Der Aufgeklärte
Worin sehen Sie die Hauptursachen für den Radikalismus, den manche junge Muslime der zweiten und dritten Einwanderergeneration entwickeln?
Azzaoui: Muslime, die hier in Europa aufwachsen, haben oftmals das Problem, dass sie keine richtige Heimat haben, sondern zwischen den Welten sind und oft in beiden Gemeinden nicht akzeptiert werden. Es ist ein grundsätzliches Problem von Migranten, von Muslimen in Europa. Wenn dazu kommt, dass sie eine gewisse politische Ohnmacht entfalten, und es auch noch eine Form von religiöser Radikalisierung gibt, dann kann so ein Gemisch zu solchen unmenschlichen Taten führen.
In den Niederlanden wird jetzt versucht, durch Zusammenarbeit zwischen Moscheen und den Behörden radikale Muslime zu finden, bevor etwas passiert. Ein Vorschlag, der auch in Deutschland schon aufgetaucht ist. Wie stehen Sie dazu?
Azzaoui: Der Zentralrat der Muslime hat solche Vorschläge bereits vor dem 11. September 2001 der Politik unterbreitet. Für uns war eine Zusammenarbeit mit den Behörden wichtig, weil es schließlich gilt, solche schwarzen Schafe auszusondern - sowohl für die Sicherheit der Muslime als auch für die Sicherheit der Gesamtgesellschaft. Bei uns ist dieser Vorschlag schon lange im Raum gewesen, und wir hoffen, dass die Sicherheitsbehörden und die Politik diesen auch von uns aufnehmen.
Wie soll das denn dann konkret ablaufen?
Azzaoui: Wir können mit Sicherheit nicht die Aufgabe der Sicherheitsbehörden übernehmen. Aber es wäre wichtig, wenn es beispielsweise vor Ort, in den Städten, eine gewisse Kooperation zwischen der Polizei und den Moscheen gibt: dass beispielsweise die Polizei nicht bei dem kleinsten Verdacht eine Moschee stürmt, wie das in der Vergangenheit oftmals der Fall war, sondern dass man auf die Moscheen zugeht, sie für das Problem erstmal sensibilisiert, und ihnen in etwa sagt "Hier ist der Kontaktpolizist, wenn Ihnen irgend etwas auffällt, wenn Sie irgendein Problem haben, dann können Sie sich vertrauensvoll an diesen Polizisten wenden." Wenn man da irgendwelche Kommunikationsstrukturen aufbauen würde, wäre das mit Sicherheit sinnvoller, als wenn alles nur über V-Leute und über Spitzel geht. Vor allem auch deswegen, weil es ja unmöglich ist, alle Moscheen in der Form zu überwachen, sowohl rechtlich, als auch personell.
Die Frage ist natürlich: Was kann man vorbeugend tun, damit Jugendliche oder junge Erwachsene überhaupt nicht radikale Tendenzen entwickeln?
Azzaoui: Wir versuchen, in dem Sinne eine Integrationspolitik zu fördern, indem wir immer wieder zu bestimmten Themen Stellungnahmen abgeben, um unsere Gemeinden in eine bestimmte Richtung zu erziehen. Bei uns gibt es aber auch Imam-Seminare, wo wir deutlich machen, dass in den Moscheen kein Platz für religiöse Hasspredigten sein darf, und dass die Moscheeleitungen hier die Verantwortung haben, auch eine gewisse Hausordnung durchzusetzen. Wir versuchen in der Richtung eine ganze Reihe. Auf der anderen Seite wäre es sinnvoll, wenn auch die Politik sich diesem Problem annehmen würde und gute Rahmenbedingungen schafft, damit muslimische Jugendliche sich in die Gesellschaft integrieren können.
Wie sehen diese Rahmenbedingungen aus?
Azzaoui: Indem man Möglichkeiten schafft, etwa, der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache: Das ist etwas, was wir seit langem fordern, das bisher aber noch nicht eingerichtet worden ist. Das wäre etwas ganz Wichtiges, damit Muslime auch die Möglichkeit haben, sozusagen in der deutschen Schule in deutscher Sprache über ihre Religion zu reflektieren. Das wäre auch eine Möglichkeit, um einen aufgeklärten Islam voranzutreiben.
Nun wächst in den westlichen Bevölkerungen natürlich die Angst vor muslimischen Attentätern und damit auch eine Pauschalverurteilung des Islam. Was kann man tun, um hier die Kommunikation besser zu fördern?
Azzaoui: Im Prinzip muss man die Dialogarbeit vorantreiben, obwohl wir die Lage nicht immer so pessimistisch sehen, weil wir doch merken, dass die Dialogbemühungen der letzten zehn, zwanzig Jahre doch Frucht getragen haben und es doch sehr viele Menschen in der Gesellschaft gibt, die sich mit den Muslimen solidarisieren und auch auf diese Pauschalverurteilungen hinweisen. Wir versuchen dies beispielsweise durch einen Tag der offenen Moschee - jedes Jahr am 3. Oktober - wo wir die Muslime auffordern, immer wieder mit ihren Nachbarn ins Gespräch zu treten und diese Ängste nicht einfach als Rassismus abzuweisen, sondern darauf einzugehen und deutlich zu machen, dass wir auch gegen diesen Terror sind und dass uns auch am Wohl dieser Gesellschaft liegt.
Das Interview führte Cathrin Brackmann
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
Mounir Azzaoui ist Pressesprecher des Zentralrats der Muslime in Deutschland, der etwa 500 deutsche Moscheen vertritt.
Qantara.de
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