Abtreibung verboten
Nouras Erinnerungen sind schmerzhaft. Sie befand sich in einer großen Einkaufsmall, als sie plötzlich Krämpfe verspürte. Krämpfe verursacht durch eine heftige Blutung: "Ich habe mich auf die Toilette gesetzt. Ich spürte, wie etwas Schweres aus meiner Gebärmutter herabfloss. Ich habe meine Hand darunter gehalten, um das Blut aufzufangen."
Noura heißt eigentlich anders. Im Alter von 23 Jahren ist sie ungeplant schwanger geworden. Sie und Khaled hatten eine außereheliche Beziehung. Als sie merkte, dass sie schwanger war, besorgte ihr Freund über Bekannte Abtreibungspillen. "Es war für mich zu früh, um mich auf eine Ehe einzulassen und Mutter zu werden", sagte sie. Sie konnte nur mit ihrem Freund und ihrer Mitbewohnerin darüber reden, denn Abtreibungen sind in Ägypten verboten und stehen unter Strafe.
Dann erlebte sie den Abgang ihres Embryos auf der Toilette in der City Stars Mall in Kairo. "Das war ein unfassbar brutaler Moment", erzählt sie. Ein Moment, den sie nicht vergessen werde.
Aufklären über Schwangerschaftsabbrüche
Es sind Erfahrungen wie diese, die die Feministin und Aktivistin Ghadeer Ahmed Eldamaty dazu veranlasst haben, die Erlebnisse von Betroffenen aufzuschreiben. In ihrem Buch "Abtreibungsgeschichten - Frauen zwischen Familie, Liebe und Medizin" - (auf Arabisch im Dezember 2022 beim Verlag Almaraya for Arts and Culture erschienen) klärt sie über Abtreibung in Ägypten auf, beschreibt die rechtliche und medizinische Situation und lässt zahlreiche Frauen wie Noura mit ihren persönlichen Erfahrungen zu Wort kommen.
"Ich will, dass andere Frauen, die eine Abtreibung durchlebt oder noch vor sich haben, wissen, dass sie nicht allein sind", sagt sie. "Mutterschaft wird in unserer Gesellschaft großgeschrieben, das Thema Abtreibung aber komplett vermieden. Sie ist verboten."
Die heute 32-jährige Ghadeer Ahmed Eldamaty hat bereits 2011 gegen das alte Regime auf dem Tahrir-Platz in Kairo demonstriert. Besonders die Rechte der Frauen waren für sie wichtig - und im Laufe der Jahre wuchs ihr Interesse am Thema Abtreibung.
Restriktive Abtreibungsgesetze am Nil
Die Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR - Egyptian Initiative for Personal Rights) und die Allianz zur Verwirklichung sexueller und reproduktiver Gerechtigkeit (RESURJ - Realizing Sexual and Reproductive Justice) bezeichnen Ägypten als eines der restriktivsten Länder der Welt, wenn es um Abtreibungen geht.
Nach ägyptischem Recht sind Abtreibung nicht erlaubt, auch nicht nach einer Vergewaltigung oder Inzest. Einzig die Lebensgefahr für die werdende Mutter oder den Fötus kann den Abbruch der Schwangerschaft rechtfertigen - und auch nur dann, wenn die Frauen verheiratet sind.
Die Artikel 260 bis 264 des Strafgesetzbuches sehen Strafen für Frauen, Ärzte, Hebammen und Apotheker vor, die illegal Abtreibungen vornehmen lassen, sie durchführen oder Medikamente verkaufen, die Fehlgeburten auslösen. In Ägypten wurden Abtreibungen erstmals im Jahr 1883 in der Ära des Khediven Muhammad Tawfiq Pascha (1879–1892) kriminalisiert, es wurde ein entsprechender Passus aus dem damaligen französischen Strafgesetzbuch übernommen.
"Diese Gesetze spiegeln die Haltung gegenüber den Körpern von Frauen wider. Frauen haben kein Mitspracherecht darüber, ob sie schwanger werden wollen oder nicht oder ob sie abtreiben wollen“, sagt die Aktivistin Azza Soliman im Gespräch mit der Deutschen Welle. Soliman ist Rechtsanwältin, Feministin und Kuratoriumsvorsitzende des Rechtshilfezentrums für ägyptische Frauen (CEWLA - Center for Egyptian Women Legal Assistance). Seit Jahren kämpft sie für die Rechte von Frauen und wurde wegen ihres Engagements auch schon 2016 festgenommen.
