Hilfe für Opfer sexueller Erpressung

Soziale Medien ermöglichen vieles - auch die unerwünschte Verbreitung intimer Privatfotos. Dadurch sind neue Formen von Kriminalität und sexueller Erpressung entstanden. Eine Initiative in Ägypten will den Opfern helfen. Aus Kairo informiert Ihad Zidan

Von Ihad Zidan

Für Mohammed Elyamani war es eine deprimierende Nachricht: Die junge Frau, die sich kurz zuvor hilfesuchend an ihn gewandt hatte, nahm sich das Leben. Der Aktivist, der beruflich im Bereich Marketing tätig ist, konnte nichts mehr tun: Die 17-Jährige hatte keinen Ausweg mehr gesehen. Nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hatte, drohte dieser, sie mit Nacktbildern zu erpressen, die sie ihm während ihrer Beziehung geschickt hatte.

Elyamani, der junge Menschen über die sozialen Medien für Probleme wie sexuelle Belästigung und Erpressung sensibilisiert und vor der leichtfertigen Weitergabe privater Daten warnt, hatte der Hilfesuchenden zunächst noch geraten, zur Polizei zu gehen. Doch dann machte der Freund der jungen Frau seine Drohung wahr und schickte die Fotos an ihre Eltern. Für die Tocher war das eine derart beschämende und erniedrigende Erfahrung, dass sie in ihrer Verzweiflung beschloss, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Elyamani versuchte die Familie des Mädchens noch dazu zu bewegen, rechtliche Schritte gegen den Erpresser einzuleiten. Doch die antwortete ihm, sie wolle keinen Skandal. Das Mädchen sei tot.

Von Schuldgefühlen geplagt, nahm Elyamani sich vor, andere Opfer vor demselben Schicksal zu bewahren. Im Juni 2020 gründete er die Facebook-Gruppe "Qawem" - arabisch für "Widerstand". Inzwischen hat die Gruppe, die sich dem Kampf gegen sexuelle Erpressung - auch "Sextortion" genannt - verschrieben hat, rund 250.000 Follower.

Kampf gegen die Macho-Kultur

Das Netzwerk von Qawem besteht aus 200 Freiwilligen. Während weibliche Freiwillige die Facebook-Gruppe betreuen und auf die Nachrichten der Opfer antworten, sammeln andere Informationen über die potentiellen Täter und machen bei Bedarf deren Familien, Mitarbeiter und Arbeitgeber ausfindig. Damit bekämpfen sie zugleich die aggressive Macho-Kultur, unter der viele Ägypterinnen etwa in Form von sexueller Belästigung leiden.

Mohammed Elyamani, Gründer von "Qawem"; Foto: privat
Mohammed Elyamani, Gründer von "Qawem“. Er sensibiliert junge Menschen über die sozialen Medien für Probleme wie sexuelle Belästigung und Erpressung und warnt sie davor, ihre privaten Daten im Netz preiszugeben. Nachdem eine junge Frau, die ihn um Hilfe gebeten hatte, sich wegen der sexuellen Erpressung durch ihren Ex-Freund das Leben genommen hatte, beschloss er, anderen Opfern zu helfen. Im Juni 2020 gründete Elyamani die Facebook-Gruppe "Qawem" - arabisch für "Widerstand". Inzwischen hat die Gruppe, die sich dem Kampf gegen sexuelle Erpressung - auch "Sextortion" genannt - verschrieben hat, rund 250.000 Follower.

Werden die Aktivisten über einen Vorfall von Erpressung informiert, kontaktieren sie den potentiellen Täter online. Zunächst klären sie ihn über die Konsequenzen seines Handelns auf. Außerdem warnen sie ihn: Sollte er sein Opfer tatsächlich erpressen, würde Qawem seine Familie, seine Freunde und seinen Arbeitgeber informieren. Zugleich fordern die Aktivisten ihn auf, sich selbst beim Löschen des Materials zu filmen, das Video anschließend an die Gruppe zu schicken und sich beim Opfer zu entschuldigen.

Die Erpresser reagierten unterschiedlich, sagt Elyamani im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Einige lenken ein, wenn sie bemerken, dass das Opfer nicht allein ist. Die meisten halten aber trotzdem an ihrem Plan fest - solange, bis wir ihnen drohen, sie auffliegen zu lassen."

Gelegentlich versuchten Aktivisten aus seiner Gruppe auch im persönlichen Gespräch, den Erpresser zu überzeugen, von seiner geplanten Tat zu lassen. "Am liebsten schicken wir dann Personen, die aus dem gleichen Viertel wie er kommen", erzählt Elyamani. So lasse sich dieser besser unter Druck setzen. "In einigen - sehr wenigen - Fällen hätten die Erpresser dennoch nicht einlenken wollen. "Dann mussten wir in Abstimmung mit dem Opfer die Polizei einschalten."

