Marib: Vom Zufluchtsort zum Kampfschauplatz

Die Stadt Marib ist der wichtigste Zufluchtsort im Jemen für die im Land Vertriebenen. Doch dort eskalieren derzeit die Kämpfe zwischen Huthi-Rebellen und Regierungstruppen und verschärfen die humanitäre Katastrophe weiter. Karim El-Gawhary informiert.

Von Karim El-Gawhary

Es sind kaum vorstellbare Dimensionen. Während in Europa ein paar tausend Flüchtlinge an der Grenze zwischen Belarus und Polen zu einem Aufschrei führen, ist die jemenitische Stadt Marib von einst ein paar hunderttausend Einwohnern zu einer Millionenstadt angewachsen. Marib ist eine Flüchtlingshochburg. Manche Schätzungen sprechen gar von fast drei Millionen Menschen, die sich dorthin geflüchtet haben sollen. Genau, weiß das aber niemand.  In dem seit sieben Jahren andauernden jemenitischen Bürgerkrieg hat sich die Stadt zum wichtigsten Zufluchtsort für im Land Vertriebene entwickelt.

Marib ist aber auch die letzte Bastion der jemenitischen Regierung im Norden des Landes. Sie ist strategisch wichtig. Durch die Stadt führt die Schnellstraße in das fünf Autostunden entfernte Saudi-Arabien. Außerdem gibt es in der Umgebung Gasvorkommen. War die Stadt bis vor wenigen Monaten noch ein Ruhepol im jemenitischen Bürgerkrieg und daher als Fluchtort beliebt, ist Marib inzwischen einer der am heftigsten umkämpften Orte im Land. Die vom Iran gesponserten Huthi-Rebellen versuchen derzeit das Umland der Stadt zu erobern, die von den von Saudi-Arabien unterstützten Regierungstruppen gehalten wird.



Würde den Huthis die Eroberung von Marib gelingen, wäre das ein entscheidender strategischer Erfolg für sie. Bisher ist es vor allem die saudische Luftwaffe, die die Rebellen mit ihrem Bombardement noch davon abhält, sich bis an den Rand der Stadt vorzukämpfen. Allein seit Beginn der Woche, hat sie nach eigenen Angaben fast 50 Angriffe gegen Huthi-Stellungen geflogen. Während die Huthi-Propaganda davon spricht, dass die Eroberung Maribs nur noch eine Frage der Zeit sei, schwören die Regierungstruppen und die Saudis, den Ort bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.

Notunterkunft für Vertriebene im Jemen; Foto: Mohamed al-Wafi/Xinhua/picture-alliance
Notunterkunft für Flüchtlinge im Jemen. "20 Millionen Menschen im Jemen sind abhängig von humanitärer Hilfe, das sind zwei Drittel der Bevölkerung," sagt die Österreicherin Christa Rottensteiner am Telefon in Aden, Leiterin der Interationalen Organisation für Migration (IOM) im Jemen. "Viele Millionen Menschen sind intern vertrieben“. Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit seien in den Lagern rund um Marib besonders schwer mitanzusehen. Für Rottensteiner gibt es dabei aber noch ein persönliches Schreckensszenario. "Wenn der Krieg noch näher an die Stadt rückt, dann könnten wir wirklich eine Katastrophe erleben, wenn sich dann eine halbe Million oder ganze Million Menschen auf die Flucht macht“, sagt sie. "Das wäre für uns humanitäre Organisationen das schlimmste Szenario“.

Eskalation der Kampfhandlungen rund um Marib

 

Mit der Eskalation der Kampfhandlungen haben sich in den letzten Wochen noch mehr Menschen in Richtung Marib aufgemacht, um vor der vorrückenden Front Schutz zu suchen. "Seit September sind noch 45.000 zusätzliche Vertriebene in der Stadt angekommen. Die Zahl der Menschen, die jeden Tag in den 130 Lagern von Vertriebenen rund um die Stadt ankommen, ist um ein zehnfaches gestiegen“, schildert die Österreicherin Christa Rottensteiner am Telefon in Aden die dramatische Lage.  Sie leitet seit zwei Jahren die Internationale Organisation für Migration (IOM) im Jemen, die größte humanitäre Organisation, die in Marib aktiv ist.  Sie ist regelmäßig in Marib und erst vor wenigen Tagen von dort zurückgekehrt. 

