Trau, schau, wem
In der Außenpolitik kommt es auf jedes Wort an, und deshalb ist manchmal besonders aufschlussreich, welche Worte in einem bestimmten Kontext nicht fallen. Das gilt auch für die gegenwärtige Situation in Libyen: Genau eine Woche nachdem der libysche General Khalifa Haftar militärisch Kurs auf den Sitz der international anerkannten Einheitsregierung nahm, veröffentlichte die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini ihre erste Erklärung zu dessen Vormarsch. Darin nannte sie die Attacken der "Libyschen Nationalen Armee" (LNA) des Generals eine Gefahr für die Menschen im Lande sowie für den von den Vereinten Nationen moderierten Friedensprozess. Mogherini rief alle Beteiligten zu einer Waffenruhe auf, den Namen Khalifa Haftar vermied sie jedoch geflissentlich in ihrer Rede.
Zahlreiche Berichte lassen kaum Zweifel daran, weshalb Haftar nicht namentlich in dem Dokument auftaucht: Frankreich soll hinter den Kulissen agiert und die Namensnennung verhindert haben. Der frühere Armeegeneral ist politisch umstritten. Haftar war maßgeblich für die Spaltung Libyens seit dem Bürgerkrieg 2014 verantwortlich, weil er mit seiner in der östlichen Küstenstadt Tobruk stationierten LNA die Einheitsregierung in Tripolis die Anerkennung verweigerte.
Die LNA - und damit Haftar - war staatlich nicht legitimiert - allerdings verhalf 2017 der neue französische Präsident Emmanuel Macron dem Warlord zu einer diplomatischen Aufwertung: Im Bemühen, den Konflikt in Libyen zu lösen, lud Macron die beiden rivalisierenden Machthaber nach paris ein und führte mit beiden auch vertrauliche Gespräche.
Und Macron konnte damals einen für ihn wichtigen Erfolg vermelden: Al-Sarradsch und Haftar erklärten sich mit landesweiten Neuwahlen in Libyen einverstanden. Dazu ist es bislang jedoch nicht gekommen. Frankreich hat eine besondere Verantwortung, weil es die treibende Kraft hinter der Militärintervention von 2011 war. Das Bombardement der von Frankreich angeführten Koalition führte zum Sturz des libyschen Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi und letztlich auch zu dem heutigen Machtvakuum in dem nordafrikanischen Land.
Frankreichs ambivalentes Spiel
Nach Macron traf Haftar auch andere ausländische Politiker. Mit der Zeit gelang es dem General, seine Machtbasis still und leise auszubauen, indem er eine Reihe kleinerer Bevölkerungsgruppen auf seine Seite brachte - mutmaßlich mit finanzieller Unterstützung Russlands sowie einiger Golfstaaten.
Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass er inzwischen bedeutende Ölfelder im Süden des Landes kontrolliert. Für Frankreich ist nicht nur das Öl, sondern auch die Südgrenze selbst von geopolitischer Bedeutung, weil dahinter die ehemaligen französischen Kolonien Tschad und Niger liegen. Falls Frankreich nun davon ausginge, dass Haftar die besseren Karten habe, um Libyen zu stabilisieren, wäre dessen Unterstützung nur logisch.
Die offizielle französische Position ist anders. Am Karfreitag teilte der Elyséepalast unmissverständlich mit: "Frankreich unterstützt die legitime Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch und die Vermittlung der UN". Vielen fällt jedoch schwer, das zu glauben - auch der Einheitsregierung in Tripolis selbst. Dem deutlichen französischen Statement vorausgegangen war der Vorwurf des libyschen Innenministers Fathi Basch Agha, Frankreich unterstütze "den Kriminellen Haftar". Die Einheitsregierung brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Paris ab, am Wochenende demonstrierten Hunderte Menschen in Tripolis gegen Frankreich und Haftar.
Italiens rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini, selbst nie um einen Streit mit Frankreich verlegen, bezichtigte Frankreich sogar offen der Kooperation mit Haftar. Italien bezeichnet sich selbst als nördlicher "Nachbar" seiner ehemaligen Kolonie. Seitdem Libyen zu einer Drehscheibe für afrikanische Migranten auf dem Weg nach Europa geworden ist, zeigt Rom besonderes Interesse an geordneten Verhältnissen.
Deutschland ist gefragt
Die Bundesregierung müsse "alles daran setzen, die Italiener und die Franzosen zu einer gemeinsamen Linie zu bringen", forderte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour. "Die Franzosen müssen verstehen, dass man innerhalb der Europäischen Union um einen Interessenausgleich bemüht sein muss", sagte Nouripour. "Wenn es darum geht, dass man eine gemeinsame Linie in Libyen findet, müssen die Franzosen und die Italiener zu einer Lösung kommen, die beide Interessen ein Stück weit berücksichtigt." Es sei der Job der Bundesregierung, das den französischen Freunden klarzumachen, so der Grünen-Politiker.
Deutschland kommt als turnusmäßigem Vorsitzenden des UN-Sicherheitsrats in diesem Monat eine besondere Rolle bei der Bewältigung internationaler Konflikte zu. Frankreich hatte im März den Vorsitz inne - als Symbol der innigen Verbundenheit teilen beide Länder den Chefsessel über beide Monate miteinander. In der Libyenfrage scheinen sie jedoch nicht an einem Strang zu ziehen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gegenüber Al-Sarradsch den Vormarsch Haftars verurteilt. Deutschland müsse jedoch auch darauf dringen, dass Frankreich seinen Einfluss auf Haftar geltend mache, damit dieser die Situation nicht weiter verschlimmere, so Nouripour: "Die große Freundschaft zu Frankreich muss ermöglichen, dass es genug Spielraum gibt."
Ein General schafft vollendete Tatsachen
Als Vorsitzender hatte Deutschland bereits darauf hingewirkt, dass sich der UN-Sicherheitsrat mit der Lage in Libyen beschäftigt. Eine Dringlichkeitssitzung am Gründonnerstag endete jedoch ohne einen gemeinsamen Beschluss. Das lag offenbar nicht an Frankreich, sondern an den Vetos von Russland und den USA. Die Nachrichtenagentur Reuters erfuhr von Diplomaten, dass Russland eine Benennung Haftars als Verantwortlichen nicht hinnehmen wollte, die USA hätten keine Gründe genannt.
Allerdings ließ die US-Regierung verlauten, Präsident Donald Trump habe bereits einige Tage zuvor mit Haftar telefoniert. Trump habe Haftars Rolle im Kampf gegen den Terror und bei der Absicherung libyscher Ölreserven gewürdigt. In dem Gespräch ging es laut Weißem Haus auch um eine "gemeinsame Vision" für Libyens Übergang zu einer stabilen Demokratie. Seit Trumps Amtsantritt 2017 lässt der Bündnisgeist der USA gegenüber den Vereinten Nationen und Europa spürbar nach.
Während die Weltgemeinschaft noch keinen Weg gefunden hat, auf die Entwicklungen in Libyen zu reagieren, schafft Khalifa Haftar weiter militärische Fakten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt mittlerweile 254 Tote und mehr als 1.200 Verletzte seit Beginn der Offensive.
Nach den Luftangriffen in der Nacht zum vergangenen Sonntag berichteten Anwohner in Tripolis, sie hätten währenddessen ein Summen gehört wie von Drohnen. Bislang flog Haftars Miliz ihre Angriffe mit älteren Jets, hauptsächlich aus Beständen der früheren Sowjetunion. Sollte er nun Drohnen besitzen, wäre dies ein weiteres Indiz für starke ausländische Unterstützung.
David Ehl
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