Eindrücke von einer Reise ins Ungewisse
Alhanoof, in Ihrem kürzlich erschienen Roman stellen Sie gleich am Anfang die Frage, inwiefern Orte sich auf unsere Seele auswirken. War es leicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden? Sind Sie gut mit der Fremde zurechtgekommen?
Alhanoof Aldegheishem: Als die Zeit in Deutschland schon fast um war, wurde mir klar, wie sehr sich der Ort auf die Seele auswirkt. Ich fragte mich: Was bist du für eine Frau geworden? Wer wäre ich, wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte? Mit geschlossenen Augen wünscht man sich dann eine Antwort herbei, irgendein konkretes Bild, aber das Bild kommt nicht. Eine rätselhafte Frau vielleicht, die man nur schwer einschätzen kann.
In mir drin entstand hier ein neues Leben, reif und klar. Ich weiß, was es damit auf sich hat. Ich bin diejenige die es gestaltet, niemand sonst.
Dieses Leben, komplex und vielschichtig, hat in hohem Maße dafür gesorgt, dass ich die Dinge wahrnehmen und über sie nachdenken kann. Nach und nach hat sich die Gewissheit eingestellt, dass ich nicht nur jede Turbulenz überstehen kann, sondern dass ich, nach diesen Erfahrungen, auch immer besser in der Lage bin, alles, was da kommen möge, zu meistern und besser mit meiner Verwundbarkeit und mit meinen Niederlagen fertig zu werden. Mittlerweile wirft mich nichts mehr aus der Bahn. Ich habe keine Angst mehr vor dem Unbekannten. Im ersten Moment würde ich vielleicht sagen, das liegt am Ort. Doch sind es nicht die Menschen, die einen Ort ausmachen?
Ich hatte in dieser Stadt zwar keine Freundinnen. Aber ich denke, die ganze Leichtigkeit dieser Stadt geht von den flüchtigen Begegnungen mit Menschen aus, denen mein Anderssein relativ gleichgültig ist. Der Mensch prägt die Kulturen, die dann mit bestimmten Zeiten oder Orten in Verbindung gebracht werden.
Wie war das mit dem Gefühl, eine Fremde zu sein, während Ihres Aufenthaltes in Deutschland? War das eher so eine Befindlichkeit, die von innen heraus kam? Oder hat Ihnen die Umwelt dieses Gefühl vermittelt?
Aldegheishem: Diese Frage habe ich mir die ganze Zeit über gestellt. Anfangs empfand ich es so, als käme das alles von außen. Ich spürte jeden noch so kleinen Unterschied. Ich beobachtete alles, was neu war. Und ich hatte auch das Gefühl, beobachtet zu werden. Aber mit der Zeit habe ich mich mit all den Unterschieden rings um mich herum arrangiert. Ich empfand es als angenehme Herausforderung, mich auf eine Art Tauwetter einzulassen. Es war so, als schmelze rings um mich herum das Eis, sodass der Horizont weiter wurde und ich aufgeschlossener für meine Mitmenschen mitsamt ihrer Andersartigkeit sein konnte.
Als ich ein Eichhörnchen beobachtete, schien es mir zuzurufen: "Nanu, du bist aber nicht von hier!" Wenn ich vom Regen überrascht wurde, lautete dessen Kommentar nur: "Tja – du kommst halt aus der Wüste." Selbst die unzähligen kupfernen Centstücke, die überall in der Wohnung rumflogen, auf den Tischen, in den Jackentaschen, weil ich sie einfach nicht ausgab, schienen eine Botschaft für mich zu haben: "Aha! Du stammst also aus einem Ölstaat!"
Im Umgang mit solchen Dingen lernte ich im Laufe der Zeit immer besser mit den Anderen klarzukommen. Es war, als ob eine Last von mir abfiele. Dieses Gefühl, eine Ausländerin zu sein, eine Fremde, das wurde mir aber nicht nur von den anderen vermittelt. Es war auch ein Resultat der andersartigen Kultur, die in mir steckt, meiner Prägung, meiner Weltanschauung. Es handelte sich also um eine komplizierte und undefinierbare Mischung, aus dem, was ich bin und als kulturelles Päckchen mit mir rumtrage, und dem, was der neue Ort und dessen kulturelle Komponenten mit sich bringen.
