Keine "Revolution reloaded" in Sicht

40 Jahre nach dem Beginn der Islamischen Revolution wird der Iran erneut von Protesten erschüttert. Viele wirtschaftliche Probleme sind heute ähnlich wie in den 70er Jahren, auch erscheint das Regime kaum weniger repressiv und verknöchert als damals. Dennoch signalisieren die Proteste kaum den Beginn einer neuen Revolution, meint Ulrich von Schwerin.

Von Ulrich von Schwerin

Während der Iran noch über die Deutung der Proteste der vergangenen Wochen diskutiert, jährt sich der Beginn der Islamischen Revolution zum vierzigsten Mal. Am 8. Januar 1978 gingen in Irans theologischem Zentrum Qom tausende Studenten aus Protest gegen einen Artikel auf die Straße, in dem Ayatollah Ruhollah Khomeini scharf attackiert worden war.

Khomeini, der seit einer feurigen Rede gegen Schah Mohammed Reza Pahlavi 1963 im irakischen Najaf im Exil lebte, wurde auch von vielen säkularen Iranern als symbolisches Oberhaupt der Opposition betrachtet.

In dem Artikel in der staatlichen Zeitung "Etelaat" zog der Autor nicht nur Khomeinis iranische Herkunft in Zweifel, sondern schmähte ihn auch als britischen Agenten.

Dieser Angriff auf einen führenden Vertreter ihres Standes empörte die Kleriker in Qom so sehr, dass sie aus Protest den Unterricht an den Hochschulen aussetzen. Als die Religionsschüler zum Protest auf die Straße strömten, eröffnete das Militär das Feuer; mindestens neun Menschen wurden getötet.

Die "Insel der Stabilität" vor dem Untergang

Statt die Revolte im Keim zu ersticken, setzte das harte Vorgehen des Militärs jedoch eine Kette von Protesten in Gang, da im Gedenken an die Toten neue Proteste organisiert wurden, die erneut blutig niedergeschlagen wurden.

[embed:render:embedded:node:17551]Als der Schah ein Jahr nach Beginn des Aufstands aus dem Land floh, fragten sich viele verwundert, wie es soweit kommen konnte in einem Land, das US-Präsident Jimmy Carter noch zu Neujahr 1978 als "Insel der Stabilität" bezeichnet hatte.

Als nun kurz vor Neujahr erneut tausende Iraner gegen das Regime auf die Straße gingen, fragten sich manche, ob dies der Beginn einer neuen Revolution sein könnte. Kaum jemand hatte die Proteste kommen sehen, die sich von Maschhad rasch im ganzen Land ausbreiteten.

Doch richtig überraschte es auch nicht, dass sich der schon lange schwelende Unmut über Misswirtschaft, Arbeitslosigkeit und die steigenden Lebenshaltungskosten in gewaltsamen Unruhen Bahn brach.

Staatlich gelenkte Modernisierung unter dem Schah

Auch 1978 hatte es in der Bevölkerung großen Unmut über die soziale und wirtschaftliche Entwicklung gegeben. Der Schah hatte dem Land seit den 60er Jahren einen Kurs der staatlich gelenkten Modernisierung und Industrialisierung verordnet. Gegen den Widerstand des Klerus hatte er die sogenannte "Weißen Revolution" durchgesetzt, die eine Landreform, die Privatisierung von Teilen der Industrie, eine Alphabetisierungskampagne sowie Wahlrecht für Frauen umfasste.

Als der Anstieg des Ölpreises Anfang der 70er Jahre dem Iran einen ungeahnten Geldsegen bescherte, nahm die Regierung eine Reihe großer Industrie- und Infrastrukturprojekte in Angriff. Mit Hilfe westlicher Experten wurden neue Fabriken aufgebaut, die Städte wuchsen, die Wirtschaft boomte, indes die Bildung wie der Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung stieg. Doch 1975 brach das Wachstum ein, die Inflation explodierte, die Arbeitslosigkeit nahm zu.

Der Schah zu Besuch bei US-Präsident Carter im November 1977 in Washington; Foto: Reuters
Ein Prosit auf die amerikanisch-iranische Freundschaft: Als der Schah ein Jahr nach Beginn des Aufstands aus dem Land floh, fragten sich viele verwundert, wie es soweit kommen konnte in einem Land, das US-Präsident Jimmy Carter noch zu Neujahr 1978 als "Insel der Stabilität" bezeichnet hatte.

Es zeigte sich, dass die Entwicklung höchst ungleich verlaufen war. Während die Eliten sich bereicherten, hatten große Teile der Bauern- und Arbeiterschicht kaum profitiert. Besonders die armen Bewohner der Vorstädte, die durch die Reformen in die Städte getrieben worden waren, litten unter den steigenden Lebenshaltungskosten. Sie blickten voll Wut auf die Oberschicht, deren westlicher Lebensstil ihnen umso abstoßender erschien, da er unerreichbar war.

Auch in der Mittelschicht hatten die Reformen Hoffnungen geweckt, die nur schwer zu erfüllen waren. Seit den 60er Jahren hatte der Schah die Universitäten ausgebaut und junge Leute zum Studium nach Europa geschickt. Nach ihrem Abschluss fanden sich viele jedoch ohne Arbeit wieder, da die Wirtschaft stockte. Nachdem sie an den Unis politisiert worden waren, drangen sie auf politische Reformen, doch der Schah zog die Zügel nur schärfer an.

Seit den 60er Jahren war die Opposition in den Untergrund gedrängt, die Presse war gleichgeschaltet, Kritik wurde unterdrückt. Der alternde und krebskranke Monarch schien zunehmend abgekoppelt von der Realität. 1975 führte er die schahtreue "Rastakhiz"-Partei als alleinige Vertretung der Nation ein. Zugleich ersetzte er den islamischen Kalender durch eine Zeitrechnung, die mit der Gründung der persischen Monarchie begann, so dass sich die Iraner plötzlich im Jahr 2535 wiederfanden.

