Flüchtlinge aus Darfur hoffen auf Rückkehr
Als Ahmed Yusuf Ahmed vom Sturz des autoritären Staatspräsidenten Omar al-Bashir hörte, war er zunächst froh. „Ich dachte, das sei die beste Nachricht, die ich in meinem Leben je gehört habe“, meint Ahmed, der 2003 aus seiner Heimat Darfur floh.
Der Sudan befindet sich in einem Zustand politischer Unruhen. Auslöser ist eine landesweite Wirtschaftskrise, die im Dezember letzten Jahres ihren Anfang nahm und nach Protesten der Bevölkerung dem autoritären Regime Al-Bashirs nach drei Jahrzehnten ein Ende setzte. Am 11. April stürzte das Militär al-Bashir und gründete anschließend einen militärischen Übergangsrat „Transitional Military Council“ (TMC).
Ahmed war 16 Jahre alt, als die Dschandschawid-Miliz, die das Regime zur Niederschlagung eines lokalen Aufstands angeheuert hatte, sein Dorf in der Gegend von Karnoi niederbrannte, seinen Vater tötete und das Vieh seiner Familie stahl. Er lebte daraufhin 10 Jahre lang in einem Flüchtlingslager im Tschad. Anschließend beantragte er Asyl in Jordanien. Da Flüchtlinge dort keine Arbeitserlaubnis erhalten, kämpfte er wie die meisten Flüchtlinge darum, irgendwie über die Runden zu kommen.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen fielen dem bewaffneten Konflikt in Darfur seit 2003 mindestens 300.000 Menschen zum Opfer; mehr als 2,7 Millionen Menschen wurden vertrieben. Für ihre mutmaßliche Rolle bei den Gewalttaten erließ der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zwischen 2009 und 2010 gegen Al-Bashir und andere hochrangige Mitglieder des Regimes Haftbefehl wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Verhaltene Reaktion auf den Sturz al-Bashirs
Allgemein wurde Al-Bashirs Sturz zwar mit Begeisterung aufgenommen, aber Ahmed blieb vorsichtig. Die Generäle, die Al-Bashir abgesetzt hatten, blieben eng mit dem alten Regime verbunden. Der neu einberufene Militärrat wurde von Generalleutnant Abdel Fattah al-Burhan geleitet. Dieser koordinierte zwischen 2003 und 2005 als militärischer Nachrichtenoffizier die militärischen Aktionen in Darfur. Das prominenteste Mitglied des Rates war General Mohamed Hamdan Dagalo, allgemein bekannt als Hemeti, der Führer der paramilitärischen „Rapid Support Forces“ (RSF).
Hemetis Truppen wurden 2013 offiziell von der Regierung Al-Bashirs als RSF gegründet, rekrutieren sich allerdings größtenteils aus den gefürchteten „Dschandschawid“-Milizen, die seit der Jahrtausendwende gegen Aufstände in Darfur und in anderen marginalisierten Gebieten mobilisiert wurden und werden. RSF-Söldner werden auch von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten im Jemen als Teil der von Saudi-Arabien geführten Koalition angeheuert. Das Regime Al-Bashir setzte sie zudem gegen Demonstrationen und Proteste überall im Sudan ein.
Nach Gründung des militärischen Übergangsrats forderten Menschen in Massenprotesten den Übergang zu einer zivilen Regierung, worauf sich das Militär gezwungen sah, Verhandlungen mit der größten prodemokratischen Koalition aufzunehmen. Die Gespräche wurden mehrmals unterbrochen und durch gewaltsame Übergriffe am 3. Juni belastet, die nach Angaben des oppositionellen Ärztezentralkomitees 128 Menschenleben forderten.
Am 17. Juli gaben der Militärrat und die prodemokratischen Oppositionsführer bekannt, dass sie unter dem wachsenden Druck der Vereinigten Staaten, der Afrikanischen Union und der arabischen Verbündeten ein Abkommen über die Teilhabe der Macht im Staat erreicht hätten.
Einen Monat später unterzeichneten der regierende Militärrat und prodemokratische Oppositionsführer das endgültige Abkommen über die Machtteilung. Beide Seiten einigten sich auf eine rechtsverbindliche Erklärung, nach der ein gemeinsamer Übergangsrat aus Militärführung und ziviler Opposition eingesetzt wird, der voraussichtlich im September die Macht übernehmen und den Sudan für die nächsten drei Jahre bis zu den Wahlen regieren wird.
Misstrauen gegenüber Generälen
Das Abkommen löste in den Straßen der sudanesischen Hauptstadt Khartum Jubel aus. Die Menschen feierten mit Musik, Autokorsos und wehenden sudanesischen Fahnen. Doch die Menschen aus Darfur, die vor Gewalt und Verfolgung geflohen waren, reagierten deutlich verhaltener. Schließlich war das Abkommen auch von den Generälen unterzeichnet worden, die an den brutalen Angriffen gegen die Aufständischen in Darfur beteiligt waren.
„An Hemetis Händen klebt viel Blut“, sagt Ahmed, der den General wegen mutmaßlicher Verbrechen in Darfur und wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten am liebsten auf der Anklagebank sehen würde. Aus Sicht der Flüchtlinge hat das brutale Vorgehen am 3. Juni gezeigt, dass diesen Generälen nicht zu trauen ist, wenn es um die Einhaltung von Vereinbarungen geht.
