der Regel geht das auf Lasten der betroffenen Flüchtlinge.
Die Diskussion über Herausforderungen und Chancen einer gemeinsamen Europäischen Migrations- und Asylpolitik war das Ziel eines Dialogprogramms, das vom Europabüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel organisiert wurde.
In Gesprächen mit Vertretern von EU-Institutionen und Nichtregierungsorganisationen wurde deutlich, dass sich die europäische Migrations- und Asylpolitik in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheits-, Schutz- und Abwehrinstinkten einerseits und humanitären Wünschen andererseits bewegt. Geht es einem Mitgliedsstaat wirtschaftlich schlecht, so zeigt die Praxis, dass die stets betonte Menschlichkeit schnell in den Hintergrund gerät.
Unzureichende Asylpolitik
Ein gutes Beispiel für die unzureichende Asylpolitik in Europa ist Griechenland: Wegen seiner vielen Inseln und den damit "schwer kontrollierbaren Grenzen" versuchen viele Flüchtlinge aus ganz Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten durch den Mittelmeerstaat nach Westeuropa zu gelangen. Nach Schätzungen von Experten findet mehr als 80 Prozent der irregulären Einwanderung in die EU über die türkisch-griechische Grenze statt.
Doch das krisengeschüttelte Land kann den zahlreichen Neuankömmlingen keine sichere Versorgung gewährleisten. Griechische Asylunterkünfte sind hoffnungslos überfüllt, die Bürokratie überfordert und die einheimische Bevölkerung reagiert in seiner Angst um die eigene Existenz zunehmend fremdenfeindlich auf die Migranten.
Nach hartnäckiger Kritik von Menschenrechtlern und politischen Aktivisten wurde die Dublin-Regelung schließlich 2011 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgesetzt.
Die europäische Grenzschutzagentur "Frontex" soll die europäischen Grenzstaaten vor zu vielen Flüchtlingen bewahren und die nationalen Grenzschutzbehörden bei ihrer Arbeit gegen irreguläre Einwanderer unterstützen und koordinieren. Es gibt sie seit 2004. Sie ist insbesondere im Mittelmeerraum sehr präsent.
Die Asylsuchenden sollen bereits vor ihrem Eintritt in den Schengen-Raum von Europa ferngehalten werden. Oft werden sie dazu noch im Wasser von "Frontex"-Kräften abgefangen und in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt.
Die finanziellen Mittel, die die EU für den Bereich der Grenzsicherung und die Rückführung von illegalen Einwanderern zur Verfügung stellt, fallen pikanterweise sehr viel höher aus als die Förderung von Integration: Der europäische Grenzschutzfond ("External Borders Fund") verfügt über 1,8 Milliarden Euro jährlich, für die Integration von Drittstaatenangehörigen ("European Fund for the Integration of Third-Country-Nationals") werden dagegen lediglich 825 Millionen Euro bereitgestellt. Trotz genauer Nachfragen ist immer unklar, wie das viele Geld im Detail ausgegeben wird.
Unding Residenzpflicht
Es gibt viele Fehler in der Asylpolitik vor Ort. Eine davon ist die irrwitzige Residenzpflicht. Die Folgekosten, die wegen dieser fehlenden Integration entstehen, sind enorm: Einmal in Europa angekommen, sehen sich Asylbewerber oft unnötig langen Phasen der Isolation und Untätigkeit ausgesetzt. Oft werden sie jahrelang in Asylunterkünften untergebracht und nur mit dem Nötigsten versorgt, eine Integration findet nicht statt.
Sobald ein Asylbewerber jedoch als Flüchtling anerkannt wird und damit im Land bleiben darf, muss er sich innerhalb kürzester Zeit eine Wohnung und eine Arbeit suchen, um von staatlicher Unterstützung unabhängig zu werden.
Insbesondere in Deutschland ist die Unterbringung von Asylsuchenden in der Regel außerhalb von Gemeindezentren, in Gewerbegebieten und in sehr wenig besiedelten infrastrukturell schwachen Flächen stark zu kritisieren. Den Asylsuchenden wird somit der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung unnötig erschwert.
Zudem schreibt eine sogenannte Residenzpflicht vor, dass Asylbewerber und Geduldete dazu verpflichtet sind, sich nur in dem von der zuständigen Behörde festgelegten Bereich aufzuhalten und für jede Reise eine Genehmigung zu beantragen.
Migranten müssen außerdem in einigen Bundesländern von Lebensmittelpaketen leben, die oft religiöse und kulturelle Essgewohnheiten vernachlässigen und die Ernährung sehr einseitig gestalten.
