Modis neue Hadsch-Politik
Die Pilgerfahrt nach Mekka ist eine der fünf Säulen des Islam. Jeder Gläubige, der es sich leisten kann, so gebietet der Koran, ist gehalten, einmal im Leben nach Mekka zu pilgern.
Traditionell kommt der größte Anteil der Pilger aus Südasien mit seinem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil. Pakistan, Indien und Bangladsch haben in den zurückliegenden Jahren die obersten Ränge in der Nationalitäten-Tabelle der Hadsch-Pilger eingenommen.
In Indien, wo die rund 180 Millionen Muslime die mit Abstand größte religiöse Minderheit stellen, hat die von Hindu-Nationalisten angeführte Regierung Anfang des Jahres weitreichende Änderungen der Hadsch-Politik angekündigt.
"Es wird ab sofort keine (staatlichen) Beihilfen für den Hadsch geben", verkündete der Minister für Minderheitenabgelegenheiten Mukhtar Abbas Naqvi in Neu Delhi. Der Schritt – so der Minister – ziele darauf ab, "die Minderheiten ohne Appeasement-Politik zu ermächtigen."
Die Verwendung des Begriffes "Appeasement" ist ein Seitenhieb gegen die oppositionelle Kongress-Partei, der die BJP von Regierungschef Narendra Modi immer wieder vorwirft, der großen muslimischen Minderheit aus wahltaktischen Gründen nach dem Mund zu reden, ja hinterzulaufen. Mit der "unterstellten Anbiederung" an die Muslime sei jetzt Schluss, so das deutliche Signal des BJP-Ministers.
Höhere Quoten
Kurz vor der Ankündigung des Beilhilfe-Stopps hatte Naqvi in Mekka mit dem saudischen Hadsch-Minister Mohammed Salih Bentin das jährliche Abkommen über die Zuteilung der indischen Quote unterschrieben. "Im vergangen Jahr hat Saudi-Arabien Indiens Hadsch-Quote um 35.000 angehoben, und dieses Jahr um weitere 5.000 – auf nunmehr 175.000 erhöht", freute sich der Minister aus Neu Delhi.
Dass es bei der Zuordnung der Pilgerzahlen nicht allein um Religion und Proporz geht, zeigt Minister Naqvis Erklärung für den Aufwuchs: "Die Popularität von Ministerpräsident Modi bei den saudischen Behörden hat uns geholfen, diesen Zuwachs zu erreichen."
Für die Verhandlungen mit dem Königreich Saudi-Arabien über alle Themen in Bezug auf den Hadsch ist die indische Zentralregierung verantwortlich. Zu diesem Zweck unterhält sie eine personell gut ausgestattete Botschaft in Dschiddah.
Die Verwaltung der Pilgerreisen obliegt dem "Haj Committee of India" (HCI). Diese 2002 ins Leben gerufene Organisation untersteht dem Minderheitenminister und verfügt über Niederlassungen in allen Bundesländern des riesigen Landes. Nach dem Muster Saudi-Arabiens, das die Pilgerreisenden international nach Quoten zuteilt, verfährt das HCI auf nationaler Ebene: Die Aufteilung des nationalen indischen Kontingents auf die Gliedstaaten folgt dem jeweiligen Anteil der muslimischen Bevölkerung.
Bemessungsgrundlage ist die letzte Vollkszählung. Gemäß der Zahlen des Zensus aus dem Jahr 2011 zählte Indien offiziell 172 Millionen Muslime: Die Bundesstaaten mit den größten muslimischen Bevölkerungen sind Uttar Pradesh, gefolgt von West-Bengalen, Bihar und Maharashtra. Entsprechend kommen aus diesen Staaten die meisten Pilger. Die Quote für Uttar Pradesh beträgt 2018 allein 27.682 Menschen.
In seinen Datenbanken veröffentlicht das HCI auch Angaben zu den Bewerbungen: Demnach haben sich für 2018 über 355.000 Inder bei dem Komitee für eine Pilgereise beworden. Angesichts der festgelegten Quote von 175.00 kommt in diesem Jahr lediglich jeder zweite Aspirant zum Zuge.
Im religiösen Leben der Muslim-Minderheit Indiens spielen die Hadsch-Komitees eine wichtige Rolle. Gleichwohl könnte man die Behörde als eine Art Reiseagentur mit religiösem Auftrag bezeichnen. Neben der Organisation der Flugbuchungen und der Logistik vor Ort (im Schulterschluss mit den saudischen Stellen) organisiert das Komitee Orientierungslehrgänge und stellt sicher, dass alle Pilger mit den nötigen Impfungen ins Flugzeug steigen.
Rekurs auf den Koran
Bei der nun angekündigten Abschaffung der Hadsch-Beihilfen bezieht sich die indische Regierung auf einen Beschluss des Obersten Gerichtshofes, der 2012 verfügt hatte, dass die Subventionen stufenweise über einen Zeitraum von zehn Jahren abgeschafft werden sollen. In ihrem Urteil bezogen sich die Richter nicht zuletzt auf den Koran, der die Pilgerreise nur jenen vorschreibt, die es sich leisten können. Richtungsweisend ist die höchstrichterliche Anweisung, dass die durch die Streichung der Reisesubventionen eingesparten Gelder für Bildungsprogramme für die sozial benachteiligte muslimische Minderheit einzusetzen sind.
