Signal für Dialogbereitschaft der islamischen Welt
Die Wahl des türkischen Wissenschaftlers Ihsanoglu zum neuen Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz sei ein deutliches Zeichen für die Dialogbereitschaft der islamischen Welt mit Europa, meint Baha Güngör. Nun seien die Europäer gefragt, damit der Dialog kein bloßes Lippenbekenntnis bleibt.
Alte und neue Länder in der Europäischen Union ringen um die Entscheidung, ob der Türkei am Ende dieses Jahres ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen gewährt wird - oder nicht.
In der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) hat man offenbar keine Probleme mehr, den militärisch prowestlich und kulturell an Europa orientierten NATO-Staat doch noch als Modell für die Koexistenz zu akzeptieren: zwischen dem Islam als Volksreligion und der Demokratie als zeitgenössischem Staatssystem.
Im Einklang mit der Türkei
Die Wahl eines türkischen Wissenschaftlers zum neuen Generalsekretär der OIC ist ein wichtiges Signal für die Bereitschaft der 57 OIC-Mitglieder zum Dialog mit Europa. Die islamischen Staaten haben sich jedenfalls schneller als die Europäer damit arrangiert, die Türkei als ein vertrauenswürdiges Land anzuerkennen.
Derweil schwingt Europa zum Teil noch die Fahne der Ablehnung aus religiösen und kulturellen Gründen - und stellt die viel beschworene Bereitschaft zum Dialog mit anderen Kulturen und Religionen in den Schatten.
Der neue OIC-Generalsekretär Ekmeleddin Ihsanoglu ist Leiter des Istanbuler Forschungszentrums für islamische Geschichte, Kunst und Kultur und wird am 1. Januar den bisherigen Amtsinhaber aus Marokko ablösen. Die 57 OIC-Mitglieder verweigerten zwar im ersten Wahlgang die erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Doch Ihsanoglus Gegenkandidaten aus Bangladesch und Malaysia verzichteten und machten somit den Weg frei für eine richtungsweisende Entscheidung einer Organisation, deren Mitglieder nicht nur aus Asien und Afrika, sondern auch aus Europa und sogar aus Südamerika kommen.
Dialog darf kein Monopol Europas bleiben
Auch wenn die meisten OIC-Länder bislang - aus historisch verwurzeltem Misstrauen - der Türkei mit Vorsicht gegenüber standen, so sind sie jetzt offenkundig zu der gemeinsamen Auffassung gelangt, dass der Dialog zwischen Kulturen und Religionen kein Monopol Europas bleiben sollte. Die Brücken eben dieses Dialogs führen über die Türkei und verleihen ihr ein ganz neues Gewicht.
Die Türkei ist Nachfolgerin jenes Osmanischen Imperiums, das vier Jahrhunderte über einen Großteil der islamischen Welt geherrscht hat. Dieses Reich wandte sich aber auch nach Europa - in beiden Sphären gab es Belagerungen, Kriege, Eroberungen, Rückeroberungen...
Ausgestattet mit diesen Erfahrungen haben die Türken seit der Gründung ihrer Republik vor 81 Jahren ihre Ziele klar definiert: Sie wollten ein Bestandteil Europas werden und bleiben. Sie ersetzten das arabische Alphabet durch das lateinische, schafften das Kalifat ab und übernahmen das Zivilrecht, das Strafrecht und das Handelsrecht europäischer Nationen.
Frauen wurden in der Gesellschaft aufgewertet und mit aktivem und passivem Wahlrecht ausgerüstet, die Religion wurde in die Privatsphäre zurück- und durch eine laizistische Ausrichtung vom Staatsgeschäft abgedrängt. Die Türkei wurde Nato-Mitglied (1952), beantragte EU-Mitgliedschaft (1987) und erkannte als erstes Land mit islamischer Bevölkerung Israel diplomatisch an.
Positives Rückmeldung Europas gefordert
Die islamische Welt hat eine sehr wichtige Botschaft verkündet, nämlich die Botschaft der Bereitschaft zum Dialog mit Europa in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem islamistischen Fundamentalismus und dem internationalem Terrorismus.
Die Türkei ist in die Rolle des Botschafters geschlüpft. Nun ist es an den Europäern, diese Botschaft positiv zu beantworten - und eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU zu akzeptieren.
Die islamische Welt hat sich eines Besseren besonnen - bislang war sie der Auffassung, die Türkei sei zu prowestlich, dementsprechend dekadent und damit als Modell für die Zukunft der moslemischen Weltgemeinde inakzeptabel.
Nun sind Europas Christen dran, zu akzeptieren, dass der Dialogwunsch mit der islamischen Welt kein bloßes Lippenbekenntnis bleiben darf. Und: Kein Land kann dabei eine bessere integrierende Rolle spielen als die Türkei.
Baha Güngör, © DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004