Kopftuchdebatte à la française
Kopftuch, Kippa, Turban und große Kreuze soll es an Frankreichs öffentlichen Schulen nicht mehr geben. Das hatte die französische Nationalversammlung im Februar 2004 mit parteiübergreifender Mehrheit beschlossen und damit den Gesetzentwurf Chiracs bestätigt.
Bereits im vergangenen Dezember hatte der Staatspräsident in seiner Grundsatzrede an die Fundamente des republikanischen Selbstverständnisses in Frankreich appelliert: Der Staat sei zur Neutralität in Bekenntnisfragen verpflichtet.
Indem Chirac zudem eine unabhängige Behörde zur Bekämpfung von Diskriminierung und zur Durchsetzung der Chancengleichheit ankündigte, versuchte er den Laizismus-Gedanken zu bekräftigen – und damit absehbare Vorwürfe der französischen Muslime oder Juden zu entkräften.
Diese hatten bereits im Vorfeld den Staatschef vor einem Verbot gewarnt. So hatte der französische Islamrat in einem Offenen Brief geschrieben, es dürfe nicht zu einem die Muslime diskriminierenden Gesetz kommen. Der französische Oberrabbiner Joseph Sitruk hatte kritisiert, dass ein Verbot eine erfolgreiche Integration aller Religionen verhindere.
Kopftuchstreit mit langer Tradition
Seit dem Verbot ist der Kopftuchstreit jedoch nicht vom Tisch, sondern erhitzt weiterhin die Gemüter. Dabei ist das Thema nicht neu, denn seit mittlerweile 14 Jahren sorgt es für innenpolitische Streitereien.
Angefangen hatte alles mit der so genannten "affaire du voile" von 1989: Wegen Kopftuchtragens wurden an einer Oberschule in der Provinzstadt Creil elf Schülerinnen maghrebinischer Herkunft aus dem Unterricht ausgeschlossen.
Das sorgte damals für eine heftige und teilweise sehr ideologisch geführte "Kulturkampfdebatte", an deren Ende das oberste französische Gericht des öffentlichen Rechts (Conseil d`Etat) seine juristischen Richtlinien verkündete. Doch diese bleiben bis heute sehr interpretationsbedürftig.
Kopftuchverbot im Falle missionarischer Tätigkeiten
Der Conseil d`Etat entschied im November 1989 gegen ein generelles Kopftuchverbot und erntete damit entschiedenen Protest von den gesellschaftlichen Gruppen, die im "Namen des Laizismus" eine Trennung von Religion und Schulunterricht gefordert hatten. Das Gericht entschied, dass an öffentlichen Schulen Einzelfallprüfungen vorgenommen werden sollten.
Ein Verbot könne nur dann erfolgen, wenn das Tragen religiöser Symbole, wie Kopftuch, Kreuz oder Kipa, mit missionarischen Tätigkeiten verbunden wäre. Oder aber wenn sich herausstellen sollte, dass dadurch andere Mitglieder derselben Religionsgemeinschaft unter moralischen Druck gerieten. Die Entscheidung im Einzelfall blieb den jeweiligen Schulleitungen überlassen.
Auf dieser juristischen Kompromissformel beruhte ein labiler innenpolitischer Frieden, der bis 2003 anhielt. Brüchig wurde er erstmals im April 2003, als der konservative Innenminister Nicolas Sarkozy, seinen Auftritt auf dem Kongress der UOIF ("Union des Organisations Islamiques de France") hatte. Die Organisation ist der französische Ableger des internationalen Netzwerks der Muslimbrüder, die ihren Hauptsitz in der Pariser Trabantenstadt La Courneuve hat.
Einige Monate zuvor avancierte die UOIF zum wichtigen strategischen Ansprechpartner der Pariser Regierung. Bereits seit Herbst 2002 bemühte sich die Regierung, den "französischen Islam" in organisatorische Strukturen einzubinden, da sie endlich über einen verlässlichen Ansprechpartner verfügen wollte.
Dieser fehlte bisher, da es im sunnitischen Islam keinen Klerus - vergleichbar dem in der katholischen Kirche - gibt. In einem neu gewählten "französischen Rat des muslimischen Kultus" ("Conseil Francais du Culte Musulman") wurde - neben einer an Marokko orientierten Fraktion - die UOIF zur stärksten Gruppierung.
