Im Schatten des Boykotts
Während einige türkische Verbände den Integrationsgipfel boykottierten und gegen die Verschärfung des Zuwanderungsrechts vor dem Bundesverfassungsgericht klagen wollen, halten deutsche Politiker die Reaktionen für völlig überzogen. Von Peter Philipp
Es hätte alles so schön sein können: Der zweite Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin stellte einen "nationalen Integrationsplan" vor, in dem Hunderte von Maßnahmen zur Integration von Zuwanderern festgelegt sind.
Das Ereignis aber war getrübt durch den Entschluss verschiedener türkischer Verbände, dem Gipfel fernzubleiben, und bereits seit Tagen war deswegen klar gewesen: Das Klima des ersten Gipfels würde unerreicht bleiben.
Die Verbände sind verärgert, dass sie von der Bundesregierung nicht zu der Verschärfung des Einwanderungsgesetzes befragt wurden. Ohne speziell genannt zu werden, seien besonders türkische Zuwanderer diskriminiert.
Nicht nur, weil sie mit Abstand die größte Gruppe so genannter "Migranten" sind, sondern auch aus konkreten Gründen: So sollen Ehepartner aus der alten Heimat zunächst Deutsch lernen, bevor sie nach Deutschland kommen können. Und sie müssen künftig auch mindestens 18 Jahre alt sein.
Die verärgerten türkischen Verbände stießen eine Debatte los, die mehr als deutlich demonstrierte, wie schlecht es um die Integration bestellt ist.
Einige Verbandsvertreter sprachen schon von Menschenrechtsverletzungen, "Unsinn", kontern die Politiker: Man habe Zwangsheiraten verhindern wollen, und im Übrigen müsse doch klar sein, dass Deutsch lernen solle, wer in Deutschland leben wolle.
Kein Wort darüber, dass das in anatolischen Dörfern nun einmal nicht so einfach ist wie in New York oder Tokio – wo diese Bedingung allerdings gar nicht erst gestellt wird. Und ganz abgesehen davon, dass man Deutsch am besten in Deutschland lernt.
Die türkischen Verbände erweckten etwas ungeschickt den Eindruck, als wollten sie die Bundesregierung unter Druck setzen. Die deutsche Politik aber versuchte zu verharmlosen und den Türken zu unterstellen, sie wollten das Selbstverständliche verhindern.
Dieses "Selbstverständliche" steht allerdings für kaum jemanden in Frage: Zum Beispiel, dass Integration von Zuwanderern wichtig ist und dabei natürlich Sprachkenntnisse erforderlich sind.
Wenn man aber Sprachkenntnisse in Anatolien erwerben soll – und selbst wenn es nur "dreihundert Wörter" sind – wie deutsche Politiker plötzlich abwiegeln – dann ist das eine Hürde für Menschen von dort und ein Hindernis für Türken in Deutschland, Ehepartner in der alten Heimat zu finden.
Von der Verhinderung von "Zwangsehen" zu sprechen, kommt politisch vielleicht gut an, dies kann aber nicht durch ein höheres Einreise-Alter, erst recht nicht durch dreihundert deutsche Wörter erreicht werden. Solche Probleme müssen in Deutschland gelöst werden.
Und zwar "auf gleicher Augenhöhe" mit den Zuwanderern. Wie es die Politiker gerne nennen. Genau dies hätte bereits bei der Änderung des Einwanderungsgesetzes geschehen sollen. Dann hätte man sich viel Ärger erspart und dann hätte manches wirklich viel schöner werden können.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE 2007
Qantara.de
Integrations- und Einwanderungspolitik in Deutschland
Zuwanderungsgesetz als "Integrationsverhinderungsgesetz"
In seinem Kommentar kritisiert der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, Memet Kilic, die Verschärfung des Zuwanderungsrechts in Deutschland. Statt Integration zu fördern, erhält wieder der "alte Abwehrgeist" des Ausländerrechts Einzug in das Zuwanderungsrecht, so Kilic.