Zielscheibe von Hass und Intoleranz
Seit die pakistanischen Christen durch die beiden Bombenanschläge Mitte März auf Kirchen im Vorort Youhanabad der Stadt Lahore in den Fokus gerückt sind, lebt diese Minderheit zunehmend in Furcht vor Verfolgung. Das Attentat, bei dem 14 Menschen getötet und 80 weitere verletzt wurden, löste in der Folge eine Reihe von Krawallen aus, bei denen zwei Muslime als mutmaßliche Mittäter gelyncht wurden. Die beiden Männer wurden von der aufgebrachten Menge lebendig verbrannt. Damit hat die christliche Gemeinschaft in Pakistan erstmals gewaltsam Vergeltung geübt.
Anfang Mai nahm ein Richter am Gericht III für Terrorismusbekämpfung in Lahore 47 Christen in Untersuchungshaft. Die Polizei von Lahore soll zudem bei den Medien Videoaufnahmen der Vorfälle zur Identifizierung der Täter beschlagnahmt haben. Aus gut unterrichteten Kreisen wurde bekannt, dass die Polizei Hunderte pakistanischer Christen zur Erpressung von Geständnissen festgesetzt hat. Unter dem Deckmantel fortlaufender Ermittlungen ist die Minderheit zur Zielscheibe von Schikanen geworden.
Wilson Chowdhry, Vorsitzender der "British Pakistani Association", gab im Gespräch mit Qantara.de an, dass mehr als 300 Christen vermisst werden, die von der Polizei im Rahmen von Ermittlungen festgenommen wurden. "30 Jungen wurden letztlich ohne Anklageerhebung freigelassen. Sie berichteten von schwerer Polizeigewalt – unter anderem von Hungerfolter." Vor die Wahl gestellt, festgenommen zu werden oder die sogenannte "Dschizya"-Steuer zu zahlen, verlassen laut Chowdhry die Menschen in Youhanabad scharenweise ihre Wohnungen. Nach Berichten Betroffener presst die Polizei diese Steuer wehrlosen Nichtmuslimen als Schutzgeld ab.
Aus Glaubensgründen marginalisiert
Akhtar Baloch, Mitglied der pakistanischen Menschenrechtskommission, erläuterte gegenüber Qantara.de, dass sich derzeit alle konfessionellen Minderheiten in Pakistan in einer heiklen Lage befänden. "Zahlreiche Christen und Hindus sind bereits aufgrund der für sie kritischen Situation aus dem Land geflohen", so Baloch.
Der jüngste Lynchmord an zwei Muslimen hat die muslimische Mehrheit des Landes weiter gegen die schon zuvor diskriminierte christliche Minderheit aufgebracht. "Viele Schaulustige haben die Lynchmorde sogar mit ihren Mobiltelefonen gefilmt und auf sozialen Medien veröffentlicht. Die Filme verbreiteten sich in einem bereits polarisierten Umfeld, was die Lage weiter verschärft hat."
Chowdhry verweist darauf, dass sich das Land offiziell Islamische Republik Pakistan nennt. Dadurch seien Menschen anderer Konfessionen bereits kraft Verfassung benachteiligt. "Christen sind nach dem Gesetz schlechter gestellt. Die antichristliche Stimmung polarisiert die Gesellschaft. Sie werden in Pakistan zunehmend zur Zielscheibe von Hass und Intoleranz. Konservative Kräfte und eine extreme Islamauslegung haben das Land in ihre Gewalt genommen", so Chowdhrys Einschätzung.
Abida Fatima, Sozialarbeiterin einer renommierten gemeinnützigen christlichen Gesellschaft, untersucht zurzeit die Notlage von Christen in dem Vorort von Lahore. Gegenüber Qantara.de berichtet sie von Kirchenbesuchern, denen nach dem Bombenattentat eine angemessene medizinische Versorgung verwehrt wurde. Zudem sei eine Reihe von Christen von ihren muslimischen Arbeitgebern entlassen worden.
In Pakistan haben es Christen nicht leicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als einfache Arbeiter gehören sie zum großen Teil zu den ärmsten Schichten der Gesellschaft. Chowdhry berichtete im Gespräch mit Qantara.de, dass Christen in Pakistan bei der Stellensuche und im Bildungswesen häufig diskriminiert werden. "86 Prozent der Christen arbeiten als Kloakenreiniger, Hausbedienstete oder in Schuldknechtschaft. Generationen von Familien sind im Schuldenkreislauf gefangen."
