Gesetzliches Kopftuchverbot an Schulen gefordert

Das Kopftuch ist ein heißes Eisen. Um sich nicht die Finger zu verbrennen, will Präsident Chirac das Kopftuch aus den Schulen verbannen. Dabei beruft er sich auf Frankreichs laizistische Tradition. Bernhard Schmid berichtet aus Paris.

Das Kopftuch ist ein heißes Eisen. Um sich nicht die Finger zu verbrennen, will Präsident Chirac das Kopftuch aus den Schulen verbannen. Dabei beruft er sich auf Frankreichs laizistische Tradition - ein nur vordergründiges Argument, meint Bernhard Schmid aus Paris.

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Chirac während seiner Grundsatzrede im Elysee-Palast

​​Nun ist die Katze aus dem Sack: Es wird in Frankreich in Bälde ein neues Gesetz zum Umgang mit religiösen Symbolen in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen geben. Das Thema genoss aus Sicht der Staatsspitze offenkundig höchste Priorität, denn Staatspräsident Jacques Chirac hielt dazu am 17. Dezember eigens eine feierliche Ansprache vor einem ausgewählten Publikum. Rund 400 Personen aus Regierungskreisen, aus dem Bildungswesen, aber auch Mitglieder antirassistischer Organisationen und Gewerkschafter aus dem öffentlichen Dienst waren dazu am Mittwochnachmittag in den Elysée-Palast geladen worden.

Ein Stück Tuch als Zankapfel in Medien und Politik

Jetzt steht fest, dass Schülern und Schülerinnen an öffentlichen Schulen künftig das Tragen des "islamischen Schleiers, egal welchen Namen man ihm gibt" (Originalton Chirac) – denn bisher war die Unterscheidung zwischen voile (Schleier, Hijab) und foulard (Kopftuch) heftig umstritten –"der Kippa oder eines überdimensionierten Kreuzes" untersagt werden soll. Das Verbot soll der Gesetzgeber festschreiben.

Das Thema beherrschte am folgenden Donnerstag, aber auch bereits in den vorausgehenden acht Tagen die französische Innenpolitik und die Berichterstattung der Presse; fast alle Tageszeitungen machten ihre Titelseite damit auf. Auch die Regierung scheint es eilig zu haben, denn nur wenige Minuten nach der Präsidentenrede kündigte Premierminister Jean-Pierre Raffarin an, die (konservativ-liberalen) Regierungsfraktionen würden in naher Zukunft ein Gesetz verabschieden, das zu Beginn des nächsten Schuljahres bereits in Kraft sein soll. Damit es Anfang September kommenden Jahres Anwendung finden kann, müsste es spätestens bis zur Sommerpause in dritter und letzter Lesung verabschiedet sein.

Wiederbelebung laizistischer Traditionen

Die meisten Beobachter hatten im Vorfeld damit gerechnet, dass ein solches Gesetz in Planung genommen werde. Am 11. Dezember hatte die Kommission unter Vorsitz des früheren Chirac-Beraters und jetzigen médiateur de la République (eine Art Ombudsmann, also eine Beschwerdeinstanz für die Bürger) Bernard Stasi ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die zwanzig Ausschussmitglieder hatten seit Anfang Juli an Vorschlägen zu dem Thema "Neufassung des laizistischen Staatsaufbaus in Frankreich" gearbeitet.

Konkreter Auslöser dafür, dass das Gremium durch Präsident Chirac eingesetzt wurde, war das erneute Aufflammen der Kopftuchdebatte im April und Mai dieses Jahres. Der allgemeinere Hintergrund bestand darin, dass verschiedene Beobachter in Politik und Medien ein "Anwachsen des Kommunitarismus" beklagten, also eine zunehmende Selbstbezogenheit verschiedener Bevölkerungsgruppen, die zu einem Rückgang universeller Wert- und Rechtsvorstellungen führe. Festgemacht wird das vor allem an Entwicklungen innerhalb der Einwanderungsbevölkerung.

Verbot für plakative religiöse Symbole

Die so genannte "Stasi-Kommission" hatte in ihrem Abschlussdokument eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, unter denen vor allem zwei hervorstachen. Die erste vorgeschlagene Maßnahme bestand aus einem doppelten Verbot: Sowohl religiöse Symbole, die auf als ostensible (ungefähr: plakativ) bezeichnete Weise getragen oder zur Schau gestellt werden, als auch entsprechend deutlich zur Schau gestellte politische Symbole sollten an öffentlichen Schulen verboten werden. Die erste Hälfte des Doppelverbots bot keine Überraschung, denn die Diskussion um die Behandlung von Kopftuchträgerinnen (sowie von Kippaträgern, die aber ohnehin meist konfessionelle Schulen besuchen und daher von einem eventuellen Verbot nicht berührt würden) stand ohnehin im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

Dafür kam der Vorschlag einer Untersagung "plakativer" Manifestationen einer politischen Gesinnung überraschender. Vor allem in linken oder antifaschistischen Gruppen Engagierte warnten bereits vor einem Gesetz in obrigkeitlichem Geiste, das den Ideenkampf unter Jugendlichen einschränken und für verordnete Ruhe sorgen solle. Doch Chirac hat diese zweite Hälfte des Vorschlags anscheinend nicht berücksichtigt, jedenfalls war in seiner Ansprache in keiner Stelle von politischen Symbolen die Rede. Möglicherweise befürchteten Präsident oder Regierung auch eine Mobilisierung an den Schulen gegen eine solche Maßnahme, die dann erst recht Staub aufgewirbelt hätte.

Gleichberechtigung durch Feiertage?