Zahlreiche Hilfegesuche

Sexuelle Erpressung ist in Ägypten weit verbreitet. Eigenen Angaben zufolge erhält Qawem rund 500 Hilfsanfragen pro Tag. Rund 200 Fälle könne man wöchentlich im Sinne der Opfer lösen. In der Regel brauche es zwischen einigen Stunden und einer Woche, um einen Erpresser zum Einlenken zu bewegen.

Auch Randa* hat sich von Qawem helfen lassen. Es habe drei Tage gedauert, ihren Fall zu lösen, sagt die 29-Jährige. Als sie ihrem Freund erklärte, sie wolle die Beziehung zu ihm beenden, drohte dieser, Nacktbilder von ihr zu veröffentlichen.

Im vergangenen August hatte der ägyptische Staat ein Gesetz zum Schutz der Identität von Opfern sexueller Gewalt, einschließlich sexueller Erpressung, verabschiedet. Auf diese Weise sollen Frauen ermutigt werden, in Notfällen Hilfe zu rufen. Dennoch hatte Randa zunächst weiterhin Angst, sich an die Polizei zu wenden.

"Gemeinsam gegen Belästigung": Plakat an der Kairo Universität; Foto: DW/R. Mokbel
Sexuelle Erpressung ist in Ägypten weit verbreitet. Eigenen Angaben zufolge erhält die Initiative "Qawem“ rund 500 Hilfsanfragen pro Tag. Rund 200 Fälle könne man wöchentlich im Sinne der Opfer lösen, sagen die Aktivisten. Das ägyptische Gesetz schütze zwar die Opfer sexueller Erpressung und ahnde entsprechende Fälle durch Geldbußen und/oder Gefängnis, sagt der Anwalt Yasser Saad. Doch die Umsetzung der juristischen Vorgaben sei weiterhin schwierig. Die lange Zeitspanne zwischen der Einreichung einer offiziellen Anzeige und dem Beginn der Ermittlungen lasse dem Erpresser Raum, seine Drohungen wahr zu machen, so Saad. Zudem mache eine in vielen Polizeistationen vorherrschende Macho-Kultur oftmals die Opfer selbst für das ihnen widerfahrene Unrecht verantwortlich.



Die Ängste der Opfer

Randas Ängste seien berechtigt, sagt Aziza Eltawil, Anwältin bei der Menschenrechtsorganisation "Egyptian Initiative for Personal Rights". Denn bisweilen seien die Erpresser entschlossen, sich zu verteidigen. "Zum Beispiel versuchen deren Anwälte und Familien, die Opfer zu diffamieren und zu diskreditieren", sagt Eltawil. Außerdem zögen sich Gerichtsverfahren oftmals in die Länge. Noch nicht volljährige Opfer müssten die offizielle Anzeige zudem über ihre Erziehungsberechtigten einreichen. Dies halte viele Betroffene davon ab, entsprechende Vorfälle zu melden - sie schreckten davor zurück, ihre Eltern in ihr Problem einzuweihen.

Das ägyptische Gesetz schütze zwar die Opfer sexueller Erpressung und ahnde entsprechende Fälle durch Geldbußen und/oder Gefängnis, sagt der Anwalt Yasser Saad. Doch die Umsetzung der juristischen Vorgaben wie auch die Verfahren zur Einreichung einer Beschwerde seien weiterhin schwierig. Die lange Zeitspanne zwischen dem Einreichen einer offiziellen Anzeige und dem Beginn der Ermittlungen lasse dem Erpresser Raum, seine Drohungen wahr zu machen, so Saad. Zudem mache eine in vielen Polizeistationen vorherrschende Macho-Kultur oftmals die Opfer selbst für das ihnen widerfahrene Unrecht verantwortlich.

Das kann Nourhan* bestätigen. Sie hatte sich von ihrem Verlobten getrennt. Auch er drohte daraufhin mit sexueller Erpressung - woraufhin sie Anzeige gegen ihn erstattete. Doch die Polizei im Gouvernement Assiut im Süden Ägyptens nahm sich 40 Tage Zeit, bevor sie ihn verhörte. Zwar habe ihr ehemaliger Verlobter schließlich einen Rückzieher gemacht, berichtet sie. Doch hätte er seine Drohung umgesetzt und ihr enormen Schaden zugefügt.

Löschen der Daten hilft nicht immer

Es gebe Fälle, bei denen eine Lösung der Bilder oder Daten besonders schwierig sei, sagt Elyamani. So etwa, wenn das Opfer den Erpresser gar nicht kenne. "Manche Frauen verkaufen ihre Telefone, nachdem sie alle gespeicherten Bilder und Videos gelöscht haben", sagt er. "Ihnen ist allerdings nicht klar, dass ein neuer Besitzer die gelöschten Inhalte mit speziellen Programmen wiederherstellen kann. Diese Frauen werden dann von den ihnen meist unbekannten neuen Besitzern ihres alten Telefons erpresst." In diesen Fällen rät Elyamani den Opfern, direkt zur Polizei zu gehen.

*Namen auf Wunsch der Betroffenen geändert.

Autor: Ihad Zidan 

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Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Mediennetzwerk Egab, Adaption aus dem Englischen durch Kersten Knipp.

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