Verbote verhindern Abtreibungen nicht - sie machen sie gefährlicher
Doch dass Abtreibungen in Ägypten verboten sind, hindert viele Frauen nicht daran, eine Abtreibung vornehmen zu lassen - ob verheiratet oder nicht. Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben gezeigt, dass Abtreibungsverbote oder -Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung die Zahl der Eingriffe nicht reduzieren.
Vielmehr brächten sie mehr Frauen dazu, sich zweifelhaften oder gefährlichen Prozeduren zu unterziehen, die ihr Leben gefährden können. "Wenn einer Frau etwas zustößt oder es zu medizinischen Fehlern kommt, kann man nicht gegen den Arzt vorgehen", sagt Eldamaty. Eine Nachsorge gäbe es zudem nie. Die Frauen würden mit ihrem Schmerz und den möglichen Folgen alleingelassen. Hinzu kommt: "Eine Abtreibung ist nur dann möglich, wenn man die finanziellen Mittel dazu hat. Sie sind häufig sehr teuer."
Nach Angaben der WHO sterben weltweit etwa 39.000 Frauen jährlich bei solchen unprofessionell durchgeführten Eingriffen - rund 60 Prozent der Opfer leben auf dem afrikanischen Kontinent, 30 Prozent auf dem asiatischen. Verlässliche Statistiken über unsichere Schwangerschaftsabbrüche in Ägypten liegen nicht vor oder werden nicht veröffentlicht.
"Das verhindert eine angemessene Forschung zu den Auswirkungen von Abtreibungsgesetzen auf die Gesundheit von Frauen im Nahen Osten und in Nordafrika", sagt Gender-Expertin Habiba Abdelaal, die derzeit in Washington arbeitet.
Ägypten ist dabei kein Einzelfall. In allen Ländern im Nahen Osten und Nordafrika sind Abtreibungen erlaubt, wenn das Leben der schwangeren Frau in Gefahr ist. Einige Länder, dazu gehören zum Beispiel Bahrain, Irak, Jordanien, Kuwait, Libyen, Marokko und Oman, erlauben Abtreibungen darüber hinaus auch dann, wenn ein Risiko für die körperliche Gesundheit der Schwangeren besteht.
Abtreibungen selten auf der Agenda lokaler Frauenbewegungen
Im Jahr 1990 wurde der 28. September zum "Safe Abortion Day" erklärt. Es ist der internationale Aktionstag für das Recht auf sicheren und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Ghadeer Ahmed Eldamaty erzählt, dass in den 1990er Jahren das Thema sexuelle Gesundheit und auch Abtreibung von mehreren Organisationen in Ägypten aufgegriffen wurde. Doch das habe sich mittlerweile geändert. Das sieht auch Habiba Abdelaal so:
"Abtreibungen stehen selten ganz oben auf der Agenda lokaler Frauenbewegungen. Dies ist wahrscheinlich auf die Angst vor Vergeltung durch konservative soziale Gruppen zurückzuführen, die oft versuchen, Frauen und Mädchen zu kontrollieren und ihnen stereotype Geschlechterrollen in der Gesellschaft aufzuerlegen." Häufig werde auch versucht, Abtreibungsverbote religiös zu rechtfertigen.
Azza Soliman vom Rechtshilfezentrum für ägyptische Frauen wünscht sich, dass das Thema Abtreibung auf verschiedenen Ebenen diskutiert wird. "Auf der rechtlichen Ebene ist klar, dass das Gesetz geändert werden muss. Abtreibungen sollten nicht verboten sein. Wir müssen aber auch auf der medizinischen und gesellschaftlichen Ebene mehr über die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen reden - und aufklären."
Noura musste nach der Abtreibung so tun, als sei alles in Ordnung. Zu groß war die Sorge vor gesellschaftlicher Stigmatisierung oder einer möglichen Strafe. Kurze Zeit darauf haben sie und Khaled sich getrennt.
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Mitarbeit: Jennifer Holleis