Ein gefesseltes Land

Pakistan leidet unter einer chronischen Wirtschaftsmisere, die sich jüngst durch Preissteigerungen bei wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs noch verschärft hat. Hier protesieren Männer in Peshawar gegen Preissteigerungen bei Benzin.
Pakistan leidet unter einer chronischen Wirtschaftsmisere, die sich jüngst durch Preissteigerungen bei wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs noch verschärft hat. Hier protesieren Männer in Peshawar gegen Preissteigerungen bei Benzin.

Vor 75 Jahren wurde Pakistan unabhängig von Großbritannien. Es ist ein Staat mit Perspektive - gäbe es nicht den Dauerkonflikt mit Indien und viele hausgemachte Probleme. Von Haroon Janjua aus Islamabad

Von Haroon Janjua

Pakistan zelebriert den 75. Jahrestag seiner Unabhängigkeit an diesem Sonntag eher schlicht: Die Flaggen werden gehisst, in der Hauptstadt Islamabad gibt es ein Feuerwerk und zur Feier des Tages wird ein neuer 75-Rupien-Schein herausgegeben. Einst war die Banknote viel wert. Heute entsprechen 75 pakistanische Rupien gerade mal 0,34 Euro. Der Kurs der Banknote spiegelt den aktuellen Zustand des südasiatischen Landes - politisch und wirtschaftlich.

Die Daten zur Inflation für Juli zeigen, dass der pakistanische Verbraucherpreisindex (CPI) im Vergleich zum Vorjahr um fast 25 Prozent gestiegen ist. Inflationstreiber sind auch in Pakistan derzeit die hohen Preise für Grundnahrungsmittel und Energie.

Die aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen setzen die neue Regierung in Islamabad zusätzlich stark unter Druck. Ohnehin steckt sie gerade mitten in Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein Rettungspaket, um die hohen Auslandsschulden weiter begleichen zu können.

Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif (Foto: AFP/Getty Images)
Chronische Wirtschaftsmisere: Pakistan führt mehr Waren und Dienstleistungen ein, als es exportiert. Eine Änderung ist nicht in Sicht, weil zu wenig im Land selbst produziert wird. Die Einnahmen sind entsprechend gering und das Land leidet unter Devisenmangel. Zudem hätten sich immer wieder Pakistans wechselnde politische Führer dafür entschieden, das Militär mithilfe von Krediten aus dem Ausland auszubauen. Wirtschaftliche Gesichtspunkte seien ignoriert worden, so Husain Haqqani, einst pakistanischer Botschafter in den USA und mittlerweile Südasien-Experte am Hudson Institute in Washington.

Pakistans wirtschaftliche Misere

Aus Sicht von Husain Haqqani, einst pakistanischer Botschafter in den USA und mittlerweile Südasien-Experte am Hudson Institute in Washington, sind seit Jahrzehnten andauernde Strukturprobleme der Grund für die wirtschaftliche Schieflage: "Die übliche Erklärung für Pakistans überschaubare Wirtschaftsleistung ist, dass die Reichtümer des Landes regelmäßig von korrupten Politikern und Bürokraten geplündert werden, wodurch es ärmer erscheint, als es ist." Doch die ökonomischen Probleme des südasiatischen Landes seien nicht nur damit zu erklären, so Haqqani.

Pakistan führt weiterhin mehr Waren und Dienstleistungen ein, als es exportiert. Eine Änderung ist nicht in Sicht, weil die Industrialisierung nach wie vor nur schleppend verläuft. Die Einnahmen sind entsprechend gering und das Land leidet unter chronischem Devisenmangel. Zudem hätten sich immer wieder Pakistans wechselnde politische Führer dafür entschieden, das Militär mithilfe von Krediten aus dem Ausland auszubauen. Wirtschaftliche Gesichtspunkte seien ignoriert worden, so Haqqanis Analyse.

Das war jedoch nicht immer so. Zunächst sei die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nach der Unabhängigkeit vor 75 Jahren solide gewesen, sagt der pakistanische Ökonom Kaiser Bengali. Doch nach der Öffnung der Wirtschaft für ausländische Investoren um das Jahr 2000 herum begannen Staatsausgaben und Importe die Steuereinnahmen und Exporte bei weitem zu übersteigen, wobei die Lücke durch ausländische Kredite geschlossen wurde, so Bengali: "Heute werden Kredite nur zur Rückzahlung früherer Kredite aufgenommen, aber keine mehr für Entwicklungsprojekte."

Militärparade in Islamabad, Pakistan, im März 2022 (Foto: Xinhua/picture-alliance)
Verzerrtes Verhältnis zwischen Militär und Zivilgesellschaft: Maleeha Lodhi, eine ehemalige pakistanische Diplomatin, spricht von einem "zyklischen Muster", bei dem Militärherrschaft und zivile Regierung sich abwechseln. Das habe zu einer Asymmetrie der Macht zwischen gewählten und nicht-gewählten Institutionen geführt. Der Washingtoner Experte Husain Haqqani meint, vier Militärdiktaturen und politische Manöver der Armee hinter den Kulissen hätten zu dieser Verzerrung geführt. "Die pakistanische Armeeführung hat zivilen Politikern nie zugetraut, im Sinne der Interessen des Landes zu handeln, und hat daher immer wieder eingegriffen", so Haqqani.