Dauerproblem Korruption

Eine ungleiche Entwicklung, steigende Lebenshaltungskosten, eine hohe Arbeitslosigkeit und viele unerfüllte Erwartungen – viele dieser Probleme finden sich auch heute. Wie damals setzt die Regierung auch heute auf Deregulierung, Privatisierung und ausländische Investitionen, während sie zugleich die Hilfen für die Armen kürzt. Wie damals finden sich viele gut ausgebildete junge Leute gegenwärtig ohne Arbeit wieder, während die Kinder der Eliten unverhohlen ihren Reichtum zur Schau stellen.

Wie damals fließt ein großer Teil der Staatseinnahmen in intransparente Stiftungen, die der Kontrolle der Regierung entzogen sind – damals war es die Pahlavi-Stiftung, heute sind es religiöse Stiftungen unter Kontrolle des Revolutionsführers.

Armut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit schürt die Wut der jungen Bevölkerung; Foto: Mehr
Heute sind es diese Gesellschaftsschichten, die aus Protest gegen die wirtschaftliche Misere auf die Straße gehen gegen ein nominell islamisches Regime. Sie fühlen sich von dem Regime, das sich die Verteidigung der Entrechteten auf die Fahnen geschrieben hat, aber seit Jahren auf Deregulierung und Privatisierung setzt, übergangen. Fast alle Iraner teilen ihre Kritik an der Politik und doch werden die Proteste wohl scheitern.

Und wie damals investiert die Führung enorme Summen ins Militär – damals zur Verteidigung gegen Saddam Hussein, heute gegen Saudi-Arabien und zur Unterstützung pro-iranischer Milizen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen.

Auch heute klagt die Bevölkerung über eine korrupte, ineffiziente Verwaltung, in der sich die Eliten die Posten und Pfründe zuschieben. Eine effiziente Opposition, die auf Korrekturen dringen könnte, gibt es ebenso wenig wie Gewerkschaften, die Lohnforderungen durchsetzen könnten. Auch heute finden sich viele Probleme in den staatlich kontrollierten Medien kaum wieder, während Proteste nur selten erlaubt und Kritiker vom mächtigen Geheimdienst verfolgt werden.

Entrückt von den Sorgen der Leute

Befinden wir uns also erneut in einer vor-revolutionären Situation im Iran? Waren die Proteste der Vorbote eines größeren Aufstands? Auch heute werden die Iraner von einem alternden Herrscher regiert, der in seinem Palast in Teheran zunehmend entrückt scheint von den Sorgen der Leute. Für die Proteste hat Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei wie üblich ausländische "Feinde" verantwortlich gemacht, doch überzeugt dieses Narrativ viele Iraner nicht länger.

Die Proteste der wütenden jungen Männer in den Provinzstädten deuten auf eine Entfremdung gerade jener Klasse hin, die das Regime immer zu vertreten vorgegeben hat. Die Revolte zeigt nicht nur das Versagen des Regimes, die Lebenssituation der "Entrechteten" dauerhaft zu verbessern, sondern vor allem zeigt sie, dass nach 40 Jahren Islamische Republik ihre Kernklientel erhebliche Zweifel hegt, dass das Regime wirklich ihre Interessen vertritt.

Regime-Anhänger demonstrieren für Revolutionsführer Khamenei; Foto:
Staatlich gelenkter Protest: Um zu zeigen, dass das Regime weiterhin vom Volk unterstützt werde, begannen kurz nach dem Freitagsgebet in Teheran von der Führung organisierte Massendemonstrationen. Ähnliche Kundgebungen hatte die Regierung auch schon in den vergangenen Tagen in mehreren Städten des Landes organisiert und hunderttausende Menschen auf die Straßen gebracht.

Doch steht deshalb eine neue Revolution bevor, wie es die Trumps und Netanjahus zu glauben scheinen? Wenn tausende junge Männer ihre Leben und ihre Freiheit auf den Straßen riskieren, muss das ein Weckruf für die Führung in Teheran sein, doch der Beginn einer neuen Revolution ist es nicht. Anders als 1978 fehlt den Demonstranten jede Struktur und Führung; sie haben keine klaren Ziele und keinen Rückhalt im Klerus oder den etablierten Parteien.

Die Konservativen mögen die Proteste nutzen, um Präsident Hassan Rohani zum Verzicht auf unliebsame Reformen zu drängen, während die Reformer an ihn appellieren mögen, auf die "berechtigten Forderungen" der Demonstranten einzugehen.

Doch an einer Destabilisierung des Systems haben beide Fraktionen kein Interesse. Und auch wenn die Volksmudschahedin im Pariser Exil davon träumen, dass endlich ihre Zeit gekommen ist – im Iran fehlt ihnen jede Basis.

Die tagelangen Kundgebungen der Regimeanhänger haben zudem wenig Zweifel gelassen, dass das System - anders als der Schah 1978 - noch immer über breiten Rückhalt verfügt.

Nicht nur haben Millionen Iraner ein handfestes materielles Interesse am Erhalt des Systems, sondern viele Iraner identifizieren sich noch immer damit - trotz allen Unmuts über Korruption, Nepotismus und Misswirtschaft.

Und nicht zuletzt haben die Volksaufstände in Ägypten, Syrien und dem Jemen wie auch die eigene Erfahrung erhebliche Zweifel gelassen, dass eine Revolution wirklich die Lösung aller Probleme ist.

Ulrich von Schwerin

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