Vom "Nahost-Friedensprozess" zum "Iran-Kriegsprozess"
Der israelisch-palästinensische Friedensprozess empfiehlt sich allen als "Erfolgsmodell". Man rufe einen regionalen "Prozess" ins Leben, der von den USA unterstützt wird, und füge ihm die Attribute "Frieden", "Krieg" und einen attraktiven Lockvogel hinzu. Anschließend traktiere man die Parteien wechselweise mit Zuckerbrot und Peitsche.
Während dieses "Prozesses" – der bereits mehr als ein Vierteljahrhundert andauert – hat sich der "palästinensische Esel" auf der Jagd nach der imaginären Karotte verausgabt, nämlich der Hoffnung auf einen eigenen palästinensischen Staat. In dieser Zeit hat Israel den Esel mal hierhin und mal dorthin geschickt und dabei die Schnur mit der Karotte in diese oder jene Richtung gezogen. Während jede Form eines nachhaltigen Friedens im Nahen Osten de facto begraben wurde, dominiert dieser ausgeklügelte, bewährte "Prozess" weiter die politische Bühne.
Martin Indyk, Ministerialdirektor für Nahost-Angelegenheiten und ehemaliger US-Botschafter in Israel in der Clinton-Ära, sagte einmal: "Wir nutzen den Motor der Friedensstiftung zur Veränderung der Region." Das ist tatsächlich gelungen und gelingt auch weiterhin.
Dieser "Friedensprozess" schuf den diplomatischen Kontext und die Ausrede dafür, dass Israel an der Besetzung palästinensischer Gebiete festhält, der regionalen und internationalen Gemeinschaft aber gleichzeitig den Wunsch nach Frieden vorspiegelt und den Eindruck vermittelt, der Friedensprozess mit den Palästinensern sei im Gange, eine endgültige Lösung nur noch eine Frage der Zeit.
Unter dem Deckmantel dieses Friedensprozesses schufen die israelischen Regierungen Fakten: Das Territorium des zukünftigen palästinensischen Staates löste sich durch eine verstärkte Siedlungspolitik in Luft auf.
Die Palästinensische Autonomiebehörde, ursprünglich eine auf fünf Jahre angelegte Übergangsregierung und Kern eines künftigen palästinensischen Staates, wurde zu einem De-facto-Sicherheitsapparat, der israelische Siedler schützt und wütende Palästinenser inhaftiert, die es wagen, Widerstand zu leisten.
Ein neuer regionaler Prozess
Palästina manövrierte sich politisch und geographisch in eine gespaltene Fatah und Hamas, in Westjordanland und Gazastreifen. Israel spielt beide Seiten gegeneinander aus und lässt seinen Rivalen dabei genügend Spielraum, sich gegenseitig zu bekämpfen, ohne hierbei Israel zu schaden.
Inzwischen reift ein neuer regionaler "Prozess" im Nahen Osten heran. Diesmal ist es jedoch ein "Kriegsprozess", der von vornherein allen Friedensbemühungen eine Absage erteilt.
Das gegen den Iran gerichtete israelisch-amerikanische Säbelrasseln wurde jüngst wieder aufgenommen: Vor dem anschwellenden Chor der Iran-Gegner kündigte die Regierung Trump an, iranische Ölimporte wieder zu sanktionieren. Parallel dazu entsandte sie weitere Marinestreitkräfte in den Nahen Osten.
An das zyklische Säbelrasseln gegen den Iran haben wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt. Der aktuelle Vorstoß scheint jedoch in ein größeres Konzept eingebettet zu sein: Die Schaffung eines regionalen "Iran-Kriegsprozesses" durch die USA und Israel, der Israel maximalen Nutzen einbringen soll, obwohl er für andere Länder der Region den größtmöglichen Schaden bringen wird.
Seit vielen Jahren hält Israel mit seiner Anti-Iran-Strategie die Welt auf Trab, indem es um externe Unterstützung bittet und gleichzeitig den inneren Zusammenhalt beschwört. Im Mittelpunkt dieses Diskurses steht die oft wiederholte Drohung, der Iran wolle Israel von der Landkarte fegen.
Radikal-islamistische Stimmen, wie der ehemalige iranische Präsident Mahmud Ahmadineschad (2005-2013), haben sich tatsächlich so geäußert. Doch dass seine Worte nicht mehr als ideologische Propaganda waren, ist bekannt. Sie dienten der Stärkung der iranischen Verhandlungsposition bei den damals begonnenen Verhandlungen mit den USA und mit Europa über das internationale Atomabkommen.
Teherans rhetorische Hetze schadete den Interessen der Palästinenser und lenkte die internationale Aufmerksamkeit ab von der israelischen Besetzung und Besiedlung des Westjordanlands sowie Ost-Jerusalems. Offensichtlich versuchte Israel lediglich, seine nördliche Grenze mit der Absicht zu stärken, alle zukünftigen Angriffe unter Beteiligung des Iran überstehen zu können.
Diese "Drohungen" ermöglichten es Israel zudem, mehr militärische und diplomatische Unterstützung einzuwerben. In jüngster Zeit gelang es Israel, sich die widerrechtliche Annektierung der syrischen Golanhöhen seitens der USA absegnen zu lassen, die Israel seit dem Sechstagekrieg 1967 besetzt hält.
Umwerbung der Golfstaaten
Der Golan ist seitdem kein Thema mehr. Um die "iranischen Bedrohung" bestmöglich auszuschlachten, richten sich israelische und amerikanische Bemühungen nun auf die Schaffung eines "Iran-Kriegsprozesses", der auf der Behauptung gründet, zusammen mit den arabischen Golfstaaten "einem gemeinsamen Feind" gegenüberzustehen.