In dem Roman gibt es eine Passage, in der Sie sich daran erinnern, wie eine Katze beinahe von einem Auto überfahren worden wäre, als Sie als Kind mit Ihrem Vater unterwegs waren. Er riet Ihnen damals, zu schreiben, um die Angst loszuwerden. Sehen Sie diesen Roman als Versuch, durch das Schreiben Angst und Fremdheit zu vertreiben?
Aldegheishem: Ich bin ja von einer Kultur in die andere umgezogen, von meiner Heimatstadt Riad in eine mir unbekannte Stadt, wo ich als fremd und andersartig betrachtet wurde. Ich fand mich zwangsweise in der Isolation wieder. Das war zunächst einmal unangenehm und beunruhigend. Doch irgendwann ließen das unangenehme Gefühl und die geradezu allergische Reaktion gegenüber der Fremde nach. Ich arrangierte mich nicht nur, sondern ich war stolz auf das Fremdsein und schuf mir mein persönliches Exil, meine eigene kleine Heimat, die zu mir passte.
Der Konflikt, den ich in Freiburg auszutragen hatte, zwischen den Pflichten als Mutter, Ärztin, weibliches Wesen und Fremder auf der einen Seite und den Wünschen einer unabhängigen Frau, die stark und frei in ihrer ganz eigenen Welt leben möchte, auf der anderen Seite, führte zu einem Zustand der inneren Anspannung. Alles was ich wollte, war Frieden zwischen all den widersprüchlichen Frauen, die in meinem Inneren miteinander rangen. Ich habe deshalb nach einer Lebensform gesucht, die genug Platz bietet, damit sich all diese Frauen frei entfalten konnten.
In der Einsamkeit schrieb ich – über mich in dieser Stadt, über die Frau, die ich zum ersten Mal so klar sah. Durch das Anderssein habe ich nicht den Weg zu den anderen gefunden, sondern zu mir selbst. In der Abgeschiedenheit stieg ich in unbekannte Regionen meiner Seele hinab und entdeckte meine geistigen Fähigkeiten. Ungute Gefühle wurden ausgemistet, alte Verhaltensmuster durchbrochen. Ganz auf mich selbst gestellt lief ich das riesige Terrain ab, auf dem meine Ängste hausten, Ängste vor all dem, was mir unbekannt und unbegreiflich war. Ohne irgendjemanden miteinzubeziehen, jonglierte ich mit den Fragen, die in mir brodelten wie Vulkane.
Ich schrieb in der Straßenbahn, im Wartezimmer, in den langen Zeiten des Alleinseins. Ich schrieb einfach drauflos – Zettel, Briefe an meine Freundinnen, Notizen auf dem iPad und dem Handy. Auf die Idee, ein Buch zu schreiben, kam ich erst, als mein Deutschlandaufenthalt schon fast vorbei war. Mir wurde klar, dass ich geschrieben hatte, um aus der Sackgasse rauszukommen, in die mein Leben geraten war. Ich schrieb, um meine unruhige Reise aufzuzeichnen, ins Innere meiner Seele, zu meinem wahren Ich.
Sie schrieben: "Warum schien es unmöglich, sich zu integrieren? Wodurch wird dieser Unterschied so eklatant?" Meine Frage lautet nun, ob und inwieweit Ihre Töchter dazu beigetragen haben, dass Sie diese Zeit überstehen konnten?
