Bevölkerung und USA üben Druck aus
Rücktritt der libanesischen Regierung, Wahlen im Irak und Palästina, freie Präsidentschaftswahlen in Ägypten - sind dies Anzeichen für eine Demokratisierung der arabischen Welt? Ein Kommentar von Peter Philipp
Die prosyrische Regierung in Beirut ist unter dem Druck der Strasse zurückgetreten und Zehntausende libanesischer Demonstranten könnten erreichen, was der Supermacht USA nicht gelingen wollte: Damaskus zum Rückzug aus dem Nachbarland zu bewegen, das von den Betonköpfen der syrischen "Baath"-Führung immer noch als Teil Großsyriens betrachtet wird.
In Damaskus selbst werden gleichzeitig die Daumenschrauben angezogen bei liberalen Intellektuellen, die jedoch keine Bereitschaft zeigen, in die düsteren Tage der Unfreiheit unter Hafez el Assad zurückzukehren, dem Vater des jetzigen Präsidenten.
Sie haben Morgenluft geatmet nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Gängelung und sie möchten denen nacheifern, die in letzter Zeit neue Hoffnung in der Arabischen Welt erweckt haben.
Es ist dies die Hoffnung auf langsame Demokratisierung. Nicht auf einen Umsturz – solche haben nie wirklich Veränderung gebracht – sondern auf eine langsame Aushöhlung der scheinbar so gefestigten Machtpositionen der etablierten Herrscher.
Nicht nur in Beirut und – ansatzweise – in Damaskus beginnen die Menschen zu spüren, dass sie ihrem bisherigen Schicksal nicht hilflos ausgeliefert sind:
Die Palästinenser haben nach dem Tod Yassir Arafats frei für Mahmud Abbas und den Kurswechsel gestimmt, im Irak trotzte man dem Druck der Terroristen und wählte ein Übergangsparlament, in Saudi-Arabien beginnt jetzt die zweite Runde der begrenzten, aber immerhin ersten Gemeinderatswahlen und in Ägypten hat der alternde Präsident Mubarak Wahlen angekündigt, bei denen Gegenkandidaten erlaubt sein sollen.
Zugegeben, es sind dies erste und manchmal auch bescheidene Schritte. Aber es bewegt sich etwas. Beginnen womöglich doch die Steine nach der Bush’schen Dominotheorie für eine Demokratisierung der Arabischen Welt zu fallen?
Oberflächlich betrachtet könnte man das so interpretieren, und in Washington wird man das sicher auch tun. Nicht der Irakkrieg aber bringt der arabischen Welt solche Fortschritte, sondern die arabische Bevölkerung tut dies selbst. Sie beginnt zu verstehen, dass sie oft gar nicht Opfer fremder Mächte war, sondern der eigenen Despoten, die ihr dies nur einzutrichtern verstanden.
Ein wichtiges Hilfsmittel, zu dieser Erkenntnis zu gelangen, war die Einführung freier und grenzüberschreitender elektronischer Medien in arabischer Sprache vor gut zehn Jahren:
Dem Zugriff der regionalen Herrscher entronnen, konnten Sender wie "Al Jazeera" und eine Handvoll inzwischen angetretener Konkurrenten ein neues Bild der Welt vermitteln und ein neues Selbstbewusstsein bilden. In Konkurrenz freilich auch zu den Demagogen, die weiterhin am "Kampf der Kulturen" stricken und für diesen bomben und töten.
Erkenntnis und Drang nach mehr Freiheit werden aber immer stärker, und absolutistische Herrscher müssen nachgeben, um an der Macht bleiben zu können. Denn warum sollte in arabischen Hauptstädten nicht funktionieren, was in Kiew oder anderswo gewaltlose Veränderung brachte? Washington hat diesen Prozess nicht ausgelöst, sondern bestenfalls etwas beschleunigt.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005