Auch die gesundheitlichen Gefahren und Risiken, denen Migranten und Flüchtlinge ausgesetzt sind, sind enorm. Nicht selten haben Menschen, die in Europa ein neues Leben beginnen wollen, eine lange, beschwerliche Reise hinter sich. Sie haben körperliche und psychische Beeinträchtigungen aufgrund von Erlebnissen in Krisen-, Kriegsgebieten. Sie leiden unter den psychischen Folgen von Heimat- und Familienverlust und politischer Verfolgung oder Folter.
Folgeschäden werden in Kauf genommen
Die medizinische Versorgung von Asylbewerbern wird in Deutschland durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) geregelt. Danach erhalten Flüchtlinge und ihre Angehörigen nur bei akuten Krankheiten oder Schmerzzuständen medizinische Unterstützung. Es findet keine Prävention statt. Bei chronischen Krankheiten haben Asylbewerber nur dann Anspruch auf eine Behandlung, wenn eine akuter Handlungsbedarf ihrer Erkrankung umständlich bestätigt wird. Das ist den meisten Ärzten zu mühsam und zeitaufwendig, so dass sie sich vor den Ausnahmebedingungen bei der Versorgung von Asylbewerbern gestört fühlen.
Außer Suizidalität gelten fast alle psychiatrischen Krankheiten als chronisch, Psychotherapien werden in der Regel nicht bezahlt. Insbesondere Folteropfer und Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen werden daher gefährlich oft mit ihren Ängsten und Problemen allein gelassen.
Ähnlich geht es Asylbewerbern aus Krisengebieten, die einen Arm oder ein Bein verloren haben. Für Prothesen sind oft langwierige Anträge nötig, die nur ungern gewährt werden. Wichtige präventive Maßnahmen z.B. bei Kindern werden überhaupt nicht berücksichtigt. Solch ein Vorgehen ist menschlich nicht vertretbar und erzeugt unnötige gesundheitliche Folgeschäden.
Politischer Änderungsbedarf
Der menschenunwürdige Charakter der europäischen Migrations- und Asylpolitik muss in Deutschland und Europa endlich offen diskutiert werden. Das subjektive Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und die wenigen Ressourcen, die geteilt werden müssen, schaffen ein Schreckensbild des Fremden, so dass eine Verteidigung der eignen Pfründe und damit eine restriktive europäische Flüchtlingspolitik betrieben wird.
Auf lokaler Ebene sollte es beispielsweise Tutorenprogramme geben, die durch eine Interaktion der einheimischen Bevölkerung mit Asylbewerbern und Geduldeten Ressentiments abbauen.
Zusätzlich muss die ungleiche Gewichtung der EU-Mittel im Bereich Grenzschutz, Rückführung und Integration besser ausbalanciert werden. Gerade Kommunen müssen finanzielle Mittel für Integrationsmaßnahmen erhalten. Auch die medizinische Versorgung muss rechtlich ausgebaut und umfassender gestaltet werden. Dass psychische Erkrankungen bei Asylsuchenden häufig gar nicht erst behandelt werden, ist katastrophal und steht nicht in Einklang mit den europäischen Werten und dem Menschenrecht auf ein würdiges Leben.
Insgesamt geht die europäische Flüchtlingspolitik in vielen Belangen zu Lasten schutzbedürftiger Menschen. Die Europäische Union rühmt sich dafür, ihren Bürgern uneingeschränkte Reisefreiheit zu ermöglichen, der Grenzübertritt von Nicht-EU-Angehörigen wird jedoch in hohem Maße kriminalisiert.
Mitgliedsstaaten begreifen ökonomische Migranten und Flüchtlinge ausschließlich als wirtschaftliche Last und schieben Menschen auf ihrer Suche nach einer besseren Zukunft ab. Migration wird wie ein Verbrechen bekämpft. Gerade die Verleihung des Friedensnobelpreises vergangenen Dezember 2012 an die EU sollte eine Gelegenheit sein, eine neue Debatte über Flüchtlingspolitik in Europa anzustoßen.
Elif Cindik & Louisa Pehle
© MiGAZIN / Qantara.de 2013
Dr. Elif Cindik, Fachärztin für Psyichatrie und Psychotherapie, Master of Public Health, sowie SPD-Landtagskandidatin in Erding und stellv. Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Bayern.Louisa Pehle ist Politikwissenschaftlerin.
Der Artikel erschien zuvor auf MiGAZIN, das Fachmagazin für Migration und Integration in Deutschland.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de