Misslungene Neuinterpretation

Mit der Entscheidung, Kleopatra als Ägypterin und damit als afrikanische Herrscherin darzustellen, zielt die neue Doku-Serie auch darauf, die Herrscherin historisch zu rehabilitieren. Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, meint Shady Lewis Botros 
Mit der Entscheidung, Kleopatra als Ägypterin und damit als afrikanische Herrscherin darzustellen, zielt die neue Doku-Serie auch darauf, die Herrscherin historisch zu rehabilitieren. Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, meint Shady Lewis Botros 

Mit der Entscheidung, Kleopatra als Ägypterin und damit als afrikanische Herrscherin darzustellen, zielt die neue Doku-Serie auch darauf, die Herrscherin historisch zu rehabilitieren. Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, meint Shady Lewis Botros 

Von Shady Lewis Botros

Es gibt eine Vergangenheit, die abgeschlossen ist, keinen Bezug zur Gegenwart hat und uns etwa in Form von Legenden bekannt ist. Es gibt aber noch andere Formen der Vergangenheit. Entweder vergangene Ereignisse sind vollständig aufgeklärt oder die Vergangenheit enthält Eventualitäten und Ungewissheiten.  

Doch im Zeitalter der Identitäten und der intensiven medialen Durchdringung beginnen die Grenzen dieser Zeitformen zu verschwimmen. Das Vollständige wird unvollständig und das Unvollständige wird absolut, wenn historische Ereignisse in die Kontroversen der Gegenwart hineingezogen und Legenden zum Spielball politisch motivierter Geschichtsschreibung werden. 

Wochenlang herrschte Aufruhr über eine Doku-Serie, die noch niemand gesehen hatte und die erst jetzt auf Netflix veröffentlicht wurde. Eine Szene aus der ersten Folge war auch schon im Trailer zu sehen und rief zahlreiche Kritiker auf den Plan. Darin erinnert sich eine Expertin an die Worte ihrer Mutter: "Vergiss, was du in der Schule gelernt hast. Ich bin davon überzeugt, dass Kleopatra schwarz war“. 

Der Film "Cleopatra" prägte 1963 die Vorstellung vom Aussehen der Pharaonin Bild: London Express/dpa/picture-alliance
War Kleopatra schwarz? Der Film "Cleopatra" prägte 1963 die Vorstellung vom Aussehen der Pharaonin als weiß wie Königin Elizabeth. Im Trailer zur neuen Netflix-Serie "Queen Cleopatra“ sagt eine Expertin, sie sei schwarz gewesen. "Wir sehen lediglich eine fragwürdige Behauptung. Es wird einer 'Expertin' in den Mund gelegt, Kleopatras Hautfarbe sei schwarz gewesen, gleichzeitig bleibt der Film jeden Beweis dafür schuldig - außer der Überzeugung der Mutter der Expertin, die an den Glauben an das Übernatürliche grenzt“, schreibt Shady Lewis Botros. "Müssen wir also ernsthaft annehmen, dass Kleopatra schwarz gewesen sein könnte?“ 



Diese einleitende Aussage enthält zunächst ein leeres Versprechen, das schnell entlarvt wird. Denn die Aufforderung, das schulische Narrativ zu vergessen, entspringt den Bestrebungen nach einer alternativen Geschichtsschreibung, die sich von etablierten und bekannten Narrativen emanzipieren soll. Anders als man uns glauben machen will, entsteht in der Netflix-Serie aber keine neue Erzählung.

Wir sehen lediglich eine fragwürdige Behauptung. Es wird einer "Expertin" in den Mund gelegt, Kleopatras Hautfarbe sei schwarz gewesen, gleichzeitig bleibt der Film jeden Beweis dafür schuldig - außer der Überzeugung der Mutter der Expertin, die an den Glauben an das Übernatürliche grenzt. Müssen wir also ernsthaft annehmen, dass Kleopatra schwarz gewesen sein könnte? 