Interessanterweise waren die Reaktionen auf die Ankündigung der Streichung der staatlichen Hadsch-Beihilfen eher zurückhaltend. Während das HCI in einer Stellungnahme dafür plädierte, die Umsetzung des Beschlusses um ein Jahr zu verschieben und somit zu warten, bis die von den saudischen Behörden inzwischen genehmigte Wiederaufnahme der Schiffspassagen in Kraft tritt, forderten Vertreter der Minderheit die Regierung auf, sie solle ernst machen mit der Umleitung der eingesparten Mittel in Bildungsprogramme für die marginalisierten muslimischen Gemeinden.
Betrug im Namen der Hadsch-Beihilfe?
Die Kritik richtet sich nicht gegen die Streichung der Subventionen, sondern gegen die in den Augen der Minderheit preistreibende Sonderstellung, die die indische Regierung der staatlichen indischen Fluglinie Air India im dem Pilgerprogramm zusichert. "Es sollte ein offenes Bieterverfahren geben für die Flugscheine", zitiert die Tageszeitung The Times of India Maulana Khalid Farangi Mahal. "Ich bin sicher, dass die meisten Fluglinien ihre Preise senken werden", so Mahal.
In dieselbe Kerbe schlägt Allem Faizee im Online-Portal ummid.com, wo er vom "Mythos Hadsch-Beihilfe" spricht: "Die Hadsch-Subventionen wurden niemals zum Nutzen der Pilger verwendet. Die Fluggsellschaften haben erhöhte Tarife verlangt, die Mittel für die Hadsch-Subventionen dienten dazu, der finanziell angeschlagenen Air India zu helfen", so der Journalist.
Mit Wettbewerb hat das Verfahren der Flugbuchungen tatsächlich wenig zu tun. Bis auf weiteres ist die große Mehrheit der Pilgerinnen und Pilger aus Indien darauf angewiesen, den Flug nach Saudi-Arabien zu überhöhten Preisen auf Maschinen von Air India und Saudi Airlines anzutreten.
Um der zunehmenden Kritik der Minderheit den Wind aus den Segeln zu nehmen, kündigte die indische Regierung Ende Februar an, sie werde die Flugtarife senken. Diese Entscheidung, so Minister Naqvi, werde der "politischen und wirtschaftlichen Ausbeutung" der Pilger ein Ende bereiten.
Zwar liegen die neuen Flugtarife, die der Minister für die unterschiedlichen Ausgangsstädte mitlieferte, unter den Tarifen des Vorjahres. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich die Sprecher der Minderheit zu Wort meldeten, und behaupteten, die angebotenen Preise lägen deutlich höher als in früheren Jahren. Die Muslime seien im Namen der (Hadsch-)Beihilfe betrogen worden, schimpfte etwa Maulana Wali Rahmani, Generalsekretär des "All India Muslim Personal Board" (AIMPLB). Als "Augenwischerei" und "Irreführung" bezeichnen Verteter der Minderheit die Kommunikation der Regierung.
Subventionsstreichungen nur für Muslime
Im Moment ist nicht erkennbar, dass die Führung in Neu Delhi dazu bereit wäre, den Mekka-Pilgern in dieser Angelegenheit entgegenzukommen und bei den Flügen einen Wettbewerb zuzulassen. Doch möglicherweise löst sich dieses Thema alsbald von selbst: Die hochverschuldete Air India – so der Plan der Modi-Regierung – soll noch in diesem Jahr teilprivatisiert werden. Ob diese Reform indes den indischen Mekka-Reisenden zugute kommen wird, ist völlig offen.
Die Diskussionen über die Hadsch-Politik in Indien werfen ein Licht auf das angespannte Verhältnis zwischen der BJP-Regierung und der muslimischen Minderheit. Offenkundig hat die Regierung die nun verkündeten Anpassungen nicht vorab mit wichtigen Organisationen und Entscheidungsträgern der Minderheit abgestimmt – geschweige denn, diese in die Entscheidungsfindung einbezogen.
Bezeichnend für die Haltung der hindu-nationalistischen Regierung ist, dass die Abschaffung der Pilger-Subventionen sich auf die Beihilfen für Pilgerreisen der Muslime beschränkt. Während die Regierung Narendra Modis die Kündigung der Hadsch-Subventionen betreibt, bleiben die staatlichen Beihilfen für Pilgerreisen der Hindu-Mehrheit unbetroffen.
Diese Subventionen seien "zu zahlreich, um aufgelistet zu werden", schreibt Swaminathan Aiyar in einem Kommentar. Der liberale Kolumnist kommt zu dem Schluss, dass "ein säkularer Staat, der Hadsch-Subventionen verbannt natürlich auch Subventionen für Pilgerreisen aller anderen Religionen verbieten müsste."
Dies ist – wie gesagt – eine liberale Position. Bei den Parteigängern des indischen Ministerpräsidenten stößt diese Position auf taube Ohren.
Ronald Meinardus
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Dr. Ronald Meinardus leitet das Regionalbüro Südasien der Friedrich Naumann Stiftung in Neu Delhi.