Emanzipationshebel Fußball
"Meine Mutter ist sehr tolerant. Wir sind hier aufgewachsen und leben eher nach deutschen Regeln", sagt die 19-jährige Hasret Kayikci, die stets die Unterstützung ihrer Familie hatte. Mittlerweile spielt sie in der Frauenfußball-Bundesliga.
Die Stürmerin mit türkischen Wurzeln kennt aber auch die Probleme aus ihrem Freundeskreis. "Es gibt einige Eltern, die ihren Töchtern verbieten, Fußball zu spielen. Die müssen auch ihr Kopftuch tragen."
Jugendliche seien dann sehr eingeschränkt, findet Hasret. Sie selbst durfte schon immer Fußball spielen. Zuerst in der Grundschule, dann zusammen mit Jungen im Verein, später schaffte sie den Sprung zum FCR Duisburg. Erst kürzlich wurde sie von dem Bundesliga-Aufsteiger SC Freiburg abgeworben.
Immer mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund
Damit gilt sie noch immer als Ausnahme. Dabei steigt die Zahl von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland stetig an. In Großstädten wie Berlin und Köln, aber auch in den Ballungsgebieten wie dem Ruhrgebiet liegen die Quoten mittlerweile in bestimmten Stadtteilen bei 50 bis 80 Prozent, sagt Ulf Gebken von der Universität Oldenburg. Er leitet das Institut "Integration durch Sport und Bildung".
Doch während Jungen mit türkischen Wurzeln mittlerweile vor allem in den beiden Sportarten Fußball und Kampfsport zum gleichen Anteil in Vereinen organisiert seien wie deutsche Jungen, seien Mädchen noch unterrepräsentiert.
Nur gut 20 Prozent sind in einem Sportverein organisiert, rechnet er vor. "Das zeigt uns, dass da ein großer Bedarf besteht, dass viel mehr Mädchen regelmäßig Sport treiben und regelmäßig am Sportvereinsleben teilnehmen können."
Vor allem die Eltern hätten Bedenken. Viele schrecken vor der Finanzierung der Sportausrüstung, den späten Trainingszeiten und vielen anderen ungelösten Fragen zurück, erklärt Gebken: "Ich stelle mit Erschrecken fest, dass sich in vielen Vereinen die sanitären Anlagen und die Umkleidekabinen nicht von denen der Jungen trennen lassen."
Mädchen bekämen noch immer den schlechtesten Trainingsplatz und auch die ungünstigste Zeit, um Fußball zu spielen. "Das lädt natürlich nicht unbedingt die Eltern ein, ihren Mädchen zu erlauben, Fußball zu spielen."
Religiöse Bräuche werden nicht wahrgenommen
Zudem gebe es noch immer viele interkulturelle Defizite. So kenne man sich in den Vereinen zum Beispiel nicht mit den religiösen Ritualen, wie zum Beispiel den Gepflogenheiten des Ramadan aus, und man bemühe sich nicht darum, die bestehenden Ängste der Eltern gemeinsam zu überwinden.
Auch die unterschiedlichen Hygienevorschriften bei Kleidung und Mahlzeiten sind weitgehend unbekannt in deutschen Vereinen. Das größte Problem sei aber die Sprache, sagt Gebken. Denn viele Eltern seien nicht einmal in der Lage, das Vereinsformular auszufüllen.
Hürden, die Gül Keskinler gut kennt. Sie stammt selbst aus der Türkei, ist die Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußballbundes und Mitglied der Task Force gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus von DFB und DFL.
Keskinler kämpft auch für den vermehrten Einsatz von weiblichen Trainern in den Vereinen, die Vorbilder sein können für junge Mädchen.
Im Fußball liegt ihrer Meinung nach eine große Chance, denn es ist eine Mannschaftssportart, in der Kinder und Jugendliche das Gefühl der Gemeinsamkeit und der Zugehörigkeit bekommen. "Ich denke, das sind die wichtigsten Gefühle, die wir Migranten in der Gesellschaft brauchen."
"Mädchen bekommen eine unheimliche Wertschätzung"
Da kann Ulf Gebken nur zustimmen. In vielen Projekten hat er genau das beobachtet: Mädchen werden aus ihrem traditionellen Rollenverständnis herausholt, der Fußball diene dabei als Emanzipationshebel.
"Ein Mädchen, das Fußball spielen kann, kriegt eine unheimliche Wertschätzung. Von seinen türkischen Brüdern, Cousins, Vätern, Schulkameraden. Dann stehen plötzlich libanesische, türkische, arabische Jungs und klatschen und feuern das Mädchen an, weil sie nicht erwartet hätten, dass Mädchen das können."
Und wie sie das können! Hasret hat es schon bis in die deutsche Juniorinnen-Auswahl geschafft. Die A-Nationalmannschaft ist ihr großes Ziel. Denn sie identifiziert sich mit der deutschen Elf, in der Spielerinnen wie Lira Bajramaj oder Célia Okoyino da Mbabi auf Torejagd gehen.
Auch deshalb hat sie die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. "Ich bin hier aufgewachsen und geboren und ich denke nicht, dass ich später in die Türkei ziehen werde. Deswegen haben meine Eltern auch direkt zugestimmt."
Olivia Fritz
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de