Politisches Erdbeben im Hause Saud
Es war eine saudische Nacht der langen Messer, und ihre Folgen dürften dramatisch sein. Mit einer Verhaftungswelle in der Nacht zum vergangenen Sonntag versucht der junge saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, seine Macht im Land zu konsolidieren.
Saudi-Arabiens Fernsehsender Al-Arabiya bestätigt, dass die Behörden mindestens elf hochrangige Prinzen, vier amtierende Minister und Dutzende ehemalige Minister unter dem Vorwurf der Korruption verhaftet haben. Außerdem hat der Kronprinz den Chef der Nationalgarde, Prinz Mutaib bin Abdullah, entlassen.
Während der Verhaftungswelle war der Flughafen für private Maschinen gesperrt. Damit sollte offensichtlich verhindern werden, dass einige der Prinzen die Flucht antreten. Noch Samstagnacht wurde das Ritz Carlton Hotel in der Hauptstadt Riad geräumt. Es kursierten Gerüchte, dass die Prinzen dort unter Hausarrest gestellt werden sollen.
Reformer und machthungriger Hardliner
Kurz zuvor hatte Kronprinz Mohammed bin Salman ein neues Antikorruptionskomitee geschaffen, dem er selbst vorsteht. Dieses Komitee hat das Recht, jeden saudischen Staatsbürger zu überprüfen und zu verhaften, sein Guthaben einzufrieren und ihm ein Ausreiseverbot zu erteilen.
Aber bei dem, was gerade in Saudi-Arabien geschieht, geht es nur vordergründig um Korruptionsvorwürfe: Vielmehr will der erst in diesem Jahr ernannte Kronprinz anscheinend jegliche Konkurrenz und jegliche Opposition gegen seine Politik aus dem Weg räumen.
Viele der Verhafteten gelten als Kritiker seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen oder seiner aggressiven Außenpolitik. Innenpolitisch hat der Kronprinz in den letzten Monaten von sich reden gemacht, als er Frauen erlaubte, Auto zu fahren, und eine Direktive erließ, nach der Frauen nun Sportstadien besuchen dürfen. Außerdem plant er umfassende wirtschaftliche Reformen, wie etwa die Teilprivatisierung der staatlichen Ölfirma Aramco.
Aber das von ihm gern gepflegte Reformer-Image bildet nur einen Teil der Person Mohammed bin Salman ab: Außenpolitisch gilt der Kronprinz als absoluter Abenteurer und Hardliner. Er ist der Architekt des Krieges gegen den Jemen, der zu der größten gegenwärtigen humanitären Katastrophe geführt hat. Zudem hat er einen Streit mit dem Golfstaatennachbarn Qatar vom Zaun gebrochen – und gegenüber dem Iran ist er auf einen noch nie da gewesenen Konfrontationskurs eingeschwenkt.
Ein softer Coup des Kronprinzen
Das alles hat ihm im eigenen Land nicht nur Freunde verschafft. Viele begrüßen seine gesellschaftlichen Reformen und den Versuch, das Land unabhängiger von der Ölproduktion zu machen. Andere hingegen betrachten Mohammed bin Salmans märchenhaften Aufstieg misstrauisch und sehen ihn als einen machthungrigen und unerfahrenen Thronnachfolger.
Weil er das weiß, hat sich der Kronprinz nun vor möglichen unliebsamen Aktionen gegen ihn aus dem saudischen Sicherheitsapparat abgesichert. Mit der Entlassung von Mutaib bin Abdullah, dem Chef der Nationalgarde, hat er nun die saudische Prätorianergarde unter seine Kontrolle gebracht – ein softer Coup des Kronprinzen, um einen großen Coup gegen ihn zu verhindern.
Seit zwei Jahren hat er das Amt des Verteidigungsministers inne – seit Anfang 2017 ist er auch noch Innenminister. Den ehemaligen Chef des Inneren, Prinz Mohammed bin Najef, hat er damals geschasst und unter Hausarrest gestellt. Damit hat Bin Salman eine bisher in Saudi-Arabien noch nie gekannte Machtfülle in seiner Person versammelt.
Aber die Reaktion wird nicht ausbleiben. Unter den verhafteten Prinzen sind auch einige wirtschaftliche Schwergewichte, wie Walid Bin Talal, dessen Vermögen auf 36 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Über dessen Investitionsfirma Kingdom Holding besitzt er große Aktienanteile bei Citigroup, Four Seasons Hotels oder auch bei Twitter. Damit dürften die Schockwellen der saudischen Verhaftungswelle schnell in den internationalen Aktienmärkten ankommen.
Die zwei goldenen Regeln
Dass der Milliardär Walid bin Talal mit Rotana ein Medienimperium besitzt, mag auch eine Rolle für seine Verhaftung gespielt haben. Denn neben ihm wurden zwei weitere Prinzen und Medienmogule festgenommen, Walid al-Brahim (Middle East Broadcasting Center, MBC) und Saleh Kamel (ART). Der Kronprinz möchte bei den saudischen Medien offensichtlich nichts anbrennen lassen und für negative Schlagzeilen sorgen.
Die Ereignisse in Saudi-Arabien können wohl ohne Übertreibung als politisches Erdbeben bezeichnet werden. Sie stellen alles auf den Kopf, was bisher in dem Wüstenstaat als gesetzt galt. Bislang gab es zwei goldene Regeln für die Macht des dortigen Königshauses: Die erzkonservativen wahhabitischen Scheichs haben traditionell der Familie Saud den ideologisch-religiösen Überbau ihrer Macht geliefert. Diese Symbiose zwischen Religion und Macht ist nun beendet.
Gerade mit seinen Reformen für mehr Frauenrechte hat der Kronprinz mit zumindest einem Teil seines religiösen Establishments gebrochen. Dessen Vertreter üben sich noch in Schweigen, aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, dass sie zurückzuschlagen versuchen.
Der Kampf der eigenen Familie
Die zweite goldene Regel lautete bisher, dass es in Saudi-Arabien zwar einen König gibt, dieser aber in Wirklichkeit kein absoluter Herrscher ist. Die bisherigen Könige haben immer versucht, bei allen wichtigen Entscheidungen einen breiten Konsens in der Familie Saud zu finden.
Nun hat Mohammed bin Salman einem Teil der Familie Saud offen den Krieg erklärt. Das ist ein absolutes Novum in der Geschichte Saudi-Arabiens.
Der Kronprinz hat zahlreiche regionale Fronten eröffnet oder die Konfrontation verschärft: gegen den Iran, gegen den Nachbarn Qatar und gegen den südlichen Nachbarn Jemen. Damit hat der saudische Kronprinz erstmals das religiöse Establishment als einen der wichtigsten Unterstützer des Königshauses nicht mehr hinter sich.
Und nun hat er sich auch noch in den Kampf mit Teilen der eigenen Familie geworfen. Mit der politischen Säuberungsaktion im eigenen Land geht er ein sehr hohes Risiko ein. Es könnte sein, dass er sich in einer einzigen Nacht mehr Feinde geschaffen hat, als er verkraften kann.
Karim El-Gawhary
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