Hinter den Mauern von Van

Der kurdische Journalist Nedim Türfent ist seit 2016 inhaftiert, nachdem er über Polizeigewalt in den kurdisch geprägten Regionen der Türkei berichtet hat.ison in Turkey since 2016 – because he reported on police violence
Der kurdische Journalist Nedim Türfent ist seit 2016 inhaftiert, nachdem er über Polizeigewalt in den kurdisch geprägten Regionen der Türkei berichtet hat.ison in Turkey since 2016 – because he reported on police violence

Seit 2016 sitzt der kurdische Journalist Nedim Türfent in der türkischen Stadt Van in Haft, weil er über Polizeigewalt berichtet hat. Nun ist eine Sammlung seiner im Gefängnis entstandenen Texte auf Deutsch erschienen. Gerrit Wustmann hat das Buch für Qantara.de gelesen.

Von Gerrit Wustmann

"Wir habe uns über die Nachricht, dass Nedim verhaftet wurde, gefreut“, schreibt Abdurrahman Gök, Redakteur bei der Nachrichtenagentur Mesopotamia. Er ist nicht der einzige. Auch Nedim Türfents Schwester Şehristan Türfent äußerte sich ähnlich, andere schrieben ihm genau das, als er bereits im Hochsicherheitsgefängnis in Van in Einzelhaft saß. Es ist eine bittere, eine vergiftete "Freude“, denn, so Gök weiter: "Wir hatten seine Ermordung befürchtet. Wir waren dankbar dafür, dass er nicht ermordet, sondern gefangen genommen worden ist.“

Nedim Türfent wurde 1990 in Yüksekova geboren. Er studierte Englisch auf Lehramt, war stets ein eifriger Leser und schon als Teenager einer, der gegen jede Art von Unrecht und Ungerechtigkeit aufbegehrt hat. 2012 stieg er in den Journalismus ein, als Redakteur der englischsprachigen Nachrichten bei der unabhängigen Nachrichtenagentur Dicle Haber Ajansı (DIHA). Er wollte für die Welt über die Situation der Kurden berichten, und als der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan nach der Wahlschlappe 2015 den von ihm selbst mit angestoßenen türkisch-kurdischen Friedensprozess aufkündigte und die Städte im kurdisch geprägten Südosten des Landes mit roher militärischer Gewalt überzog, ging Türfent dort hin. Er wollte sich ein Bild von der Lage machen und über das schreiben, was er sah. Mit anderen Worten: Er wollte seinen Job als Journalist machen.

"Jetzt werdet ihr die Macht der Türken spüren!“

In Yüksekova herrschte zu dem Zeitpunkt eine Ausgangssperre. Nedim Türfent publizierte ein Video, auf dem zu sehen ist, wie eine Spezialeinheit der Polizei eine Gruppe Bauarbeiter misshandelt. Den Männern werden Handschellen angelegt, sie liegen auf dem Boden, die Polizisten stehen über ihnen und höhnen: "Jetzt werdet ihr die Macht der Türken spüren!“ Dieses Zitat wurde zur Headline von Türfents Video-Beitrag.

Cover von Nedim Turfents "Über Mauern. Gedichte und Texte eines Journalisten im Gefängnis", im Eigenverlag veröffentlicht von den Amnesty-Aktivistinnen Cornelia Rohr und Bernadette Ronnes
Schmal, aber gewichtig: Der Band zeichnet ein recht genaues Bild von Türfent, seiner Arbeit und der Reaktion eines Staates, der jegliche Kritik zum Verstummen bringen will, egal wie absurd die Lügen sind, die er dafür vorbringen muss. Begleitet werden die Gedichte und Kolumnen Türfents sowie die Texte seiner Weggefährten von seinen Fotos und von Bildern, die die Zerstörung in Yüksekova und an anderen Orten zeigen. Es sind genau jene Bilder, die die türkische Staatsanwaltschaft verhindern wollte. Nedim Türfent ist Journalist geblieben, auch hinter Mauern. Er hat sich nicht selbst zensiert. Dafür ist dieses Buch ein Statement – ein wichtiges.



In den Monaten nach der Publikation des Videos wurde Türfent immer wieder bedroht. Von Twitter-Accounts aus, die, so Türfent, zur JITEM gehörten, der geheimdienstlichen Terrorabwehr der Gendarmerie, erhielt er Todesdrohungen.

Türfent ist dabei kein Einzelfall. Wer sich in der Türkei, oder auch im Ausland, kritisch über das AKP-Regime äußert oder insbesondere die Unterdrückung der Kurden thematisiert, kennt diese Art von Drohungen. Ob sie tatsächlich von staatlichen Accounts oder eher von Online-Trollen ausgehen, spielt dabei kaum eine Rolle.



Es geht um eine Atmosphäre der Einschüchterung. Im Mai 2016 wurde Nedim Türfent in Van, Hauptstadt der gleichnamigen türkischen Provinz, festgenommen. Wenige Monate später wurde die Nachrichtenagentur DIHA verboten, wie so viele andere kritische Medien auch.

