Migranten - hofiert und diskriminiert
"Wir sind Hamburg. Bist Du dabei?" Mit diesem Slogan wirbt Hamburg um Migranten für die Aufgaben in der Stadtverwaltung. Polizisten, Lehrer, Ärzte, muslimische Seelsorger, Feuerwehrmänner, Steuerbeamte und Gefängniswärter – die Hafenstadt will mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund einstellen.
Nicht nur in Hamburg werden Migranten umworben. In ganz Deutschland sind die neuen Deutschen zur neuen Zielgruppe von Wirtschaft und öffentlichem Dienst geworden. Das Motto "Vielfalt bildet" vom Berliner "Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund" scheint sich bundesweit etabliert zu haben.
Abitur ist nicht mehr tabu
Dazu beigetragen hat das gestiegene Bildungsniveau von Migranten in Deutschland. 2011 machten bereits ein Viertel der Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren Abitur, 2015 lag der Anteil bei 33 Prozent. Bei Jugendlichen ohne Migrationsgeschichte nahm laut Integrationsmonitoring der Länder die Zahl der Abiturienten im selben Zeitraum von 32 auf 39 Prozent zu.
Auch bei der Ausbildung holen Migranten auf. 2015 verfügten 38 Prozent der Bewerber bis 35 Jahre mit Migrationshintergrund über eine abgeschlossene Berufsausbildung und 16 Prozent über ein Hochschulstudium. Der Anteil von Migranten ohne Qualifikation verharrt allerdings seit langem auf einem hohen Niveau von rund 30 Prozent.
"Wir wollen was erreichen"
"Wir müssen uns einfach nur unsere Eltern anschauen", sagt Cemile Ürük, Lehrerin für Englisch und Sozialpädagogik am Emschertal-Berufskolleg in Herne. "Die sind nicht nach Deutschland gekommen, damit aus uns auch nichts wird, sondern damit wir irgendetwas erreichen."
Cemile Ürük gehört dem Netzwerk für Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte an und will nicht nur für ihre Schüler, sondern auch andere Deutschtürken ein Vorbild sein. Das Netzwerk wurde 2007 vom Schulministerium in Nordrhein-Westfalen (NRW) gegründet, um mehr "Vielfalt" in Klassenzimmern zu ermöglichen.
Mittlerweile verfügen alle Bundesländer über ähnliche Förderprogramme. Und dies ist auch bitter nötig. Denn noch immer klaffen Wunsch und Wirklichkeit auseinander: So kommen im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands laut Netzwerk 26 Prozent aller Schüler aus Zuwandererfamilien. Der Anteil bei den Lehrkräften in NRW liegt lediglich bei fünf Prozent.
"Der Staat setzt auf uns"
Im öffentlichen Dienst sieht es ein wenig besser aus. Nach einer Umfrage des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) und des Statistischen Bundesamtes unter 24 Bundesbehörden und -ministerien lag der Anteil der Beschäftigten mit "Migrationshintergrund" dort 2015 bei 15 Prozent.
"Die Öffnung der Institutionen ist extrem wichtig", sagt Integrationsforscher Aladin El-Mafaalani in einem Interview mit dem "Spiegel". "Für Migranten, weil sie sehen: Der Staat setzt auf uns."
Aber auch für alle anderen. Denn ein Lehrer mit Migrationshintergrund verändere nicht nur das Klassenzimmer, sondern auch das Lehrerzimmer.
El-Mafaalani muss es wissen. Der Soziologe wurde als Kind syrischer Einwanderer in Deutschland geboren. Zurzeit arbeitet er als Abteilungsleiter im NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Düsseldorf. Sein Bestseller über erfolgreiche Integration in Deutschland ("Das Integrationsparadox") machte ihn schlagartig bekannt.
Hartnäckige Vorurteile
Nicht nur El-Mafaalani warnt in seinem Buch immer wieder davor, dass die Aufholjagd nicht geradlinig verlaufen wird. Denn der Kampf gegen Diskriminierung und Vorurteile verläuft nicht nur zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund. Er verläuft auch zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Migranten selbst.
Mangelndes Selbstbewusstsein, unzureichende Qualifikation, Misstrauen, kulturelle Distanz und vor allem tief sitzende Vorurteile verhindern nach wie vor häufig einen erfolgreichen Start ins Berufsleben. Viele Bewerber mit Migrationshintergrund werden erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Laut der Studie "Ethnische Hierarchien in der Bewerberauswahl: Ein Feldexperiment zu den Ursachen von Arbeitsmarktdiskriminierung" vom Mai 2018 werden Bewerber mit Migrationshintergrund trotz Fachkräftemangel weiterhin "deutlich diskriminiert".
Bildung allein entscheidet nicht
Das niederschmetternde Ergebnis: "Während Bewerber mit deutschem Namen in 60 Prozent aller Fälle eine positive Rückmeldung erhalten, ist dies nur bei 51 Prozent der Bewerber mit Migrationshintergrund der Fall."
Studien-Autorin Ruta Yemane, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), hat dafür eine Erklärung: "Diversität kommt nicht überall an, und Bildung allein löst die Probleme nicht", sagt sie. "Vorurteile und kulturelle Präferenzen haben mehr Einfluss auf Diskriminierung als Unterschiede im Bildungsniveau."
Astrid Prange
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