Ein offenes Wort unter Freunden…
Aufgrund ihrer Aufwertung und Anerkennung durch die amtierende Regierung empfing die UOIF Innenminister Sarkozy daher zu ihrem jährlichen Kongress in der Pariser Vorstadt Le Bourget zunächst noch mit offenen Armen.
Sarkozy erhielt mehrfach donnernden Applaus, bis er dann – "unter Freunden soll man ja auch ein offenes Wort sagen" – einen Satz aussprach, mit dem er den Autoritätsanspruch des Staates unterstreichen wollte: Auf Passbildern hätten muslimische Frauen ohne Kopftuch und mit offenen Haaren zu posieren, so der Minister. Daraufhin buhte ihn das Publikum spontan aus, auch wenn die UOIF-Funktionäre versuchten abzuwiegeln.
Schließlich gingen die Bilder von Sarkozys Auftritt durch alle Medien, Frankreich hatte einen neuen Skandal. Wieder mal war eine Debatte über Muslime in Frankreich und die Rolle des Kopftuchs entbrannt.
Eine Folge des neuerlichen Streits war die Einsetzung der so genannten "Stasi-Kommission" im Juli 2003. Diese trägt ihren Namen nicht etwa nach dem ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienst, sondern nach dem Politiker und ehemaligen hohen Chirac-Berater Bernard Stasi, der Kommissionsvorsitzender ist.
Sie hört diversen politischen und gesellschaftlichen Stimmen an - vom sozialdemokratischen Oppositionspolitiker Francois Hollande über den Rektor der Pariser Zentralmoschee, Dalil Boubekeur, von einigen französischen Bischöfen, bis hin zum Neofaschisten und Generalsekretär der Partei von Jean-Marie Le Pen, Bruno Gollnisch.
Zuletzt gehörte ihr der jüdische Großrabbiner Frankreichs, Joseph Sitruk, an. Im November 2003 stellte die Kommission ihre Anhörungen ein und bereitete sich auf ihren Abschlussbericht vor.
Die Affäre Aubervilliers
Neue Brisanz erhielt die Arbeit der Stasi-Kommission durch die "Affäre von Aubervilliers". In dieser Pariser Trabantenstadt wurde in der ersten Oktoberwoche 2003 der sehr medienwirksame Fall eines Schulausschlusses gegen Kopftuch tragende Mädchen ausgesprochen.
Es ist in insofern ein untypischer Fall, da die Mädchen aus einer atheistischen Familie stammen. Ihr Vater ist jüdischer Herkunft, ihre Mutter eine Algerierin christlicher Konfession, beide erklärten, sie seien Atheisten. Die Mädchen handelten offenkundig aus eigenem Antrieb – anscheinend eine Mischung aus jugendlicher Identitätssuche, Protest und islamistischen Einflüssen.
Im Gegensatz zur "affaire du voile" von 1989, wo die konservative Schulverwaltung den Schulausschluss veranlaßt hatte, waren es in diesem Fall vor allem linke Lehrer, die – besorgt über das "Anwachsen von Kommunitarismus" – den Schulausschluss von Anfang an befürworteten.
Aufgeladen wurde die "Kopftuch-Frage" ferner durch Jean-Claude Imbert, Chefredakteur des konservativen Wochenmagazins "Le Point" und Mitglied der Stasi-Kommission. Er selbst erklärte sich als "islamophob", was in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung auslöste.
Polemik ungebremst
Und polemisiert wird im Kopftuchstreit zur Genüge, vor allem im rechten politischen Lager – auch wenn Jean-Marie Le Pen mit seinen Äußerungen für einige Überraschung gesorgt hat. Während er sich noch Ende der 80er Jahre für repressive Maßnahmen ausgesprochen hatte, wandte er sich inzwischen gegen ein Gesetz zum Verbot von Kopftüchern in Schulen.
Seine Begründung zeigt jedoch, dass er sich nicht gewandelt hat. Man solle doch ruhig erkennen, dass "diese Leute uns nicht ähnlich sind und es nicht sein wollen", meinte der alternde Faschist. Eine spätere Trennung der Bevölkerung, durch Abschiebung aller Immigranten, sieht er dadurch erleichtert.
Bernhard Schmid, © Qantara.de 2004