Opfer religiöser Gewalt
Zudem erschweren die Blasphemiegesetze des Landes den Christen das Leben in Pakistan. Untersuchungen der United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) und von Human Rights Watch (HRW) weisen für Pakistan eine alarmierend hohe Zahl von Opfern religiöser Gewalt aus.
Mit Blasphemievorwürfen schürt der örtliche Klerus leichtfertig gewalttätige Übergriffe. 2009 brannte ein fanatisierter Mob mehr als 70 Häuser von Christen in der Stadt Gujrat in der Provinz Punjab nieder, nachdem Gerüchte aufkamen, ein Exemplar des Koran sei entweiht worden.
Im September 2013 wurden bei einem gewaltsamen Angriff auf Kirchenbesucher der Allerheiligenkirche in Peschawar 82 Menschen getötet und über 100 verletzt. Und im November 2014 wurden eine schwangere Frau und ihr Ehemann wegen angeblicher Entweihung des Koran lebendig verbrannt. Im März dieses Jahres schlugen zwei muslimische Männer einen 15-jährigen Jungen zusammen und zündeten ihn an. Sein angebliches "Verbrechen": Er hatte ehrlich zugegeben, Christ zu sein.
Asia Bibi, eine pakistanische Christin und Mutter von fünf Kindern, wurde wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Das kürzlich bestätigte Urteil löste internationale Kritik an der Gesetzeslage in Pakistan aus. Derzeit warten 14 Menschen in Pakistan auf die Vollstreckung des Todesurteils wegen Blasphemie. "Bislang wurde noch kein Todesurteil gegen Christen wegen Verstoßes gegen das Blasphemiegesetz vollstreckt", so Chowdhry. "Doch wer freikommt, riskiert, gelyncht zu werden."
"Die Blasphemiegesetze müssen aufgehoben werden", fordert Dr. Katrina Lantos Swett von USCIRF. Sie räumt allerdings ein, dass dies angesichts des aktuellen politischen Klimas wohl kaum Aussicht auf Erfolg haben wird. Auf ihrer letzten Pakistanreise traf Dr. Swett mit führenden Minderheitenvertretern zusammen und stellte fest, dass sich viele Menschen vor den Blasphemiegesetzen fürchten. Bislang werden Personen nicht belangt, die die Gesetze zur Begleichung persönlicher Rechnungen missbrauchen.
Vertreter der USCIRF drängen die pakistanische Regierung zur Reformierung der Blasphemiegesetze. "Das Blasphemiegesetz muss eine Bestrafung derjenigen vorsehen, die falsche Beschuldigungen vorbringen", erklärte sie gegenüber Qantara.de.
Den öffentlichen Diskurs ändern
Swett und Chowdhry sind davon überzeugt, dass sich der öffentliche Diskurs des Landes dringend ändern muss.
Nach Auffassung von Chowdhry sollte die Verfassung von Pakistan die Vision seines Gründers Mohammed Ali Jinnah widerspiegeln: "Jinnah wollte einen säkularen Staat. Dort sollten Menschen aller Konfessionen gleichberechtigt zusammenleben. Die Regierung muss daher den Islam als Staatsreligion abschaffen und so die Tür für eine echte Gleichstellung öffnen."
Auch die Bestimmung in der Verfassung, wonach nur Muslime Premierminister werden können, müsse abgeschafft werden. Dies wäre für die Minderheiten ein Signal der Anerkennung und gesellschaftlichen Gleichstellung.
Dr. Katrina Lantos Swett kann sich bestimmte Änderungen vorstellen, die von einer öffentlichen, landesweiten Informationskampagne der Regierung Pakistans flankiert werden. Hiermit solle die historische Rolle religiöser Minderheiten im Land unterstrichen und deren Beitrag zum Aufbau des Landes gewürdigt werden.
"Die Jugend des Landes muss daran erinnert werden, dass der weiße Streifen in der pakistanischen Flagge für religiöse Minderheiten steht und ein Symbol für das Bekenntnis zur Gleichheit ist, während das Grün den Islam und somit die Mehrheit der Muslime in Pakistan repräsentiert", meint sie.
Roma Rajpal Weiss
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers