Müdes Melodrama
Ein Stoff ganz nach Werner Herzogs Geschmack: Die Britin Gertrude Bell hat den Ruf, das weibliche Pendant von "Lawrence of Arabia" zu sein. David Leans Klassiker aus dem Jahre 1962 ist auch heute noch eines der beeindruckendsten und mitreißendsten Kapitel der Filmgeschichte.
Und Getrude Bell (1868-1926), die britische Forscherin, Archäologin und Agentin hat in ihrem Leben auch viel Abenteuerliches erlebt, geschrieben und entdeckt. Sie hat so viele Länder der Erde besucht, dass selbst ein weitgereister Mensch wie Werner Herzog angesichts ihrer Vita vor Neid erblasst.
Als zu hören war, dass Super-Star Nicole Kidman die Titelrolle übernehmen würde, war die Spannung groß. Sie wuchs noch mehr, als bekannt wurde, dass James Franco und Damian Lewis an ihrer Seite agieren würden, und niemand anders als Teenie-Idol Robert Pattinson (Harry Potter, Twilight) in die Rolle des Thomas Lawrence schlüpfen würde. Denn "Lawrence of Arabia" spielt auch in Herzogs Epos eine Rolle.
Eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war
Das Leben der Gertrude Bell, die im Nahen und im Mittleren Osten zu Orten vordrang, die bis dato auch männliche Europäer nie betreten hatten, bietet reichlich Stoff für Kinovisionen. Schließlich hatte die Britin aus gutem Hause auch politisches Gewicht: Als Forschungsreisende erkundete sie das Osmanische Reich und nach dem Ersten Weltkrieg nahm sie als Angehörige des britischen Geheimdienstes an den Grenzverhandlungen in der Region teil.
Ihre Geschichte passt perfekt zu Werner Herzog: Eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war, die studiert hatte, mit ihren Werken und Taten männliche Konkurrenten alt aussehen ließ und deren Ansehen im Irak noch heute groß ist.
Doch die Enttäuschung, als der Film noch unter dem englischsprachigen Titel "Queen of the Desert" bei der Berlinale im Februar 2015 Weltpremiere feierte, war groß. In den Vorführungen für das Fachpublikum wurde bei vielen Szenen sogar gelacht - und zwar nicht aus Freude. Bei der Gala-Premiere am Abend in Anwesenheit von Regisseur und Stars hielten sich die Kritiker allerdings zurück.
Herzog ist mit seinem Wüsten-Epos um die britische Forscherin gescheitert. Aber: warum nur? Im Film, der seit dem 3. September 2015 unter dem Titel "Königin der Wüste" in deutschen Kinos anlief, hat sich der Regisseur auf die Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs konzentriert.
Historienkino aus längst vergangenen Zeiten
"Königin der Wüste" wirkt wie Historienkino aus längst vergangenen Jahrzehnten. Die Charaktere sind höchst eindimensional gezeichnet: Die Briten treten kühl und schneidig auf. Die Stammesfürsten der arabischen Länder wirken verschlagen und gutgläubig. Winston Churchill ist nicht mehr als eine filmische Karikatur.
Mittendrin in dieser Welt der Männer behauptet sich Gertrude Bell alias Nicole Kidman gegen alle Widerstände. Herzog hat sich bei aller filmischen Verdichtung zwar an die historischen Fakten gehalten - seine Charaktere jedoch wirken hölzern und psychologisch wenig ausgereift.
Das hat wohl auch etwas mit der Besetzung zu tun. In der Titelrolle schwebt Weltstar Nicole Kidman engelsgleich und immer gut frisiert durch die Wüstenlandschaften. Kidman, die in den letzten Jahren außer im Kino vor allem auf riesigen Werbe-Plakaten von Kosmetikkonzernen zu sehen war, nimmt man die Rolle der mutigen, unabhängigen Gertrude Bell nicht ab. Und Robert Pattinson, der einen blässlichen Lawrence of Arabia gibt, ist eine glatte Fehlbesetzung.
Das größte Wunder an "Queen of the Desert" ist, dass dieser Film von einem Magier wie Werner Herzog inszeniert wurde – einem Regisseur, der sich mit fernen Weltregionen bestens auskennt und der mehrfach bewiesen hat, dass er durchaus menschliche Abgründe auf der Leinwand ausloten kann.
Herzog hatte schon früh dem Kinopublikum mit "Aguirre - Der Zorn Gottes" und "Fitzcarraldo" einige außergewöhnliche Kino-Charaktere geschenkt, die mit Entdeckerlust und am Rande des Wahnsinns agierten. Doch vom produktiven Irrsinn eines Klaus Kinski ist Herzog hier meilenweit entfernt.
"Wenn ich Botschaften zu verteilen hätte, wäre ich Botschafter oder Briefträger geworden", sagte der Regisseur im Vorfeld der deutschen Premiere in seiner bekannt bissig-sarkastischen Art auf die Frage, wie sehr er seinen Film als Beitrag zum Verständnis der Völker ansehe.
Herzog hat einen anderen Weg gewählt. Das kann man ihm nicht vorwerfen. Schon viele Filme sind an gut gemeinten politischen Visionen gescheitert. Bei "Königin der Wüste" hat Herzog auf melodramatische Effekte gesetzt: auf Überwältigung durch Bilder und auf dramaturgische Verdichtung historischer Geschehnisse.
Nicht viel mehr als ein braves Rührstück
Nur leider ist Herzog gerade mit diesem Konzept gescheitert. Das angestrebte Melodrama ist nicht viel mehr als ein braves Rührstück. Die dargebotenen Bilder sind zwar schön anzuschauen, inzwischen aber aus unzähligen Naturdokumentationen hinlänglich bekannt.
Das dramaturgische Konzept ist nicht zuletzt an den schauspielerischen Auftritten und der mangelnden psychologischen Ausformungen der Filmcharaktere gescheitert. Es muss jeden Werner-Herzog-Fan schmerzen, diese "Königin der Wüste" im Kino zu sehen.
Er bete jede Nacht, dass niemand seine Biografie schreibe, bemerkte Werner Herzog vor Kurzem bei einer Diskussion in der bolivianischen Stadt Santa Cruz am Rande der Dreharbeiten seines neuen Spielfilms. "Ich will nicht wissen, wer sich hinter diesem Gesicht verbirgt", so Werner Herzog.
Vielleicht hätte er sich das zu Herzen nehmen sollen, als er das so aufregende wie aufschlussreiche Leben der britischen Weltreisenden Gertrude Bell verfilmt hat.
Jochen Kürten
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