Es sollte sich zeigen, dass die Befürchtungen von Türfents Freunden und Kollegen, man könnte ihn ermorden, nicht unbegründet waren. Sein Kollege Ziya Ataman, ebenfalls von der Nachrichtenagentur DIHA und ebenfalls 2016 inhaftiert, berichtet, wie Nedim Türfent bei seiner Festnahme getreten und mit Gewehrkolben geschlagen wurde.



Ataman war Augenzeuge, dass man ihm eine schwarze Tüte über den Kopf zog und in die Luft schoss, und er zitiert, was Türfent später sagte: "Es gab eine Diskussion darüber, ob man mich töten sollte oder nicht. Das war mir bewusst. Ich konnte ein wenig durch die Tüte sehen, wenn auch sehr undeutlich. Dann kam ein letzter Anruf und die Dinge änderten sich.“

Internationaler Druck

Dass Nedim Türfent mit dem Leben davonkam, so Ataman, habe auch am massiven internationalen öffentlichen Druck gelegen und der Solidarität mit denjenigen, die unter die Räder des Regimes gekommen sind. Ein weiteres Zeichen eben dieser Solidarität ist auch, dass nun unter dem Titel "Über Mauern. Gedichte und Texte eines Journalisten im Gefängnis“ (Selbstverlag 2022) ein Band mit Texten erschienen ist, die Türfent seither verfasst hat und die ins Deutsche übersetzt wurden.



Der Band enthält Gedichte sowie Kolumnen, die er für die inzwischen leider eingestellte taz.gazete geschrieben hat. Herausgegeben haben die Amnesty-Aktivistinnen Cornelia Rohr und Bernadette Ronnes das Buch im Selbstverlag, die Einnahmen aus dem Verkauf sollen Türfent zugute kommen. Übersetzt haben Sabine Adatepe und Çiler Fırtına.

Begleitet werden Türfents eigene Beiträge von denen seiner Kolleginnen und Kollegen: Barış Altıntaş, Hüseyin Akyol, Meltem Oktay, Abdurrahman Gök und weiteren. Es sind Weggefährten, Journalisten, viele von ihnen standen oder stehen selbst unter Druck, wurden oder werden vom türkischen Staat verfolgt. Dazu passen Türfents lakonische Verse: "unausweichlich / werden mauern der angst errichtet / auf dem verbrannten rücken / meines nackten horizonts“.



Die ganze Verzweiflung über die Willkür, der ihr Autor ausgesetzt ist, spricht daraus, aber auch ein unbändiger Wille zur Hoffnung, eine Weigerung, sich brechen zu lassen angesichts der Tatsache, dass er die besten Jahre seines Lebens in einer Isolationszelle verbringen muss: "in meiner zelle von drei schritt / und fünf atemzügen / sind die vorhänge am fenster aus eisen / einbetoniert die pritsche / eiskalt / pechschwarze stille ringsum.“

Ein grotesker Schauprozess

Mehr als ein Jahr saß Türfent in Untersuchungshaft, bevor der Schauprozess gegen ihn begann, der so sehr den Prozessen gegen die vielen anderen Journalisten ähnelt, die seit 2016 dasselbe Schicksal ereilt hat, hunderte waren es. Die "Beweise“ gegen ihn bestanden zum einen aus den Artikeln, die er geschrieben hat, zum anderen aus Zeugenaussagen, die, so stellte sich im Laufe des Prozesses heraus, unter Folter oder der Androhung von Folter erzwungen worden waren.

Einige der vermeintlichen Zeugen sagten später, dass sie Türfent nie begegnet seien. Man warf ihm "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ vor, ein Standardvorwurf gegen Journalisten in der Türkei. Beweise dafür, dass er tatsächlich irgendetwas Illegales getan hatte, konnte die Staatsanwaltschaft nicht vorlegen. Ihre wackelige Argumentation wurde von Türfents Verteidigung zerlegt. Der Richter ignorierte all das, sprach den Angeklagten schuldig und verurteilte ihn zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis. Eine Farce.

Das schmale Buch zeichnet ein recht genaues Bild von Türfent, seiner Arbeit und der Reaktion eines Staates, der jegliche Kritik zum Verstummen bringen will, egal wie absurd die Lügen sind, die er dafür vorbringen muss. Begleitet werden seine Gedichte und Kolumnen sowie die Texte seiner Weggefährten von Fotos von Nedim Türfent und von Bildern, die die Zerstörung in Yüksekova und an anderen Orten zeigen.



Es sind genau jene Bilder, die die türkische Staatsanwaltschaft verhindern wollte. Nedim Türfent ist Journalist geblieben, auch hinter Mauern. Er hat sich nicht selbst zensiert. Dafür ist dieses Buch ein Statement – ein wichtiges.

Gerrit Wustmann

© Qantara.de 2022