Zwar wurde gegen Hemeti bisher noch nicht Anklage erhoben, aber Bürgerrechtsgruppen werfen ihm die Verantwortung für schwere Menschenrechtsverletzungen durch seine Streitkräfte vor. Ein im Jahr 2015 veröffentlichter Bericht von „Human Rights Watch“ beschrieb die RSF als „Männer ohne Erbarmen“ und beschuldigte die von Hemeti angeführten Streitkräfte, wiederholt Dörfer angegriffen, Häuser niedergebrannt und geplündert sowie Zivilpersonen in Darfur geschlagen, vergewaltigt und getötet zu haben.
Im Juni berichtete „Amnesty International“, dass es „beunruhigende neue Beweise“ gebe, die zeigen, dass die RSF und verbündete Milizen weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Darfur begehen, im vergangenen Jahr u. a. die „Zerstörung von mindestens 45 Dörfern, rechtswidrige Tötungen und sexuelle Gewalttaten“. Die von Menschenrechtsorganisationen dokumentierte anhaltende Gewalt, verdeutlich, dass es für rückkehrwillige Flüchtlinge aus Darfur immer noch keine Sicherheit gibt.
Das Abkommen über die Machtteilung wurde vom prodemokratischen Oppositionsführer Ahmed al-Rabie und von Hemeti unterzeichnet. Beide verpflichteten sich zur Einhaltung der Bedingungen. Die Flüchtlinge aus Darfur stehen dem Bekenntnis der Generäle zu einem friedlichen Übergang allerdings sehr skeptisch gegenüber. „Ich glaube nicht, dass der Militärrat jemals seine Macht abgeben wird. Die Militärs sind für den Völkermord verantwortlich. Wenn sie die Regierung verlassen würden, müssten sie damit rechnen, vor Gericht gestellt zu werden“, sagt Ahmed.
Immunität vor Strafverfolgung
Einer der am meist umstrittenen Punkte im Machtteilungsabkommen war die Möglichkeit, Generälen Immunität vor Strafverfolgung zu gewähren. Die endgültige Einigung sieht vor, dass deren Immunität ohne die Zustimmung der Mehrheit der Legislative nicht aufgehoben werden kann. Nach Auffassung von Ahmed bedeutet das, dass für die Verbrechen in Darfur oder für die Gewalt gegen Demonstranten niemand zur Rechenschaft gezogen werden wird.
Da das alte Regime nach wie vor an den Schalthebeln der Macht sitzt, halten es viele Flüchtlinge für zu riskant, in den Sudan zurückzukehren. „Die nationalen Geheim- und Sicherheitsdienste sind weiterhin tätig. Die RSF stehen weiterhin über dem Gesetz und töten und erniedrigen Menschen“, sagt Suliman Baldo, ein leitender Wissenschaftler des Enough Project.
Da die Sicherheitskräfte und der nationale Geheimdienst noch intakt sind, könnte jeder, der im Ausland Asyl gesucht hat, nach seiner Rückkehr dem Risiko ausgesetzt sein, verhaftet zu werden. Im Dezember 2015 verhafteten die jordanischen Behörden Hunderte von sudanesischen Flüchtlingen, die an Protesten teilgenommen hatten und damit in den Augen der Behörden die geleistete humanitäre Hilfe herabgesetzt haben.
Hunderte von ihnen wurden in den Sudan abgeschoben, wo einige bei der Ankunft in Khartum angeblich verhaftet und gefoltert wurden. Baldo sieht darin ein Risiko, dem Flüchtlinge generell ausgesetzt sind, die in den Sudan zurückkehren. „Das System hat sich nicht geändert. Die Verfolger halten immer noch den Stock, die Peitsche und die Waffe gegen Zivilisten in der Hand“, sagt er.
Abgesehen von der Sorge um ihre Sicherheit würden viele Flüchtlinge aus Darfur völlig mittellos dastehen. „Ich habe mein Haus, mein Vieh, mein Land verloren – einfach alles, was ich besaß“, sagt Abdul (*), ein Mann aus Darfur, der mehrere Jahre in einem Lager für Vertriebene verbrachte, bevor er 2010 in Jordanien Asyl suchte. „Selbst meine Verwandten habe ich verloren. Wer bringt sie mir zurück?“
Die Frage der Wiedergutmachung
[embed:render:embedded:node:36436]Für Flüchtlinge ist die Rückgabe von Land, das die Milizen ihnen geraubt oder das sie im Konflikt zurücklassen mussten und das nun von neuen Siedlern besetzt ist, eines der dringlichsten Themen. „Ich wüsste nicht, wie Hunderttausende von Farmen zurückgegeben werden könnten, die die Milizen, der RSF oder die Dschandschawid gewaltsam beschlagnahmt haben.
Wie soll die Rückgabe dieser Farmen an ihre rechtmäßigen Eigentümer funktionieren“, fragt Eric Reeves, Senior Fellow an der Harvard University. „Die Verhältnisse in Darfur werden sich in naher Zukunft nicht ändern. Dieses Projekt des Wiederaufbaus und der Rückgabe kann sehr lange dauern“, fügt er hinzu.
In Jordanien halten die Flüchtlinge aus Darfur eine Rückkehr immer noch für zu gefährlich. Der zivile Widerstand hat einen Diktator gestürzt, aber Elemente des alten Regimes sitzen weiter an den Machthebeln. Einige der Generäle, die jetzt im „Souveränen Rat“ das Sagen haben, waren an den Gräueltaten beteiligt, die die Menschen aus Darfur zur Flucht zwangen. Die Verantwortlichen werden weiterhin Straflosigkeit genießen.
„Ich träume davon, in den Sudan zurückzukehren“, sagt Ahmed. Aber da das Regime immer noch dasselbe ist, wird das in naher Zukunft kaum möglich sein.“
Marta Vidal
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(*) Der Nachname wurde zum Schutz der Identität nicht angegeben.
Aus dem Englischen von Peter Lammers