An anderer Stelle weisen die Macher der Serie darauf hin, dass die historische Identität von Kleopatras Mutter ungeklärt sei. Sie vermuten, ihre Mutter sei Ägypterin gewesen. Auch für die Identität ihrer Großmutter väterlicherseits gebe es keine historischen Belege, doch auch sie könnte Ägypterin gewesen sein.

Somit stehe fest, dass Kleopatra zumindest zur Hälfte ägyptischer Abstammung war. Diese Hypothese wird nicht nur durch ihre Abstammung hergeleitet, sondern auch kulturell und emotional unterfüttert: Kleopatra lernt als erste Ptolemäerin die ägyptische Sprache und ihre Verbundenheit mit dem ägyptischen Volk wird hervorgehoben. 

 

Egyptians complain over Netflix depiction of Cleopatra as black https://t.co/a8nAoNwFvb

— BBC News (World) (@BBCWorld) April 19, 2023

 

Die Serie behauptet aber nicht, Kleopatra sei schwarz gewesen. Auch wird nicht der Versuch einer kulturellen Aneignung der ägyptischen Geschichte unternommen, wie manche schon befürchtet haben. Ganz im Gegenteil wird die ägyptische Identität Kleopatras besonders betont, ja sogar übertrieben betont, indem Vermutungen über Herkunft angestellt werden und vielleicht sogar manches hinzugedichtet wird.



Genauso wenig wird behauptet, alle Ägypter seien schwarz gewesen. Vielmehr kommt eine weitere Expertin zu Wort, die im Detail den multiethnischen Charakter des ägyptischen Volks darlegt, das damals ein Gemisch aus Einheimischen, Griechen und Juden mit unterschiedlichen Hautfarben von hellbraun bis dunkelhäutig darstellte. 

Misslungene kritische Geschichtsschreibung

Mit der Darstellung Kleopatras als Ägypterin und damit als afrikanischer Herrscherin geht auch ihre historische Rehabilitierung einher. Die Netflix-Kleopatra ist nicht mehr jene zügellose Frau, als die sie in römischen Chroniken geschildert wird. Sie ist auch nicht die verführerisch-weibliche Kleopatra Hollywoods oder die Tyrannin aus der Komödie Cäsar und Cleopatra von Bernard Shaw (1898).

Vielmehr wird sie als gebildete und wissensdurstige Person dargestellt, etwa wenn wir sie in der ersten Szene in einer Bibliothek sehen. Wir erfahren, dass sie nicht nur eine gewiefte Politikerin, sondern auch eine versierte Wissenschaftlerin und Sprachforscherin war. Später wird die ptolemäische Herrscherin in einen blutigen familiären Machtkampf verwickelt, der sich zu einem offenen Bürgerkrieg ausweitet.



 

Die Macher der Serie scheinen jedoch darauf bedacht, den mitunter tödlichen Verschwörungen, Kämpfen und Palastintrigen die Schärfe zu nehmen und rechtfertigen sie - wenn auch nur implizit - als das übliche Schicksal ptolemäischer Thronfolger. 

Die Kleopatra-Serie ist der erste Anfang von mehreren Vorhaben, die daran scheitern, die Geschichte neu darzustellen. Die Serie zeigt große Schwächen und bescheidene filmische Möglichkeiten und hat im Wesentlichen zwei Ziele: Mit der Darstellung Kleopatras als großartiger afrikanischer Herrscherin soll kompensiert werden, dass Frauen in der Geschichtsschreibung selten Erwähnung finden. Gleichzeitig erhoffen sich die Serienmacher, publikumswirksam den Eurozentrismus und das europäische Monopol auf Heldentum zu erschüttern. 

Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Denn Netflix präsentiert hier keine wirklich neue Perspektive auf die Geschichte. Vielmehr wiederholt die Serie herrschende Narrative, die die Machthaber feiern und legitimieren. Sie macht sich nicht die Mühe machen, jene männlich und eurozentrisch geprägte Vergangenheit zu dekonstruieren und neu zu betrachten. Im Gegenteil, sie wird nachgeahmt und moralisch legitimiert - nur mit einer "farbigen“ Frau an der Spitze. 

Shady Lewis Botros 

© Qantara.de 2023