Rau für Gleichbehandlung religiöser Symbole
Bundespräsident Johannes Rau ist gewiss keiner, der auf Distanz zur Kirche stünde. Der Sohn eines Predigers, der selbst auch immer wieder als Laienprediger aufgetreten ist, hat in seiner über 40-jährigen politischen Laufbahn aber auch immer wieder gezeigt, wie wichtig ihm Ausgleich, Toleranz und Dialog zwischen unterschiedlichen Religionen und Kulturen sind. Kurz vor dem Ende seiner fünfjährigen Präsidentschaft rückte ihn das nun ins Kreuzfeuer der Kritik, denn Rau sinnierte in einem Interview über den „Kopftuchstreit“, der seit geraumer Zeit manche Gemüter erregt:
Gleiches Recht für alle
Wenn man das Kopftuch als religiöses Erkennungszeichen an Schulen verbiete – so Rau –, dann könne man auch die Mönchskutte nur schwer verteidigen. Die Verfassung gebiete eine Gleichbehandlung der Religionen im öffentlichen Raum, also auch in den Schulen. Hiermit werde nicht das christliche Erbe infrage gestellt, auch hänge Deutschlands Zukunft als christlich geprägtes Land nicht davon ab, wie viele Menschen in Schulen welche Bekleidung tragen. „Das hängt allein davon ab, wie viel überzeugte und glaubwürdige Christen es in unserem Land gibt.“
In sieben der sechzehn Bundesländer sind Politiker dennoch entschlossen, die gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen zu schaffen, weil sie meinen, das Kopftuch sei Ausdruck einer aggressiv-politischen oder missionarischen Haltung und es lasse sich nicht mit der gebotenen Neutralität staatlicher Einrichtungen vereinbaren. Angestoßen wurde diese Kampagne durch einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts vom September, in dem ein Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen als unzulässig bezeichnet worden war, solange es keine gesetzliche Grundlage hierfür gebe.
Zur „Affäre“ war die Frage überhaupt erst geworden, weil eine streitbare Junglehrerin afghanischer Abstammung in Baden-Württemberg wegen ihres Kopftuches nicht in den Staatsdienst übernommen werden sollte und sie dagegen den Rechtsweg einschlug. Obwohl in anderen Bundesländern über ein Dutzend Kopftuch-Trägerinnen problemlos und unbeanstandet unterrichten, war der Fall damit zum Politikum geworden.
Entscheidend ist der Unterricht-, nicht der Kleidungsstil
Und an dem Ort angelangt, wo er vielleicht am wenigsten hingehört: Weder Beamte noch Politiker sollten darüber entscheiden, welche Bedeutung das eine oder andere religiöse Symbol hat. Auch soll nicht Ausschlag geben, was auf, sondern was im Kopf ist. Und schon gar nicht sollten nur Symbole einer Religion verboten, die anderer hingegen weiterhin geschützt, gepflegt oder auch verharmlost werden.
So argumentieren Befürworter des Kopftuchverbots unter anderem unter Hinzuziehung des Koran, dieses Stück Stoff sei gar kein religiöses Symbol, sondern es stehe vielmehr für die Unterdrückung der Frau. Wohingegen die Mönchskutte oder das Kruzifix Ausdruck der „fast zweitausendjährigen christlichen Kultur des Abendlandes“ seien.
Aufgabe der Demokratie: Schutz für Rechte des Individuums
Nur mit Mühe bremst die Diskussion vor dem leidigen Begriff der christlichen „Leitkultur“, der unlängst Wellen schlug, dann aber ins Hintertreffen geriet, weil er als diskriminierend und kulturchauvinistisch aufgefasst wurde. Aber es ist genau diese Geisteshaltung, die – bewusst oder unbewusst – bei manchen Kritikern durchschimmert. Und ihr fällt zum Opfer, was eigentlich geschützt werden sollte: Die Freiheit des einzelnen – ob es sich dabei nun um einen Christen, Moslem oder keines von beiden handelt.
Rund drei Millionen Muslime leben bereits in Deutschland, aber: Eine Kopftuch tragende Lehrerin wird aus diesem Land keinen Taliban-Staat machen und es klingt absurd, dass deutsche Beamte oder Politiker mit Hilfe eines Kopftuch-Gesetzes die „Befreiung“ muslimischer Frauen erstreiten wollen.
Muslime nur ohne Bart am Lehrerpult?
Wenigstens geht man in Deutschland nicht so weit wie jüngst in Frankreich, wo man die staatlich verordnete Reglementierung nicht auf Vertreter des Staates – Lehrer – beschränkt, sondern auf die gesamte Bevölkerung ausweitet. Aber der deutsche Kopftuch-Streit bleibt trotzdem unzeitgemäß und unangebracht. Gefahren müssen bekämpft werden, wo man ihnen begegnet, das Kopftuch aber allein kann solch eine Gefahr nicht darstellen. Nach derselben „Logik“ müssten muslimische Lehrer mit Bart künftig rasiert zum Dienst kommen, während protestantische Rauschebärte weiterhin geduldet würden.
Das kann es nicht sein. Der Staat sollte sich aus dieser Diskussion heraushalten und – wie sonst ja auch – erst einschreiten, wenn die Freiheit missbraucht wird. Und der Staat sollte vor lauter Übereifer den Gleichheitsgrundsatz nicht vergessen. Dies hatte der Bundespräsident gemeint. Nur: Verstanden haben ihn viele offenbar nicht.
Peter Philipp © 2003 DEUTSCHE WELLE / DW-WORLD.DE