Politische Instabilität

Die Staatseinnahmen sanken, damit war auch weniger Geld für öffentliche Aufgaben vorhanden, was wiederum die politische Instabilität förderte. Außerdem seien jahrzehntelang Minderheiten und die breite Öffentlichkeit von der herrschenden Klasse an den Rand gedrängt worden, sagt die Bürgerrechtlerin Farzana Bari. Fortwährend hätten die Regierungen zu wenig für Bildung und das Gesundheitswesen getan.

Im April wurde Ministerpräsident Imran Khan nach drei Regierungsjahren durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt. Er stand unter anderem wegen der schlechten Wirtschaftslage in der Kritik. Der ehemalige Cricket-Star bezichtigte die Opposition, mit "ausländischen Mächten" unter einer Decke zu stecken und ihn mit Hilfe der USA gestürzt zu haben.

Khans Anhänger gingen daraufhin aus Protest auf die Straße. Der Ex-Premier gilt jetzt als destabilisierende politische Kraft. Khans Nachfolger, Shehbaz Sharif, hat mit einem zerrütteten Gemeinwesen und einer taumelnden Wirtschaft zu kämpfen.

Die Macht des Militärs

Imran Khan wurde beschuldigt, eine "Marionette" der Armee zu sein. Weiterer Vorwurf: Das Militär habe die Parlamentswahlen 2018 manipuliert, um Khans Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) an die Macht zu bringen - so die Behauptung. "Imran Khan ist das zivile Gesicht eines Militärstaates", sagte Tauseef Ahmed Khan, ein politischer Analyst aus Karatschi, in einem Deutsche Welle-Interview 2021.

Pakistans ehemaliger Premierminister Imran Khan, im April 2022 durch ein Misstrauensvotum gestürzt (Foto: AP Photo/picture-alliance)
Ziviles Gesicht eines von Militärs gesteuerten Staats? Im April 2022 wurde Ministerpräsident Imran Khan nach drei Regierungsjahren durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt. Er stand unter anderem wegen der schlechten Wirtschaftslage in der Kritik. Der ehemalige Cricket-Star bezichtigte die Opposition, mit "ausländischen Mächten" unter einer Decke zu stecken und ihn mit Hilfe der USA gestürzt zu haben. Die Opposition beschuldigte Khan, eine "Marionette" der Armee zu sein. Weiterer Vorwurf: Das Militär habe die Parlamentswahlen 2018 manipuliert, um Khans Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) an die Macht zu bringen - so die Behauptung.



Klar ist: Das Militär ist seit Jahrzehnten eine mächtige politische und wirtschaftliche Kraft in Pakistan. Mehrfach putschten sich in der Vergangenheit Generäle an die Macht. Bis heute üben Militärs einen beträchtlichen Einfluss auf zivile Institutionen aus. Das trägt dazu bei, dass führende Politiker von den Bürgern als korrupt wahrgenommen werden.

Die Rivalität mit dem Nachbarn im Süden

Maleeha Lodhi, eine ehemalige pakistanische Diplomatin, spricht von einem "zyklischen Muster", bei dem sich Militärherrschaft und zivile Regierung abwechseln. Das habe auch zu einer Asymmetrie der Macht zwischen gewählten und nicht-gewählten Institutionen geführt.

Der Washingtoner Experte Husain Haqqani nennt dies ein "verzerrtes Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Militär" zu dem vier Militärdiktaturen und politische Manöver der Armee hinter den Kulissen geführt hätten. "Die pakistanische Armeeführung hat zivilen Politikern nie zugetraut, im Sinne der Interessen des Landes zu handeln, und hat daher immer wieder eingegriffen", so Haqqani.

Ex-Diplomatin Lodhi sieht noch einen weiteren Grund für die aktuelle politische Misere: die geopolitischen Verwerfungen in der Region. Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien am 14. August 1947 konzentriert sich die Außenpolitik Pakistans auf Indien. Das nur einen Tag jüngere Nachbarland im Süden, das eine lange Kolonialgeschichte mit Pakistan teilt, gilt als Erzrivale.



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"Die pakistanische Außenpolitik und Diplomatie wurde von einem ideologiebasierten Paradigma bestimmt, in dessen Mittelpunkt die Gleichstellung mit dem größeren Nachbarn stand", sagt Husain Haqqani. Ängste um das Fortbestehen Pakistans, so Maleeha Lodhis Einschätzung, hätten politische Dynastien und Korruption hervorgebracht und den Aufstieg neuer Parteien verhindert.

Obwohl seit 1947 große Sprünge in der Entwicklung gemacht wurden, dürften die nächsten 75 Jahre wesentlich schwieriger werden. Neben wirtschaftlicher und politischer Instabilität hat Pakistan auch mit einem rasanten Bevölkerungswachstum und den immer schlimmeren Folgen des Klimawandels zu kämpfen.

"Pakistan hat in vielen Bereichen Fortschritte gemacht", resümiert Ex-Diplomatin Lodhi. Dazu gehört aus ihrer Sicht auch eine erfolgreiche Armutsbekämpfung. Die inzwischen viel größere Mittelschicht trage nun in vielerlei Hinsicht zum Fortschritt des Landes bei.

Bürgerrechtlerin Bari zeigt sich optimistisch, was die Zukunft ihres Landes angeht. Sie setzt auf Pakistans Jugend. Der jungen Generation traut Farzana Bari zu, eine stärkere Zivilgesellschaft zu schaffen und das Land auf einen "progressiven Weg" zu bringen.

Haroon Janjua

© Deutsche Welle 2022

Aus dem Englischen adaptiert von Arnd Riekmann.