Arztwahl ist Vertrauenssache

Viele Muslime in Deutschland bevorzugen Ärzte aus ihrem Heimatland oder mit ähnlichem religiösen Hintergrund. Mahmoud Tawfik hat eine gynäkologische Praxis besucht und sich mit Patientinnen und der Ärztin unterhalten.

Viele Muslime in Deutschland bevorzugen Ärzte aus ihrem eigenen Heimatland oder mit einem ähnlichen religiösen Hintergrund. Mahmoud Tawfik hat eine gynäkologische Praxis in Köln besucht und sich mit den Patientinnen und der Ärztin unterhalten.

Injektion, Foto: BilderBox

​​Betritt man die Gemeinschaftspraxis der syrischen Ärztin Samar Hababa und ihrer türkischen Kollegin Ayse Sen-Balta, fallen einem sofort Unterschiede zu "normalen" deutschen Arztpraxen auf: In der gynäkologischen Praxis in Köln hängen Korankalligraphien und Spendenaufrufe für palästinensische Kinder an den Wänden. Auf jeder Toilette steht ein kleines Gießkännchen für die Waschungen nach islamischem Brauch.

Ungewohnt aus Sicht deutscher Patientinnen erscheint auch das Personal, bestehend aus zwei Arzthelferinnen und den beiden Ärztinnen: Alle vier Frauen haben ihr Antlitz verschleiert. Denn die Praxis von Dr. Hababa und Dr. Sen-Balta wird ganz überwiegend von Patientinnen islamischen Glaubens aufgesucht - Einwanderer aus der Türkei und arabischen Ländern oder deren Nachkommen.

Patientinnen mit und ohne Kopftuch

Verschleiert sind auch die meisten Frauen im Wartezimmer. Allerdings keineswegs alle. Die türkisch-stämmige Patientin Melek Koc ist eine von zwei jungen Damen im Wartezimmer, die am heutigen Tag nicht verschleiert sind.

"Natürlich, ich bin Muslimin", erzählt sie, "und es ist auf jeden Fall schön, irgendwo zu sein, wo man weiß, dass die Ärztin auch Muslimin ist. Wenn man mich jetzt so ansieht, denkt man das vielleicht gar nicht. Aber das Islamische spielt auf jeden Fall eine Rolle."

Melek trägt Jeans und Jeansjacke, studiert Betriebswirtschaftslehre und tritt auch sonst sehr selbstsicher auf. Ganz klar: Schon von ihrer äußeren Erscheinung her gehört sie nicht zu der Sorte muslimischer Frauen, die bei deutschen Mitbürgern schnell in den Verdacht geraten, sich von der deutschen Gesellschaft und ihren Bräuchen abkapseln zu wollen.

Melek Koc spricht ein makelloses Deutsch und hätte wohl kein Problem, sich auch mit einer deutschen, nicht-muslimischen Ärztin zu arrangieren. Doch obwohl sie keine strenggläubige Muslimin ist, fühlt sie sich in der Praxis der zwei muslimischen Ärztinnen wohler.

"Ich finde es einfach schön, dass man über gewisse Dinge besser diskutieren kann", sagt sie. "Ein muslimischer Arzt kann Vieles einfach besser nachvollziehen. Eben aufgrund dieser Glaubensfrage."

Ärzte sind Vertrauenspersonen

Die zweite Frau, die im Wartezimmer keinen Schleier trägt, ist Corinna Marsen. Sie ist keine Muslimin, sondern eine Deutsche, die die Adresse der Ärztinnen im Internet gefunden hat - und sich von den fremd klingenden Namen der Gynäkologinnen nicht abschrecken ließ:

"Ich wusste vorher gar nicht, dass das hier eine muslimische Praxis ist. Ich habe das gerade erst jetzt festgestellt hier - durch die ganzen Kopftücher bei den anderen Frauen im Wartezimmer. Aber ich habe keine Probleme damit. Ich bin hier sehr freundlich empfangen worden."

Ob christlich, jüdisch oder muslimisch, ob türkisch, arabisch oder deutsch: Ärzte sind Vertrauenspersonen - und das nicht immer nur in medizinischen Fragen. Für viele muslimische Patienten in Deutschland spielt kulturelle Vertrautheit zum behandelnden Arzt eine große Rolle - aber keineswegs für alle, und auch keineswegs für alle im gleichen Ausmaß.

So wie sich umgekehrt auch Corinna Marsen in der muslimischen Ärztepraxis nicht unwohl fühlt. Sie will einfach nur kompetent und freundlich beraten werden. Und solange in der Praxis Deutsch gesprochen wird, kommt sie hier gut zurecht.

Ein Gespräch wie unter Freunden

Für die Patientin Melek Koc spielt es allerdings schon eine Rolle, dass ihre Ärztin Türkin ist. Nicht weil ihr Deutsch zu schlecht wäre, sondern weil sie meint, dass die türkische Ärztin einfach ihre Mentalität besser verstehen kann.

"Im Behandlungsraum rede ich nicht unbedingt nur über Krankheiten", sagt sie, "man spricht dann auch über dieses und jenes. Und man fragt 'Wie läuft es in Istanbul?', 'Wie geht es Ihrem Mann?' und so weiter. Also, man spricht so wie unter Freunden."

Für ältere Einwanderer aus islamischen Ländern ist es jedoch durchaus ein Problem, wenn in Arztpraxen nicht Türkisch oder Arabisch gesprochen wird, insbesondere, wenn es um medizinische Fachausdrücke geht.

Letztlich ist es aber auch die mangelnde Kenntnis über den Islam bei vielen deutschen Medizinern, die muslimische Patienten dazu bringt, sich bei Gesundheitsproblemen eher an Ärzte mit islamischem Hintergrund zu wenden.

Medizin und Religion liegen eng beisammen

Dies zeigt sich besonders deutlich im Fachbereich Gynäkologie - weil es hier auch um Sexualität, Familie und Geburt geht. Themen, die - ebenso wie bei Christen - auch bei Muslimen den religiösen Glauben berühren.

"Zwischen der Gynäkologie und den verschiedenen islamischen Regeln besteht eine enge Verbindung. Man muss da natürlich Antworten finden. Hier können speziell Fachleute im gynäkologischen Bereich, die auch islamisches Wissen haben, Dinge besser beurteilen und den Patienten auch besser Ratschläge geben", berichtet Dr. Sen-Balta aus ihrer Praxis.

Eine muslimische Gynäkologin wird also von vielen muslimischen Patientinnen auch gleichzeitig als kompetente Ansprechpartnerin in religiösen Fragen angesehen.

"Ein Beispiel ist das Thema Abtreibung", so die Ärztin. "Im Islam darf man nur unter bestimmten Bedingungen abtreiben lassen, z.B. wenn die Frauen noch ganz junge Babys haben, noch stillen oder psychisch krank sind."

Abtreibung ist zwar auch für viele strenggläubige Christen ein Tabu. Aber die religiösen Gründe dafür sind nicht deckungsgleich - und die Rechtslage in Deutschland weicht davon ohnehin ab: Sie trägt den Bedenken der christlichen Kirchen nur bedingt Rechnung.

Kein Zeichen von mangelnder Integration

Für die moderne, eher weltlich auftretende junge Türkin Melek Koc ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: Integration, so meint sie, bedeute auch, sich eigenständig zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden zu können. Dies gelte auch bei der persönlichen Wahl des Arztes.

Um etwaigen Vorurteilen entgegenzutreten, betont sie: Wer als muslimischer Patient einen muslimischen Medinziner aufsuche, nabele sich damit keineswegs von der deutschen Gesellschaft ab.

Mahmoud Tawfik

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004