Für die humanitären Hilfsorganisationen ist die Situation eine riesige Herausforderung. "Wir bringen Nahrungsmittel, wir verteilen Zelte und Decken. Wir kümmern uns um die medizinische Versorgung, aber was wirklich schwierig ist: Es ist einfach nicht genug. Wir sehen so viel Leid, wir können nur einem Bruchteil derer helfen, denen es am schlimmsten geht. Unser größtes Problem ist, dass wir nicht genug Geld und Personal haben“, klagt die IOM-Leiterin. Ein weiteres Problem ist der Zugang zu den Lagern. "Die Menschen, die uns brauchen, leben oft zu nahe an der Front und die Lager verändern sich ständig. Andauernd tauchen spontan neue Zelte auf und es ist sehr schwierig für uns, damit Schritt zu halten“, beschreibt sie die Lage.

Wasserversorgung in der Wüste – ein logistischer Albtraum

 

Es sind nicht nur die schieren Zahlen und logistischen Probleme, sondern auch die Einzelschicksale, die ihr zu schaffen machen. "Was mich persönlich getroffen hat, waren Gespräche mit vielen Frauen, zum Beispiel mit einer jungen Witwe, die nun schon zum fünften Mal mit einem Minimum an Habseligkeiten fliehen musste. Ihre vier Kinder können nicht in die Schule gehen und sie leben in einem Zelt mit 40 Leuten, ohne Wasserversorgung. Jetzt kommt der Winter, es ist kalt und sie haben keine Decken“, erzählt Rottensteiner. 

Huthi-Rebellen im Jemen, 2017; Foto: picture-alliance/dpa/H.al Ansi
Die vom Iran gesponserten Huthi-Rebellen (hier ein Foto von 2017) versuchen derzeit das Umland der Stadt Marib zu erobern, die von den von Saudi-Arabien unterstützten Regierungstruppen gehalten wird. Würde ihnen die Eroberung von Marib gelingen, wäre das ein entscheidender strategischer Erfolg für sie. Bisher ist es vor allem die saudische Luftwaffe, die die Rebellen mit ihrem Bombardement noch davon abhält, sich bis an den Rand der Stadt vorzukämpfen. Allein seit Beginn der Woche, hat sie nach eigenen Angaben fast 50 Angriffe gegen Huthi-Stellungen geflogen. Während die Huthi-Propaganda davon spricht, dass die Eroberung Maribs nur noch eine Frage der Zeit sei, schwören die Regierungstruppen und die Saudis, den Ort bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.  

Nicht nur die Wasserversorgung der in der Wüste um die Stadt entstandenen Lager ist ein logistischer Albtraum. Zehn von hundert Kindern in Marib sind unterernährt. Das Problem sei nicht, dass es keine Nahrungsmittel auf dem Markt gebe, erklärt die IOM-Chefin. "Das Problem ist die Inflation. Seit Beginn des Jahres haben sich die Preise verdoppelt. Auch wenn es noch Nahrungsmittel gibt, können sich die meisten Menschen diese nicht mehr leisten“.

Man könne sich in Europa die Lage im Jemen wahrscheinlich kaum vorstellen, glaubt Rottensteiner. Aber wenn man die Zahlen höre, sollte man verstehen, wie schrecklich dieser Krieg ist und wie dramatisch die Lage sei. "20 Millionen Menschen im Jemen sind abhängig von humanitärer Hilfe, das sind zwei Drittel der Bevölkerung. Viele Millionen Menschen sind intern vertrieben“, fasst sie die Zahlen zusammen.

Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit seien in den Lagern rund um Marib besonders schwer mitanzusehen. Alle wüssten, solange der Krieg weitergeht, gebe es keinerlei positive Aussichten. Für Rottensteiner gibt es dabei aber noch ein persönliches Schreckensszenario. "Wenn der Krieg noch näher an die Stadt rückt, dann könnten wir wirklich eine Katastrophe erleben, wenn sich dann eine halbe Million oder ganze Million Menschen auf die Flucht macht“, sagt sie. "Das wäre für uns humanitäre Organisationen das schlimmste Szenario“.

Karim El Gawhary

© Qantara.de 2021

 

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