Auf Spurensuche nach Kriegsverbrechen im Irak

In letzter Zeit häufen sich die Meldungen über die Entdeckung von Massengräbern im Irak. Deutsche Archäologen gründeten daraufhin die Organisation "Archäologen für Menschenrechte". berichten.

Von Ursula Janßen, Ulrike Löw und Sinje Stoyke

Die Initiatoren des Projektes sind vorderasiatische Archäologen mit langjähriger Ausgrabungserfahrung im Orient. Der Irak, das alte Mesopotamien, ist Ausgangspunkt unserer theoretischen und praktischen Forschung. Seit Jahren gehen wir tagtäglich mit der irakischen Vergangenheit um. Die Kriege, die in dieser Region geführt werden, haben für viele Archäologen, die dort tätig sind, den Stellenwert einer persönlichen Tragödie: Zum einen steht man den Plünderungen der Museen und den Raubgrabungen in den antiken Fundorten bestürzt und hilflos gegenüber. Zum anderen ist es die konkrete Sorge über das Wohlergehen der Mitarbeiter, Freunde und deren Familien. Unsere Vertrautheit mit der Vergangenheit des Orients und die persönliche, oftmals enge Verbundenheit mit den Menschen des heutigen Syrien und Irak hat uns dazu bewogen, die NGO "archaeologists for human rights" zu gründen.

Die Archäologen für Menschenrechte stehen in enger Zusammenarbeit mit der irakischen Initiative "Genocide in Iraq, Missing Persons and Mass Graves Campaign". Sie erstellt eine Datenbank vermisster Personen und plant gemeinsam mit uns eine sorgfältige Untersuchung der Massengräber. Es werden systematische Erhebungen in den Gemeinden vorgenommen, um Informationen zu sammeln über die Lage der einzelnen Tatorte und Massengräber, die Anzahl der Toten und Vermissten. Außerdem sollen Anhaltspunkte gegeben werden, die bei der Opferidentifizierung helfen können (z.B. Prothesen, Zahnersatz, Knochenbrüche, Kleidung, Schmuck, Tätowierungen etc.). Das Internationale Rote Kreuz hat diese Arbeit bereits aufgenommen.

Ausgrabung zur Klärung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Die Ziele dieses Projektes bestehen darin, die irakischen Kollegen dabei zu unterstützen, die Menschen verachtenden Verbrechen des Saddam-Regimes professionell zu untersuchen und zu dokumentieren. Darüber hinaus soll den Familien Gewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen gegeben und den ermordeten Opfern eine menschenwürdige Bestattung ermöglicht werden.

Wir möchten unsere praktische Erfahrung in Grabungstechnik, Vermessung, Dokumentation und Inventarisierung zur Verfügung stellen, um zur Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit des Irak beizutragen, deren schrecklichstes Kapitel sich in den Massengräbern überall im Land widerspiegelt. Abgesehen von der Erhaltung, dem Schutz und der Wiederbeschaffung der irakischen Kulturgüter, eröffnet dieses Projekt uns Archäologen eine weitere Möglichkeit, zum Wiederaufbau und zur Demokratisierung des Landes beizutragen, das seit jeher im Mittelpunkt unserer Forschungen steht.

Derzeit stellen wir mit Hilfe von Anthropologen aus Ulm, Göttingen und Kiel Unterrichtsmaterial zusammen. Ferner planen wir eine kleine Fachbibliothek mit anthropologischer, forensischer und archäologischer Literatur aufzubauen. Im Wesentlichen wird es darum gehen, ein Dokumentationssystem einzurichten. Es basiert zum einen auf entsprechenden Vorbildern in der Archäologie (Einmessen der Befunde, Fotografieren, Zeichnen, Inventarisieren der Funde). Zum anderen stützt es sich auf Methoden der Forensischen Anthropologie (sachgemäße Dokumentation und Deutung der Knochenfunde). Wenn von anderen Organisationen vor Ort bereits ein allgemeingültiges Dokumentationssystem angewandt wird , werden wir dieses entsprechend vermitteln (theoretisch und praktisch).

Unsere Organisation wird zur Evaluierung der Lage am 6. September in den Irak, nach Mosul und Erbil, aufbrechen. Die Dauer unseres Aufenthalts wird im Wesentlichen von unseren finanziellen Möglichkeiten und der aktuellen Sicherheitslage im Irak abhängen. Um Spenden wird gebeten.

Unsere Ansprechpartner haben uns jegliche Unterstützung in Fragen der Infrastruktur und Sicherheit zugesagt. Abgesehen von drei Archäologinnen werden ein Photograph und zwei bis drei deutsche Anthropologen beteiligt sein. Wir hoffen sehr, im August, spätestens aber im September in den Irak zu reisen, um dort die Möglichkeiten und Vorrausetzungen für unser Vorhaben einzuschätzen.

Ursula Janßen, Ulrike Löw, Sinje Stoyke, © 2003 Qantara.de

Weitere Informationen über die "Archäologen für Menschenrechte" finden Sie hier