Bärendienst für Irans unabhängige Kulturschaffende
Kulturpolitiker, die Festivals eröffnen, mangelt es in ihren Reden oft an Sinn und Inspiration. So kam es auch schon einmal vor, dass das Publikum laut "fast forward!" rief, als ein Kultursenator mit Fliege die Eröffnungsrede für die Kinofestspiele in einer großen norddeutschen Stadt hielt. Besucher kultureller Veranstaltungen kommen in der Regel, um Filme zu sehen oder Konzerte zu hören. Aber viele Kulturpolitiker sind in dieser Hinsicht unbelehrbar. Ihr Auftritt ist der Preis für die öffentliche Förderung, die sie den Kulturfestivals zuteil werden lassen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat für die diesjährige Berlinale 6,5 Millionen Euro aus ihrem Budget locker gemacht. Also durfte sie am 5. Februar auch die Eröffnungsrede halten. Die Anwesenden dürften den Auftritt längst vergessen haben. In einem fernen Land jedoch haben die Worte der deutschen Staatsministerin einen bis heute anhaltenden Widerhall gefunden. Mit diebischer Freude und schadenfroher Häme nahmen Regierung und Staatsmedien im Iran Grütters Rede zur Kenntnis – ein denkwürdiges Beispiel dafür, wie der "Dialog mit der islamischen Welt" misslingen kann.
Die Affäre nimmt ihren Ausgang in dem Adjektiv "politisch", das auf der internationalen Bühne mehr Tücken in sich birgt, als die Staatsministerin sich womöglich vorstellt. "Politisch jedenfalls - das war die Berlinale von Anfang an", sagte Grütters, um dann den direkten Bezug zu einem Festivalteilnehmer aus dem Iran herzustellen: "Dass wir den Film 'Taxi' des iranischen Regisseurs Jafar Panahi als Auftaktfilm des Wettbewerbs zu sehen bekommen, ist nicht selbstverständlich."
Die Kulturstaatsministerin hat es als politisch korrektes Lob dafür gemeint, dass die Berlinale sich für einen mit Arbeits- und Ausreiseverboten schikanierten Filmemacher aus dem Iran einsetzt. Berlinale-Chef Dieter Kosslick habe das Festival mal wieder mit sicherem Gespür "im Zeitgeschehen positioniert".
Steilvorlage für die Mullahs
Wie sich zeigt, lieferte so Deutschlands oberste Kulturpolitikerin "den Mullahs" in Teheran unfreiwillig eine Vorlage, auf die diese lange gewartet hatten. Seit jeher verdächtigen Irans Regierung und Staatsmedien die Festivalveranstalter im Westen, sie lüden regimekritische iranische Künstler nur deshalb ein und überhäuften sie mit Preisen, weil sie gegen das Regime opponierten und nicht, weil ihre Werke künstlerisch und ästhetisch wertvoll seien.
Aus Sicht der iranischen Medien hatte die deutsche Kulturstaatsministerin nun den Beweis für diese lang gehegte Vermutung erbracht. Denn Monika Grütters habe ja explizit zugegeben, dass der neue Film von Jafar Panahi "aus politischen Gründen" zum Berlinale-Wettbewerb zugelassen wurde. Dass "Taxi" den Wettbewerb schließlich sogar als bester Film gewann, setzt dem Ganzen die Krone auf.
Das iranische Staatsfernsehen hatte die Eröffnungsrede der deutschen Staatsministerin mehr als ein Dutzend Mal gesendet und mit eindeutigem Tenor kommentiert: "Wir hatten ja schon immer Recht. Der Westen nutzt seine Filmfestivals für anti-iranische Propaganda."
Einstieg ins Taxi der Vorurteile
"Es ist klar geworden, dass auf der Berlinale die Auswahl der Filme allein nach politischen Maßstäben erfolgt", schreibt etwa das halbstaatliche iranische Nachrichtenportal "Dana". Dies könne man "aus den Worten der deutschen Kulturministerin Monika Grütters unzweifelhaft herauslesen."
Der Präsident der staatlichen iranischen Filmgesellschaft Hojjatollah Ayyubi schrieb einen Brief an Berlinale-Chef Dieter Kosslick. "Von der Berlinale höre ich das laute Gepolter der Politik. Sie haben der Politik den Vorzug vor Kunst und Kultur gegeben (...) Sie wollen das Publikum in das Taxi der Vorurteile gegen die iranische Bevölkerung einsteigen lassen."
In seinem neuen Film, der in Europa bald in die Kinos kommt, schlüpft Regisseur Jafar Panahi auch in die Hauptrolle vor der Kamera. Er fährt ein Taxi durch reichere und ärmere Stadtviertel Teherans. Drei Kameras beobachten die Gespräche mit seinen Fahrgästen. Nicht ganz unbekannte Probleme der iranischen Gesellschaft werden dabei verhandelt: die Unterdrückung der Frau, die Zensur, die religiöse Indoktrinierung, die Armut, die Kriminalität und die administrative Unfähigkeit des Staates. Es entsteht eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Panahi hat den Film heimlich gedreht und außer Landes geschmuggelt.