Aldegheishem: Meine Verantwortung meinen Töchtern gegenüber schien ja ein Teil des Konflikts, den ich hier mit mir selbst auszufechten hatte. Trotzdem haben sie mir geholfen, zu innerem Frieden zu gelangen. Sie haben sich auf ganz natürliche Weise mit der Fremde arrangiert und die Unterschiede einfach nicht wahrgenommen. Das hat meine Überreaktion ein wenig abgemildert und mich seelisch gestützt. Durch sie habe ich im Laufe der Zeit die deutsche Kultur kennengelernt, in die sie sich nahezu mühelos einfügen konnten.
Was können Sie rückblickend auf Ihre Kindheit sagen, die Sie in einem speziellen Wohnviertel für das Lehrpersonal der König-Saud-Universität verbracht haben? Hat sich das auf Ihre Zeit in der Fremde positiv ausgewirkt? Hat Ihnen das geholfen?
Aldegheishem: Die Wohngegend, in der ich aufgewachsen bin, war anders als die anderen Viertel in Riad, kindgerechter, wie es scheint. Man konnte in dieser Atmosphäre, in der ich aufwuchs, leichter Kontakt zu anderen Kindern und zur Umgebung haben. Ich lebte, mehr oder weniger, so wie die Kinder in Deutschland. Wenn ich die Kinder beobachtet habe, dann merkte ich, wie ich in Gedanken an einen anderen Ort zurückgekehrt bin. Dadurch konnte ich mich leichter mit dem ungewohnten Umfeld in Deutschland arrangieren.
Sie haben geschrieben: "Obwohl alles, was ich wollte, wahr geworden ist, bin ich immer noch durstig und der salzige Geschmack im Mund nimmt stetig zu." Auf Ihrer Suche nach Erfolg, wollten Sie sich da als saudi-arabische Frau in einer fremden Gesellschaft selbst beweisen? Oder wollten Sie Frieden und Sicherheit finden und sich als Frau mit der Welt aussöhnen? Sind Sie da zu irgendeiner Antwort gelangt?
Aldegheishem: Ich glaube, die Frage verfolgt mich immer noch. Keine Ahnung, was mich dazu bewogen hat, den Erfolg zu suchen. Ich denke, das Bedürfnis, erfolgreich zu sein, ist bei Frauen ein anderes als bei Männern. Für den Mann ist das eher was Individuelles. Die Frau sucht hingegen ein Wirkungsfeld, in dem sie sich sicher fühlt und nicht ständig aneckt.
Sie treten für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Saudi-Arabien ein und Sie beschreiben in Ihren Artikeln die Situation der Frau als gesellschaftliches Dilemma. Besteht, Ihrer Ansicht nach, eine reelle Chance, dass sich die Situation in absehbarer Zeit bessert?
Aldegheishem: Die Frau in Saudi-Arabien lebt von der Hoffnung. Mag sein, dass sich einiges zu ihren Gunsten verändert hat. Doch im Vergleich zu den anderen sind die Frauen in Saudi-Arabien immer noch arg im Hintertreffen, und es muss noch viel getan werden, damit sie diesen Rückstand schleunigst aufholen können.
Ein italienischer Patient von Ihnen empfiehlt Ihnen in Ihrem Roman: "Nehmen Sie das Wissen von hier mit und gehen Sie nach Hause zurück. Ich bin seit 30 Jahren hier, aber mein Herz schlägt in Süditalien." Was halten Sie davon? Wo können Sie zur Ruhe kommen? Wo gehören Sie hin?
Aldegheishem: Ich halte es da mit Mahmud Darwisch, der sinngemäß sagte: "Die reiche Ernte schmeckt auf fremdem Boden bitter und das Wasser salzig." Und ich denke stets an jenes belutschische Lied, in dem es heißt: "Schön ist es, das Land der andern. Lebendig. Reich. Mit Honig, der in Strömen fließt. Doch die Heimat bleibt die Heimat, auch wenn sie noch so dornig ist."
Das Interview führte Hussein Gaafar.
© Goethe-Institut 2016
Hussein Gaafar ist Mitarbeiter in der Informations- und Bibliotheksarbeit am Goethe-Institut Alexandria.
Übersetzung aus dem Arabischen von Andreas Bünger