Steiniger Weg zur nationalen Einheit
Im Windschatten der Konflikte zwischen den rivalisierenden Gruppierungen im Bürgerkriegsland Libyen hat sich in den letzten Monaten immer mehr der "Islamische Staat" (IS), vor allem in Gaddafis Geburtsstadt Sirte, ausbreiten können. Es wird sogar gemunkelt, dass die IS-Führung nach Libyen umziehen könnte, sollte es im syrischen Raqqa militärisch für sie zu eng werden. Außerdem ist Libyen weiterhin ein wichtiger – und zudem vollkommen unkontrollierter – Ausgangspunkt für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa.
Der deutsche Unterhändler Martin Kobler, der in dem nordafrikanischen Land als UN-Vermittler tätig und maßgeblich an der jüngsten Einigung in Libyen beteiligt war, hat das Ganze aus europäischer Sicht nicht ganz uneigennützig getan.
Nur ein Momentum für den Dialog?
Das Vertragswerk, das die Vertreter der zwei rivalisierenden Machtzentren im Land am vergangenen Donnerstag (17. Dezember) unterschrieben haben, sieht insbesondere vor, dass künftig ein neunköpfiger Präsidentenrat, der die verschiedenen Regionen des Landes repräsentieren soll, die Regierung stellt. Das im Osten Libyens gelegene Abgeordnetenhaus soll die entscheidende Legislative bilden, ein Staatsrat wird die zweite, beratende Funktion übernehmen. Die neue Einheitsregierung, deren Legitimität durch eine UN-Resolution bestätigt wird, soll bereits in einem Monat stehen.
Soweit der Plan. Wenn er funktioniert, dann verfügt Libyen demnächst tatsächlich wieder über eine einzige Regierung. Diese könnte dann wieder die Einnahmen aus dem Ölgeschäft verwalten und wäre internationaler Ansprechpartner. Auch wäre sie dann in der Lage, eine einheitliche Armee aufzustellen, die gegen den IS kämpft und hierfür sogar ausländische Militärhilfe beantragen.
Doch davon ist man noch weit entfernt. Denn bestenfalls schafft das neue Abkommen ein Momentum für einen Dialog, durch den in Libyen tatsächlich ein Konsensus hergestellt wird. Schlimmstenfalls ist es ein Schuss nach hinten, der zur Folge haben könnte, dass es demnächst nicht nur zwei, sondern drei große Machtzentren im Land geben wird.
Friedensabkommen als Stückwerk
Unterschrieben wurde der Vertrag von den jeweiligen Vizepräsidenten der rivalisierenden Parlamente. Die Vorsitzenden der beiden Abgeordnetenkammern sind nicht mit an Bord und versuchen immer noch ein eigenes Abkommen zusammenzuzimmern – jenseits jeglicher ausländischer Einmischung, behaupten sie. Das ist der Grund, warum das von den UN gestützte Abkommen von keinen der beiden Parlamente abgesegnet wurde. So hat denn auch nur ein Teil der Abgeordneten das Vertragswerk unterschrieben. Die Übereinkunft ist also in Wirklichkeit ein Stückwerk – eine Art Unterschriftenliste, die bestenfalls in den nächsten Wochen noch länger werden könnte.
Das Hauptproblem besteht darin, dass in Wirklichkeit niemand mehr so genau weiß, wer in Libyen überhaupt noch wen repräsentiert. Die simpelste Lesart der Lage ist, dass bisher zwei Regierungen beanspruchen, das Land zu vertreten. Die eine sitzt in der Hauptstadt Tripolis und wird als eher islamistisch beschrieben, die andere – bisher international anerkannte – sitzt in Tobruk, im Osten des Landes. Beide Vertreter werden von lokalen Allianzen und Milizen eher aus taktischen als aus ideologischen Gründen unterstützt. Und an der Frontlinie beider Rivalen hat sich der IS eingenistet, der das Machtvakuum für sich zu nutzen weiß.
Jeder gegen jeden
Das nordafrikanische Land stellt gegenwärtig ein unübersichtliches Gewebe von lokalen Machtzentren, Gruppierungen und Milizen dar, das selbst die Legitimität einzelner Stämme in Frage stellt. Staatliche Institutionen stehen schon lange nur noch auf dem Papier. Jedes dieser unzähligen Machtzentren kocht sein eigenes Süppchen und schließt sich taktisch mal diesem, mal jenem größeren Bündnis an.
"Auf allen Seiten gibt es noch eine Minderheit, die das Friedensabkommen und den Prozess als Ganzes torpedieren will", bilanzierte denn auch jüngst Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach der Unterzeichnung. Die Sicherheitslage in der Hauptstadt Tripolis bleibe fragil. Und das ist noch eher harmlos ausgedrückt.
Karim El-Gawhary
© Qantara.de 2015