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Muslimische Frauen in Frankreich

​​Ebenfalls keine Berücksichtigung fand der zweite Vorschlag des aus Juristen, PhilosophInnen, Soziologen und PolitikerInnen bestehenden Ausschusses. Demnach sollte neben den gesetzlichen Feiertagen christlichen Ursprungs (bzw., wie im Falle des Weihnachtsfests, vorchristlicher germanischer oder gallischer Herkunft, die später mit einer christlichen Legitimation überdeckt wurde) nunmehr im Kalender der staatlichen Schulen auch ein jüdischer und ein muslimischer Feiertag anerkannt werden.

Konkret sollten das islamische Fest Aïd-el-Kebir (das auf das Opfer Abrahams zurückgeführt wird) sowie der jüdische "Tag der Großen Vergebung", Yom Kippur, in den Ferienkalender der Schülerinnen und Schulen aufgenommen werden. Das bedeutete nicht, dass auch die lohnabhängig Arbeitenden in den Genuss zusätzlicher freier Tage gekommen wären. Sie sollten allerdings künftig die Wahl haben, sich an Yom Kippour bzw. Aïd el-Kabir statt an einem anderen Moment einen Ferientag zu nehmen, was allerdings ohnehin in der Praxis längst gemacht wird.

Sturmlauf gegen Feiertage für religiöse Minderheiten

Dieser letzte Vorstoß der Kommission, der anscheinend als eine Art "Kompensation" an die religiösen Minderheiten (als "Ausgleich" für das Kopftuch- und Kippa-Verbot an öffentlichen Schulen) gedacht war, rief allerdings einen Aufschrei der Empörung hervor. "Voll im Kommunitarismus" lande man mit dieser Idee, beklagte der christdemokratische Politiker François Bayrou. Von "versteckter Förderung des islamischen Kommunitarismus" sprach der rechtskatholische EU-Gegner Philippe de Villiers, während der Chef des rechtsextremen Front National – Jean-Marie Le Pen – erwartungsgemäß gegen eine angebliche Bevorzugung des Islam auf Kosten der christlichen Tradition wetterte.

Aber auch sehr viele Abgeordnete der konservativen Regierungspartei UMP äußerten sich argwöhnisch über die Neuerung. Teilweise mit ähnlichen Argumenten wie den zitierten, teilweise aber auch einfach mit dem wahlpolitischen Motiv, dass die extreme Rechte unter Le Pen bei den Regionalparlamentswahlen in drei Monaten neue Erfolge verzeichnen werde, "wenn das durchkommt". Ein häufig bemühtes Argument bestand darin, die – im November 03 durch die Raffarin-Regierung beschlossene – Abschaffung des Pfingstmontags als arbeitsfreier Tag in direkten Bezug zur "nunmehr erfolgter Anerkennung muslimischer und islamischer Feiertage" zu setzen.

Neid als Faktor in der Politik

Ein Zusammenhang, der freilich nur schwerlich herzustellen ist, denn die abhängig Beschäftigten wären ja (anders als Schüler und Lehrer) in der Regel nicht direkt von den neuen Feiertagen betroffen gewesen. Das Hauptmotiv der Regierung bei der Streichung des Pfingstmontags war aber eine Verlängerung der Arbeitszeiten gewesen, die angeblich nötig sei, um den Pflegebedarf für ältere Mitbürger finanzieren zu können. Insofern kann man von der Mobilisierung eines blanken Neideffets, ohne reale Grundlage, sprechen.

In seiner Rede äußerte Chirac sich zu dieser Frage mit den Worten: "Ich glaube nicht, dass man dem schulischen Kalender neue Feiertage hinzu fügen sollte, denn er zählt ihrer bereits viele." Dagegen solle die individuelle Abwesenheit von SchülerInnen an den fraglichen Tagen seitens der Lehrkräfte als entschuldigt gelten, und es sollten keine Prüfungen auf diese Tage gelegt werden. Das wird in der Praxis von Schulen und Universitäten ohnehin seit längerem so gehandhabt, in der Regel jedenfalls. Was ausbleibt, ist das Symbol, das in der Veränderung des Feiertags-Rhythmus gelegen hätte.

Gleichheit auf Kosten der Minderheit

Denn nunmehr wird zwar das Verbot "plakativer religiöser Symbole" im Namen des Universalismus, der dem französischen Laizismus zugrunde liegt – das gesellschaftliche Leben des Individuums soll nicht durch seine Herkunft vorab determiniert werden – gerechtfertigt. Gleichzeitig aber wird eifrig unter den Tisch gekehrt, dass auch seitens der Mehrheitsgesellschaft eine Form von kulturellem Partikularismus vorherrscht, der sich in der impliziten Anerkennung allein von Festtagen christlicher Herkunft – die für viele Bürger ihre frühere Bedeutung verloren haben mögen – ausdrückt.

Vor 200 Jahren hatten das die französischen Revolutionäre bereits problematisiert. Deswegen hatte ein Gesetz vom 24. November 1793 sogar den Wochenrhythmus verändern wollen: Statt des Sonntags, der auf die Erfordernisse der christlichen Sonntagsmesse zurückgeht, sollte ein anderer wöchentlicher Ruhetag eingeführt werden – der décadi. Dieser, wahrscheinlich ideologisch überzogene, Versuch blieb allerdings in nachhaltig schlechter Erinnerung. Denn für die aufstrebende Bourgeoisie hatte die neue Einteilung in décades (statt Wochen) nebenbei einen unerhörten praktischen Vorteil: Statt alle sieben Tage sollte der arbeitenden Bevölkerung nur noch alle zehn Tage ein Ruhetag gegönnt werden.

Bernhard Schmid, © Qantara.de 2003

Weitere Informationen zum geplanten Kopftuchgesetz finden Sie hier