Vorwurf der übertriebenen "Schwarzmalerei"
Was westliche Kritiker als ein "gelungenes Spiegelbild der iranischen Gesellschaft" lesen, betrachten die Geschmackskontrolleure der Islamischen Republik als übertriebene "Schwarzmalerei" ("siyah-nama'i") und als eine rückgratlose Gefälligkeit für das westliche Publikum, für "Die-da-Draußen" ("kharedj-neshinan").
Im Fall Panahi macht die deutsche Staatsministerin für Kultur, die ihr Büro im Kanzleramt von Angela Merkel hat, der iranischen Propaganda den Gegenangriff besonders leicht. Grütters gebraucht den Begriff des "Politischen in der Kunst" nämlich nicht als abstrakte Beschreibung eines Genres, das sich mit gesellschaftlichen Missständen auseinandersetzt, sondern als konkreten Kampfbegriff in der Konfrontation mit dem Regime in Teheran.
Damit nähert sie sich dem plumpen Verständnis, das die staatlichen Kulturhüter im Iran vom Politischen in der Kunst haben, bedenklich an. "Politisch" ("siyasi") heißt aus iranischer Sicht im Kontext des internationalen Kulturbetriebs immer "gegen die Islamische Republik gerichtet".
Nur einmal hat die iranische Propagandamaschine diese semantischen Vorzeichen umgekehrt, als nämlich der Iran nach der Niederschlagung der "Grünen Protestbewegung" im Jahr 2009 den aufwändigen Polit-Thriller "Qaladeh-haye Tala" ("Die goldenen Halsketten") produzierte. Darin wird die Protestbewegung als ein von westlichen Geheimdiensten gesteuertes Komplott dargestellt. Das Kulturministerium bewarb den Film mit dem Slogan "Der politischste Film der iranischen Kinogeschichte". Gemeint war: "Jetzt zeigen wir Euch mal die politische Wirklichkeit".
Das war jedoch eine Ausnahme. Die Regel ist, dass das Regime mit dem Attribut des "Politischen" die angebliche Strategie des westlichen Kulturbetriebes beschreibt, die Islamische Republik mit nichtmilitärischen Mitteln zu bekämpfen und ihre Legitimität auszuhöhlen. Kein Wunder also, dass die iranischen Kritiker ihren Spott mit der deutschen Kulturstaatsministerin auf die Spitze treiben. "Der Goldene Bär ist in das Taxi von Jafar Panahi eingestiegen", macht sich etwa das staatliche iranische Radio lustig.
Das Lachen bleibt einem allerdings im Halse stecken, weil der Spott nahtlos in dumpfen Zynismus übergeht. Panahi dürfe gar keinen Film drehen, weil er ja rechtmäßig zu einem 20-jährigen Berufsverbot verurteilt worden sei, betont Ayyubi, der Chef der staatlichen Filmgesellschaft.
Das Gepolter der Politik auf Kulturschaffende
Jafar Panahi verfolgt die Diskussion von seiner Wohnung in Teheran aus. Auf die Frage, wie er die Aussagen der deutschen Staatsministerin beurteilt, sagt er am Telefon, er dürfe leider nicht die Fragen ausländischer Medien beantworten und verweist auf ein Interview, das er der iranischen Nachrichtenagentur "Ilna" nach der Berlinale gab. Darin äußert er sich nicht zu Grütters, sondern bleibt seiner Linie treu, dem eigenen Regime den Spiegel vorzuhalten: "Seit Jahren hören wir, wie bei uns das Gepolter der Politik auf unser Kunstschaffen Einfluss zu nehmen sucht." Bevor man das im Iran nicht korrigiere, dürfe man nicht mit dem Finger auf andere zeigen, will Panahi damit wohl sagen.
Andere iranische Künstler können sich freier äußern. Der Regisseur Mohammad Rasoulof, gegen den die iranische Justiz ebenso ein Betätigungsverbot verhängt hat und der sich zur Zeit in Deutschland aufhält, sagt, die deutsche Staatsministerin für Kultur habe mit ihren unbedachten Äußerungen den Kunstschaffenden im Iran großen Schaden zugefügt. "Jeder, der ein neues Werk schaffen will, wird sich nun noch mehr dem Vorwurf aussetzen, ein 'politischer Verräter' und dem Westen zu Diensten zu sein", sagt er.
Staatsministerin Grütters möchte sich auf Anfrage nicht zu den Nachwirkungen äußern, die ihre Eröffnungsrede hervorgerufen hat. Schwer zu sagen, ob es ihr unangenehm ist oder ob sie keine Zeit hat, weil sie sich auf die Eröffnung des nächsten internationalen Kulturevents vorbereiten muss. Damit "die Kunst", wie sie auf der Berlinale sagte, "dort Brücken baut, wo Diplomatie und Politik an ihre Grenzen stoßen", sollte die Vorbereitung sorgfältig sein.
Stefan Buchen
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