Mohammed bin Salman: Vom Darling zum Paria?
Es steht geschrieben, schwarz auf weiß, versehen mit dem Stempel der CIA: Der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman wird in einem Bericht der US-Geheimdienstes bezichtigt, den Mord an dem saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi abgesegnet zu haben. Kurz darauf verhängten die USA ein Einreiseverbot gegen 76 saudische Staatsbürger, die an der Bedrohung von Dissidenten im Ausland beteiligt wären. Khashoggi war am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul von einem Spezialkommando aus Saudi-Arabien getötet worden.
Viele Details aus dem CIA-Bericht waren bereits zuvor bekannt geworden. Dennoch hat es eine neue Qualität, dass der saudische Kronprinz mit der Veröffentlichung des Berichts von Washington öffentlich und offiziell zum internationalen Paria erklärt wird.
Da ist es nicht so entscheidend, dass MBS, wie der saudische Kronprinz auch genannt wird, namentlich nicht auf der Liste der saudischen Staatsbürger steht, die nun offiziell nicht in die USA einreisen dürfen. Es ist eine demonstrative öffentliche und internationale politische Isolierung des Kronprinzen.
Kommt Biden am saudischen Kronprinzen vorbei?
Das wirft viele Fragen danach auf, wie es jetzt nicht nur im Verhältnis zwischen den USA und Saudi-Arabien weitergeht. Auch die Europäer könnten US-Präsident Joe Biden kaum nachstehen, nachdem dieser erklärt hat, dass sein zukünftiger Gesprächspartner in Saudi-Arabien nur noch der greise König Salman ibn Abd Al-Aziz selbst sei. Welcher Staatschef möchte sich jetzt noch mit MBS ablichten lassen?
Wenn es denn so einfach wäre. Denn jeder weiß, wer mit Saudi-Arabien politisch kooperieren und wirtschaftlich ins Milliarden-Geschäft kommen will, der kommt an Mohammed bin Salman im Moment kaum vorbei. Denn es ist der 35jährige Kronprinz, nicht der saudische König, der seit Jahren de facto das ölreiche Land regiert.
Es gibt da eine schöne Anekdote, die bei einem der Besuche des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama im saudischen Königspalast 2016 spielt, und das Verhältnis von König und Kronprinz gut beschreibt. Obama saß damals dem König Salman ibn Abd Al-Aziz gegenüber. Ein paar Sessel weiter links saß der scheinbar unbeteiligte Kronprinz mit seinem iPad. Immer wenn Obama dem damals 80jährigen König eine Frage stellte, zögerte der mit seiner Antwort, während MBS eifrig auf seinem Tablett schrieb. Sobald dieser fertig war, blickte der alte König von seinem iPad auf und antwortete Obama.
Der König hat schon vor Jahren die Regierungsgeschäfte an seinen Sohn übergeben. Er erfüllt seine Funktion nur noch nach außen hin. Insofern ist Bidens neue Linie, in Zukunft nur mit dem König zu sprechen, keine echte Lösung, um Kronprinz Mohammed bin Salman zu umgehen. Das wissen beide Seiten.
Aber was bedeutet dann die Ankündigung Bidens, den Kronprinzen aus den zukünftigen US-Beziehungen auszuklammern? Ist das nur Rhetorik, die von den faktischen Machtverhältnissen in Saudi-Arabien schnell überholt werden wird? Oder geht Bidens neue Politik sogar weiter und er fordert hinter den Kulissen von der Königsfamilie Saud, einen neuen Kronprinzen aus dem Hut zu ziehen?
Auch diese Variante würde aber mehr Fragen als Antworten bedeuten. Hat ein US-Präsident Saudi-Arabien tatsächlich so im Griff, dass er einen derart radikalen Schwenk in dem Land durchsetzen kann?
Die Familie Saud weiß sehr genau, dass ihre Sicherheit vom militärischen Schutz der USA abhängig ist. Aber hat die Familie Saud die Macht, sich tatsächlich gegen den im Königreich allmächtigen Mohammed bin Salman zu entscheiden? Schließlich hat der Kronprinz in den letzten Jahren zahlreiche interne Widersacher aus dem Weg geräumt. Andererseits hat er sich in dieser Zeit auch viele Feinde im eigenen Land gemacht, die auf ihre Chance lauern und jetzt Rückenwind aus Washington wittern. Das alles gleicht aber einem arabischen Kaffeesatzlesen, so wie bei der einstigen Kreml-Astrologie in der Sowjetunion. So wie die damaligen Kreml-Beobachter gibt es heute die „Königshaus Saud“-Watcher. Ob diese mit ihren jeweiligen Einschätzungen aber wirklich Recht haben, weiß niemand.
Mohammed bin Salman hat noch Trümphe in der Hand
Und Mohammed bin Salman selbst? Der mächtige Kronprinz wird zunächst versuchen, das Ganze auszusitzen und abwarten, bis der Sturm und die Medienkarawane vorüberziehen und sich wieder anderen Schlagzeilen zuwenden. Der saudische Kronprinz hat auch noch einige Asse im Ärmel. Dazu gehören nicht nur Öl und Milliardenaufträge mit der US-Waffenindustrie. Er weiß auch, dass er als Partner gebraucht wird, um den unseligen Krieg im Jemen zu beenden. Und dann gibt es noch seine größte Trumpfkarte: Bin Salman könnte ankündigen, den Vereinigten Arabischen Emiraten zu folgen und diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. In der Hoffnung, dass er sich dann über Nacht vom Paria in einen westlichen Darling verwandeln und den Mord an Khashoggi vergessen machen könnte. Es ist eine Trumpfkarte, die er wegen des zu erwartenden internen Widerstands im Königreich aber nicht so leicht ausspielen kann.
Was immer in den nächsten Wochen und Monaten geschehen wird, die anderen arabischen Autokraten werden es sehr genau beobachten. Auf der Liste der saudischen Bürger, die mit einem US-Einreiseverbot belegt wurden, stehen nicht nur Personen, die laut CIA mit dem Mord an Khashoggi in Verbindung gebracht werden. Es sind auch Persönlichkeiten darunter, die gegen andere Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten in Saudi-Arabien vorgegangen sind. Es ist eine Liste, die Washington auch für viele andere arabische Regime aufstellen könnte, und die so manchem arabischen Verantwortlichen für die Verletzung von Menschenrechten jetzt wahrscheinlich den Schlaf raubt.
Die Zeiten, in denen Donald Trump den arabischen Autokraten einen Freifahrtschein für ihre Menschenrechtsverletzungen gegeben und einige von ihnen öffentlich zu seine „Lieblingsdiktatoren“ erklärt hat, sind vorbei. Offen bleibt dabei, ob Joe Biden nur seinen Ton ihnen gegenüber verändert hat und sie verbal hier und da bloßstellt oder ob er seinen Worten Taten folgen lässt.
Denn die Petrodollars vom Golf haben schon so manchen US-Präsidenten gegenüber arabischen Autokraten milde gestimmt und etliche Unstimmigkeiten wurden mit Geld zugekleistert.
Und die arabischen Autokratien selbst? Sie waren schon immer beides: äußerst fragil und unglaublich zäh zugleich.
© Qantara.de 2021