Dieser Prozess befördert die Iran-Phobie in der gesamten Golfregion und nutzt die angeblich drohende Kriegsgefahr dazu, die Reihen regional enger zu schließen und die Beziehungen zu den Golfstaaten zu normalisieren. Zwar werden weiterhin Stellvertreterkonflikte befeuert, die die Angst wachhalten sollen, Israel und der Iran werden dennoch höchstwahrscheinlich nie einen ausgewachsenen Krieg gegeneinander führen. Hier leistet der besagte "Prozess" bessere Arbeit und wird auch in den kommenden Jahren noch erfolgreich sein.
Paradoxerweise verschafft der "Iran-Kriegsprozess" auch dem Iran erhebliche Vorteile. Teherans aggressive Rhetorik gegen Israel ist fester Bestandteil des Ringens um regionalen Einfluss. Der Iran als selbsternannter "Anführer der Widerstandsachse" rechtfertigt seine Interventionen im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen ebenso wie die Unterstützung der Hamas und des Islamischen Dschihads in Palästina mit eben jenem Anspruch auf Widerstand.
Entgegen dem Ziel "Israel wegzufegen" besteht die Position des Iran im Israel-Palästina-Konflikt darin, letztlich das zu akzeptieren, was die Palästinenser akzeptieren würden. Kurz gesagt: Der Iran erkennt ebenso wie die arabischen Staaten die Zweistaatenlösung gemäß der Arabischen Friedensinitiative von 2002 an. Diese beinhaltete das Angebot zur Anerkennung Israels und Normalisierung der Beziehungen im Gegenzug für die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates und den Rückzug Israels aus allen 1967 besetzten Gebieten.
Auf dem Gipfeltreffen der "Organisation für Islamische Zusammenarbeit" 2017 in Istanbul, das als Reaktion auf die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch Trump stattfand, äußerten weder Irans Präsident Hassan Rohani noch Außenminister Mohammed Dschawad Sarif Einwände gegen eine Erklärung des Treffens, in der eine Zweistaatenlösung gefordert wurde.
Ironischerweise verfolgen Israel und Iran eine nahezu identische Strategie: Kriegsrhetorik verbunden mit dem Ausfechten von Stellvertreterkonflikten zur Vergrößerung ihres Einflusses in der Region und zur Erreichung ihrer jeweiligen strategischen Ziele. In Wirklichkeit ist keine der beiden Parteien daran interessiert, sich direkt zu bekämpfen oder gar der "Bedrohung" durch den anderen ein Ende zu setzen.
Würde die "iranische Bedrohung" vollständig beseitigt, verlöre Tel Aviv seinen bevorzugten Vorwand zur Durchsetzung seiner innenpolitischen, regionalen und internationalen Agenda. Und wenn der iranische Diskurs auf die "israelische Bedrohung" und den "Widerstand" verzichten müsste, verlöre Teheran in diesem regionalen Schachspiel seine wichtigste Figur.
Das Schreckgespenst des Krieges füttern
Der "Iran-Kriegsprozess" soll vor allem Israel mit den Ländern des Arabischen Golfs zusammenbringen. Im Kern manipuliert dieser Prozess saudische und emiratische Ängste und nutzt dabei deren Ressentiments gegenüber dem Iran und die Furcht vor dessen wachsenden regionalen Einfluss. Diesem Prozess liegt die unausgesprochene Prämisse zugrunde, dass Israel – und allein Israel – sich gegen den Iran behaupten könne, weshalb sich die arabischen Golfstaaten dem Führungsanspruch dankbar fügen mögen!
Gegenleistung für Israel ist die schrittweise und öffentliche Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der gesamten Golfregion. Der israelische Beitrag zu dieser Gegenleistung ist kaum nennenswert. Realistischerweise würde Israel niemals einen Krieg im Namen und für die Golfstaaten führen, noch würde es seine Ressourcen zur Durchsetzung von deren Interessen riskieren.
All dies wird durch die kurzsichtige Politik sowohl der Golfstaaten als auch des Iran unterstützt, was den Interessen Israels in die Hände spielt. Würde ein Bruchteil der in regionalen Rivalitäten vergeudeten Kräfte in einen ernsthaften diplomatischen Dialog zur Schaffung von Sicherheitsmaßnahmen zur Wahrung der gegenseitigen Interessen investiert, dann wären die Rivalen nicht von den USA gegeneinander ausgespielt worden. Die enormen Mittel für die Errichtung militärischer Arsenale kommen keinem anderen außer amerikanischen und westlichen Herstellern zugute.
Den vorliegenden Zahlen zufolge geben die Golfstaaten in diesem Jahr mehr als 100 Milliarden Dollar für Waffen aus. Hinzu kommen Militärabkommen im Gegenwert von sage und schreibe 450 Milliarden Dollar, die die Saudis 2017 mit Trump abgeschlossen haben. Man darf ohne Übertreibung behaupten, dass es ein zentrales Anliegen der USA ist, die Region durch Spannungen in Atem zu halten.
Dank der hohen Rüstungsausgaben fließt das Geld weiterhin in die Kassen der US-Banken. Der beste Weg, diese gewaltigen Investitionen auf Jahre abzusichern, besteht darin, in einen Prozess zu investieren, der das Gespenst eines vom Krieg heimgesuchten Nahen Ostens aufrechterhält.
Khaled Hroub
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