Kollisionen sind vorprogrammiert
"Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich" so heißt es in Artikel 4, Absatz eins des deutschen Grundgesetzes, gefolgt von dem Gebot "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet".
Als das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Bonn feierlich verkündet und unterzeichnet wurde, da erschien dies eine Selbstverständlichkeit und kaum jemand hätte sich damals vorstellen können, dass die Frage der Religionsfreiheit in Deutschland 55 Jahre später zu einem Diskussionsthema werden könnte.
Das ist sie aber geworden, nachdem die Zuwanderung nach Deutschland mit dem verbundenen "Religions-Import" dazu geführt hat, dass die Bevölkerung nicht mehr einfach in Protestanten und Katholiken und eine kleine Gruppe von Juden aufzuteilen ist. Sondern dass in Deutschland längst der Islam mit über 3 Millionen Anhängern zur drittgrößten Religionsgemeinschaft angewachsen ist.
Wer definiert, was Religion ist?
Diese Entwicklung ging einher mit der Erkenntnis, dass "Religion" nicht vom Pfarrer, Bischof oder dem Imam definiert wird, und erst recht nicht von staatlichen Institutionen. Religion ist weitgehend eine Frage des eigenen Selbstverständnisses.
In einer gesetzlich geordneten Gesellschaft aber bedarf es doch immer wieder allgemein gültiger und akzeptierter Definitionen. Über die Probleme im Umgang hiermit diskutierten auf Einladung der Evangelischen Akademie zu Berlin Vertreter der Kirchen und muslimischer Verbände in Deutschland.
Allen war klar, dass es nicht um eine Neudefinierung der Religionsfreiheit gehe, um die Rechte der Muslime in Deutschland in irgendeiner Weise zu beschneiden. Aber es zeige sich im deutschen Alltag doch immer wieder, dass gerade im Umgang mit dem Islam Kollisionen vorprogrammiert sind.
Immer dann nämlich, wenn das Verfassungsrecht der Religionsfreiheit mit anderen Gesetzen kollidiere. Etwa, wenn die Teilnahme von muslimischen Mädchen am Sport- oder Schwimmunterricht Pflicht sei, von Eltern aber aus religiösen Gründen verhindert werde. Oder in der viel diskutierten Frage des Kopftuches oder wenn das rituelle Schlachten gegen bestehende Tierschutzgesetze verstoße.
Die Freiheit anderer darf nicht eingeschränkt werden
Grundsätzlich müsse in solchen Fragen das demokratische Prinzip gelten: Die Freiheit des Individuums hat ihre Grenzen, wo sie die Freiheit anderer einzuschränken beginnt. Wie aber verträgt sich das mit der verfassungsmäßig gebotenen Toleranz gegenüber anderen Religionen?
Prof. Ali Bardakoglu, Vorsitzender des Präsidiums für Religionsangelegenheiten in der Türkei, plädierte dafür, dass andere Religionen auch ihren Lebensraum haben müssten. Obwohl jede Religion sich natürlich als die "allein wahre Religion" betrachte.
Es gebe jedoch Wahrheiten, die nicht diskutiert werden dürften und genau so gebe es Bereiche, die ausgelegt werden müssten in den Religionen, so Prof. Bardakoglu: "Die grundsätzlichen Glaubensartikel und die Art und Weise, wie man den Gottesdienst praktiziert, sind die Punkte, über die die Anhänger der Religionen übereinstimmen. Wie man sie praktiziert und in die Tat umsetzt – hierüber kann man natürlich mehr diskutieren."
Menschen sollten ihre Religion kennen
Wesentliche Quelle der Religion sei das Wissen, meint der Chef der türkischen Religionsbehörde. Deswegen sei es sehr wichtig, dass die Menschen korrekt über ihre eigenen Religionen informiert und unterrichtet würden. Das, so meint er, sei im Fall der Muslime in Deutschland bisher noch nicht der Fall. Die Türkei sei gerne bereit, mit Religionslehrern auszuhelfen.
Grundsätzlich sei daran nichts auszusetzen, meint Oberkirchenrat Burkhard Guntau, Leiter der Rechtsabteilung der Evangelischen Kirche Deutschlands:
"Ich halte die Zusammenarbeit für ausgesprochen wichtig. Man muss sich zunächst einmal auf islamischer Seite darüber klar werden, dass religiöse Bildung zur Gesamt-Persönlichkeitsbildung des Menschen dazu gehört. Und dass man deswegen die religiöse Bildung nicht außerhalb der Schule – allein – sondern auch in der Schule mit betreiben muss.
"Hier muss man sehen, dass im Endeffekt der Staat darauf angewiesen ist – was die Lehrinhalte anbelangt – was die Glaubensgemeinschaft zu ihren Glaubensinhalten rechnet. Dabei ist sie nach der Verfassung darauf angewiesen, dass die Glaubensgemeinschaft in Deutschland ihr diese Vorgaben erläutert und sie festlegt. Das kann der türkische Staat selber so nicht."
Dennoch werde man Übergangsmodelle finden müssen, um dem Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf entsprechenden Unterricht zu genügen, und als Übergangslösung sei auch eine Zusammenarbeit mit der Türkei denkbar. Wobei allerdings fest stehe, dass der Unterricht- weil in Deutschland – auch in deutscher Sprache gehalten werde.
Kirche spielt wichtige Rolle bei Integration
Die Frage des muslimischen Religionsunterrichts ist nur ein – nicht unwichtiges - Beispiel des Zusammenlebens der Religionsgemeinschaften in Deutschland und natürlich auch der Integration von muslimischen Einwanderern in diesem Land.
Dr. Klaus Lefringhausen ist der Integrationsbeauftragte des bevölkerungsstärksten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, und er sieht hierbei eine sehr wichtige Rolle der Kirche: Diese müsse die Gesellschaft öffnen für eine bessere Integration und zukünftige Mitverantwortung von Migranten.
Die Zuwanderer sollten "nicht nur mit ihren Defiziten wahrgenommen werden, sondern sie sollen eingeladen sein, ihre Kompetenz bei der Lösung von Zukunftsaufgaben dieser Gesellschaft einzubringen". Dass viele dieser Zuwanderer inzwischen Muslime sind in Deutschland, sei dabei von sekundärer Bedeutung:
"Das muss nicht hinderlich sein. Wenn es um Kooperation geht, wird ja der Verdacht dieser religiösen Horizontverschmelzung oder der 'Esperanto-Religion' nicht aktuell, sondern ein rein kooperatives Verhältnis könnten die Religionen durchaus völlig unbefangen und verdächtigungsfrei miteinander eingehen."
Peter Philipp
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